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darüber.«

      »Aber …«

      »Die paar Jahre werden für mich und für dich nichts ändern. Ich werde auf dich warten, verlaß dich darauf. Mir käme es gar nicht in den Sinn, mich deswegen scheiden zu lassen.«

      Auch der letzte Hauch von Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

      »Heinrich!« stammelte sie.

      »Bitte, nun reg dich doch nicht auf, Liebste! Wir mußten doch einmal darüber sprechen! Schließlich weiß ich, daß ich genauso schuld bin an dem, was dir passiert ist, wie du … ich werde dich nicht im Stich lassen, was auch immer geschieht!«

      Carola Groß konnte sich später weder erinnern, wie sie in ihre Zelle zurückgekommen war, noch womit sie die Stunden bis zum Auslöschen des Lichtes verbracht hatte.

      Sie wußte nur eines: Ihr eigener Mann hielt sie für eine Mörderin, er rechnete damit, daß sie verurteilt wurde!

      Ihr erschöpfter Kopf und ihr gequältes Herz hatten dieser grausamen Erkenntnis, die für sie das Ende aller Dinge bedeutete, nichts entgegenzusetzen.

      Carola Groß zog sich an diesem Abend nicht aus, sondern verkroch sich angezogen auf ihrer Pritsche, deckte sich mit der rauhen Decke bis zum Hals zu, schloß die Augen, wartete auf das vertraute Geräusch am Guckloch, die regelmäßige Kontrolle der Beamtin.

      Dann stand sie auf, kniete nieder, tastete unter der Matratze nach ihrem Spiegel, fand ihn und brach ihn in zwei Stücke. Sie wußte, daß sie mit der Ausführung ihres Plans nicht zögern durfte, wenn sie Erfolg haben wollte, und sie vergeudete keine weitere Sekunde.

      Sie nahm die eine Spiegelhälfte in die linke Hand, schnitt sich mit der zackigen scharfen Bruchstelle über das Handgelenk der rechten. Der gräßliche Schmerz war für sie fast eine Erlösung, denn jetzt, zum erstenmal seit langer Zeit, gab es etwas für sie, das stärker war als die ausweglose Qual ihres Herzens. Alles versank hinter diesem glühenden Schmerz, und sie schnitt sich ins eigene Fleisch, so tief sie es vermochte.

      Dann nahm sie die Spiegelscheibe in die rechte Hand, wiederholte die gleiche Prozedur mit zusammengebissenen Zähnen. Beide Hände wurden klebrig von Blut, das auf ihr Kleid tropfte, auf den Fußboden – eine dickliche, süßlich riechende Flüssigkeit, fast schwarz im Schein dämmrigen Nachtlichtes.

      Sie wollte aufstehen, sich niederlegen. Nicht der Schmerz, sondern der Geruch des Blutes, der klebrigen Substanz, die jetzt schon durch ihr Kleid bis auf die Schenkel drang, war zuviel für sie. Sie brach über der Pritsche zusammen.

      Als sie wieder zu sich kam, lag sie unter der hellen Lampe eines Operationszimmers.

      »Nicht bewegen«, sagte eine sachliche männliche Stimme, »es ist alles in Ordnung!«

      Sie blickte in das gelassene Gesicht eines jungen Arztes. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. »Warum haben Sie mich nicht sterben lassen?«

      »Sie haben die Pulsadern gar nicht erwischt, seien Sie froh darüber. Ich habe beide Schnitte säuberlich vernäht. Morgen machen wir ein paar hübsche kleine Verbände darum – die werden niemandem auffallen.«

      »Muß ich … zur Verhandlung?«

      »Ich könnte sie krank schreiben. Aber damit wäre Ihnen nicht geholfen. Wollen Sie, daß in ein paar Wochen alles wieder von vorn beginnt? Es ist besser, Sie stehen es jetzt durch, dann haben Sie es hinter sich. Heute nacht bleiben Sie hier auf der Krankenstation. Ich werde Ihnen ein gutes Schlafmittel geben. Der erste Tag ist meist der schlimmste … morgen sieht alles anders aus!«

      Als Ellen Krone den Schlüssel im Türschloß hörte, hatte sie die Fotoalben längst weggeräumt. Dennoch zuckte sie zusammen, wußte in plötzlicher Verwirrung nicht, wie sie sich verhalten sollte – ihrem Mann entgegengehen oder einfach sitzen bleiben? Dinge, die sie sonst ohne jede Überlegung getan hatte, waren plötzlich zu einem Problem geworden. Sie spürte, daß sie jede Unbefangenheit ihrem Mann gegenüber verloren hatte. Aber das durfte er nicht merken, um keinen Preis.

      Sie zwang sich, mit einem Lächeln von ihrer Handarbeit aufzusehen, als er ins Wohnzimmer trat.

      Er beugte sich über sie, gab ihr einen Kuß auf die Stirn. »Ich habe nicht geahnt, daß du schon zu Hause bist.«

      »Macht ja nichts«, sagte sie spröde, ohne ihn anzusehen.

      »Ich habe mich inzwischen ein bißchen ausgeruht.«

      »War es so anstrengend?«

      »Nein«, sagte sie zögernd, »nicht für uns … ich meine, für uns Geschworene. Wir brauchten ja nur zuzuhören.« Sie legte ihre Handarbeit zur Seite, nahm sich eine Zigarette aus der Tischdose.

      Er reichte ihr Feuer. »Und?« fragte er beiläufig-ein wenig zu beiläufig, wie es ihr schien. »Ist etwas Neues herausgekommen?«

      »Nein. Das Gericht hat sich heute auf die Vernehmung der Angeklagten beschränkt. Für sie muß es furchtbar gewesen sein.«

      Er nahm sich selber eine Zigarette. »Leugnet sie weiter?«

      »Ja.« Sie schwieg wieder, weil sie nicht wußte, wie sie das Gespräch auf jenes Thema bringen sollte, das ihr im Augenblick allein interessant war.

      Er deutete ihr Schweigen falsch. »Wenn du nicht darüber sprechen möchtest …«

      »Doch«, sagte sie, »nur … weißt du, ich habe das Gefühl, der Schlüssel zu dieser ganzen Angelegenheit ist nicht bei der Angeklagten, sondern nur bei dem Opfer selber zu finden. Man müßte wissen … Was war Annabelle Müller eigentlich für eine Frau?«

      Er zuckte nicht mit der Wimper. »Das fragst du mich?«

      »Nein. Eher mich selber. Es müßte ja wirklich schon ein Zufall sein, wenn du diese Annabelle gekannt hättest.« Sie sah, wie sich sein Gesicht verschloß, redete rasch weiter, um es ihm leicht zu machen.

      »Allerdings glaube ich, daß es eine Menge Leute geben muß, die sie gekannt haben! Stell dir nur vor, eine junge attraktive Frau in einer großen Stadt! Sie muß doch Bekannte gehabt haben, Freunde, Freundinnen … viel mehr, als Zeugen vor Gericht erschienen sind!«

      Er zuckte die Achseln. »Die wichtigsten sind bestimmt geladen.«

      »Woher willst du das wissen? Vielleicht gibt es Menschen, die sehr interessante Dinge sagen könnten, wenn sie nur wollten … die sich einfach deshalb nicht gemeldet haben, weil sie nicht vor Gericht erscheinen mögen.«

      »Na, und scheint dir das so unverständlich?«

      »Nein, aber ich finde doch … wenn man nichts zu verbergen hat, sollte man mithelfen, ein solches Verbrechen aufzuklären.«

      »Dafür«, sagte er und erhob sich, »ist doch in erster Linie die Polizei verantwortlich. Wärst du mir sehr böse, wenn ich dich jetzt für ein oder zwei Stunden allein ließe? Ich habe noch zu arbeiten.«

      Er ging, und sie war sich klar darüber, daß sie keinen Schritt weitergekommen war. Er hatte so unbefangen auf ihre Anspielungen reagiert, daß sie ihm seine Ahnungslosigkeit bestimmt geglaubt hätte, wenn – ja, wenn sie nicht den Beweis seiner Beziehungen zu Annabelle mit eigenen Augen gesehen hätte.

      Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen und hätte ihm ins Gesicht gesagt, was sie wußte.

      Aber sie wagte es nicht. Sie hatte Angst, Angst vor ihrem eigenen Mann, und diese Erkenntnis erfüllte sie mit eisigem Entsetzen.

      Die erste Zeugin, die am zweiten Verhandlungstag aufgerufen wurde, war Fräulein Elfriede Kramer, 28 Jahre alt, Direktrice in einem Modehaus. Sie war schlank, dunkelhaarig, sehr elegant und schien – jedenfalls hatte Ellen Krone den Eindruck – ihren großen Auftritt vor Gericht in vollen Zügen zu genießen. Sie trug ein bronzefarbenes Kostüm mit Nerzbesatz und einen auffallend großen Hut mit breiter, geschwungener Krempe, die ihre Stirn und ihre Augen beschattete.

      Nachdem Landgerichtsrat Mergentheimer ihre Personalien erfragt hatte, kam er zur Sache. »Ist Ihnen die Angeklagte bekannt?«

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