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der zartesten Form, gleichsam durchgeistigt, und alabasterweiß. Sie erschienen namentlich in ihrer vollen Schönheit, wenn Heine in vertrautem Kreise gebeten wurde, das herrliche Rheinlied: „Wie der Mond sich leuchtend dränget“ usw. zu deklamieren. Er pflegte sich dann zu erheben und die feine weiße Hand weit vorzustrecken. Seine sonst unverwüstliche heitere Laune war schon damals wesentlich durch sein körperliches Befinden bedingt. In guten Stunden wirkte sie wahrhaft bezaubernd auf seine Umgebung. Der Dichter erschien stets in einem bis an den Hals zugeknöpften braunen Oberrocke mit einer doppelten Reihe von Knöpfen, ein kleines schwarzseidenes Tuch leicht um den Hals geschlungen, und im Sommer regelmäßig in Beinkleidern von Nanking, häufig auch in Schuhen und weißen Strümpfen an den normal gebildeten Füßen, die keineswegs, wie Laube bemerkt, an die „jüdische Rasse“ erinnerten. Er trug endlich stets entweder einen gelben Strohhut oder eine grüne Mütze, die in einen viereckigen Beutel auslief, welcher damals bis auf den Schirm herabgezogen wurde.

      77. Eduard Wedekind149

      Juni 1824

      [Tagebuch:] Er [Heine] steht jetzt im zehnten Semester und muß noch bei den Pandekten schwitzen. Er hört sie bei Meister, weiter nichts. Gestern sagte er mir: wenn das Corpus juris in Kalenderformat gedruckt wäre, würde er es gewiß loskriegen; jetzt scheue er sich vor dem großen Format...

      Ich sprach heute absichtlich mit ihm über das jus. Von Meister sagte er: „Das ist ein göttlicher Kerl – erstens, zweitens, kurz alles, und man sieht gleich, wie man es anwenden kann.“ Das römische Recht interessiert ihn schon, mehr noch das kanonische. „Es würde interessant sein,“ bemerkte er, „den Kampf des kanonischen und römischen Rechts miteinander darzustellen, wie denn die Dekretisten und Romanisten in Bologna sich ihrer Zeit fast tot darum schlugen. Übrigens“, sagte er, „habe ich vom jus nichts los, als was so hie und da hängengeblieben ist; manchmal ist aber doch mehr hängengeblieben, als ich selbst glaubte. Ich habe überhaupt nichts los, als die Metrik.“ Michaelis will er ausstudiert haben und dann auf Reisen gehen, wahrscheinlich nach Italien. In der Folge gedenkt er in die Juristenkarriere zu treten; ob aber in Preußen, weiß er noch nicht. Umgang hat er wenig; wir haben uns gegenseitig gebeten, einer den andern zu besuchen.

      78. Maria Embden-Heine88

      1824

      Obgleich Heine die Jurisprudenz zu seiner Fachwissenschaft gewählt hatte, so fand er sie doch zu trocken, um nach seiner Art Geschmack daran zu finden, und er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, an den guten juristischen Professoren in Göttingen seinen Witz auszuüben. Auch Meister, sein berühmter Pandektenlehrer, blieb nicht verschont, und die Gasse, in welcher Meister sein Kollegium las, hieß allgemein die Pandektengasse.

      Heine wußte durch seine Freunde allgemein das Gerücht zu verbreiten, daß in der Pandektengasse allnächtlich ein Geist spuke. Die Göttinger Philister wagten gar nicht daran zu zweifeln; es hieß nämlich, der spukende Geist sei ein Student, der im Kollegium von Meister sich zu Tode ennuyiert habe und dessen Seele nicht eher Ruhe finden könnte, als bis Meister einmal einen Witz machen würde.

      Die Geschichte hat Meister dermaßen geärgert, daß er sein Kollegium aus der Pandektengasse in eine andere Straße verlegte.

      79. Eduard Wedekind149

      Juni 1824

      [Tagebuch:] Ich glaube, seine [Heines] Bekanntschaft wird für mich von großem Nutzen sein. Er ist ein ungeheures Genie, dabei durchaus nicht von sich eingenommen, so daß sein Umgang mir außerordentlich interessant ist. Ich glaube auch, daß er wohl an mir Gefallen findet, und soviel ich ihn jetzt kenne, werden wir uns sehr gut zusammen vertragen, obgleich wir in vielen Punkten sehr voneinander verschieden sind. Ich habe alles, was er bis jetzt herausgegeben hat, gelesen und weiß es zum Teil auswendig. Daß ihm dies einigermaßen schmeichelt ist natürlich; auch konnte ich ihm mit gutem Gewissen manches Kompliment machen. Seine Gedichte, sagte ich ihm, hätte ich alle durchstudiert. „Studieren“, antwortete er, „sollte man sie eigentlich auch, denn sie sind nicht so ganz leicht zu verstehen.“ Er sagte dies übrigens ohne allen Stolz...

      Jetzt noch einiges über Heine, und zwar in Beziehung auf seinen Charakter. Dieser ist ein wenig leichtfertig. An eine Unsterblichkeit der Seele glaubt er nicht und tut groß damit, indem er sagt, alle großen Männer hätten an keine Unsterblichkeit geglaubt, Cäsar nicht, Shakespeare nicht, Goethe nicht. Eitel ist er sehr, obgleich er es durchaus nicht scheinen will; er hört von nichts lieber sprechen als von seinen Gedichten. Ich habe einmal gesagt, daß ich seinen „Ratcliff“ zu rezensieren wohl Lust, aber keine Zeit hätte. Seitdem hat er mich sehr aufgefordert, ich möchte doch Prosa schreiben. Er hat eine unglaubliche Lust, jeden zu mystifizieren, und spielt daher jedem das Widerpart. Bei mir fährt er aber sehr schlecht damit, weil er sich deshalb Inkonsequenzen in seinen Ansichten zuschulden kommen läßt, die ich ihm dann gewöhnlich nachweise. Ein wahrer Freund kann er mir nie werden; ich gehe aber doch recht gern mit ihm um. Unsere Ansichten sind mehrenteils sehr verschieden, und das gibt viel zu sprechen; nur weiß ich manchmal nicht recht, ob ich das, was er sagt, für seine eigentliche Meinung zu nehmen habe oder ob er mich mystifizieren will. Merke ich das, so sage ich es ihm geradeheraus und breche das Gespräch gleich ab. Er tut es indes selten bei mir. Neulich hat er zu Grüter gesagt, es wäre unter den Westfalen kein einziger, der wüßte, was ein großer Dichter wäre. Gott segne ihn, wenn er es weiß! So etwas kann mich nicht irre machen. Ich kann viel von Heine lernen, und das ist der Hauptzweck, den ich beim Umgange mit ihm vor Augen habe. Eins aber mißfällt mir sehr an ihm, und andern noch mehr, nämlich daß er seine Witze selbst immer zuerst und am meisten belacht.

      80. Eduard Wedekind149

      Sommer 1824

      [Tagebuch:] Heine besuchte mich heute nachmittag mit Siemens und frug mich, ob er mich mystifizieren solle. Ich sagte ihm, daß er es nur tun möge, wenn er dazu imstande sei. Abends gedachten wir nach der Landwehr zu gehen; Heine begegnete mir auf dem Heimwege, er wollte schon wieder zurück. Er sah sehr verstimmt aus, und als ich ihn bat, wieder mit mir umzukehren, frug er mich, ob ich an Siemens nichts bemerkt habe, seine Stimmung scheine ihm so wunderlich. Ich hatte ihm vor einigen Tagen den „Werther“ geliehen, und Heine wußte das. „Ich weiß nicht,“ fuhr er fort, „aber es kommt mir ganz so vor, als wollte er sich totschießen. Als ich vorhin bei ihm war, hatte er sich eine Pistole gekauft und sie geladen, er brachte seine Rechnungen in Ordnung, war sehr aufgeregt, und als ich ihn zum Mitgehen bewog, suchte er mich auf alle Art loszuwerden. Hast du ihn vielleicht später gesehen?“ Ich verneinte es und frug Heine, ob Siemens wirklich eine geladene Pistole gehabt habe. „Auf mein Wort,“ versicherte jener; „ich wollte jetzt eben zu ihm und sehen, was er macht; nur fürchte ich, er wird sich mir nicht entdecken wollen.“ – „Komm, ich gehe mit,“ sagte ich; „wenn er sich einem entdeckt, so wird er wohl gegen mich offen sein, und die Sache kommt mir jetzt wirklich bedenklich vor.“ Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, als Heine plötzlich mit einem hellen Gelächter stehenblieb und mir sagte: „Lieber Junge, ich habe dich bloß mystifizieren wollen! Eine geladene Pistole hat er gehabt, wahrscheinlich aber an nichts weniger gedacht, als sich damit totzuschießen. Übrigens hast du dich brav benommen.“ Obgleich er mir seine Absicht vorhergesagt, ärgerte es mich doch nicht wenig, daß er mir auf Kosten meines guten Herzens diesen Streich gespielt hatte. Wir kamen jetzt auf den Selbstmord im allgemeinen zu sprechen, und als ich erzählte, daß mir Siemens neulich einmal gesagt habe, er könne nicht begreifen, wie sich jemand das Leben nehmen könne, sagte Heine: „Und ich kann nicht begreifen, wie sich jemand zuweilen nicht das Leben nehmen kann.“

      [Siemens’ Pistole spielt auch im Gespräch Nr. 107 eine Rolle.]

      81. Gastwirt Michaelis194. 88

      1824

      [Mitteilung von Hans Ellissen an Strodtmann:] Wie bei seinem ersten Aufenthalte in Göttingen, speiste Heine auch jetzt wieder bei dem Gastwirt Michaelis im „Englischen Hofe“ zu Mittag, und auch diesmal sollte ihm in demselben Lokal durch die Roheit eines Studenten eine Unannehmlichkeit widerfahren.

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