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eines Geschworenen getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben!«

      Ellen Krone hob ihre rechte Hand. »Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!«

      Ein fünffaches Echo folgte ihren Worten. Dann stellten sich die Geschworenen hinter dem Richtertisch auf, die drei Richter legten ihre Barette ab, setzten sich, und auch die Geschworenen und die Menschen im Saal nahmen Platz. Die Sitzung konnte beginnen.

      Auf einen Wink des Vorsitzenden wurde die Angeklagte durch eine Nebentür hereingeführt, und die gespannte Aufmerksamkeit aller Anwesenden richtete sich jetzt auf Carola Groß.

      Ellen Krone war überrascht durch die aufrechte Haltung und die gepflegte Erscheinung der Angeklagten. Sie hatte sich eine Frau, die des Mordes beschuldigt wurde und nahezu ein Jahr in Untersuchungshaft zugebracht hatte, anders vorgestellt, nicht so adrett in blütenweißer Bluse und schwarzem, gutsitzendem Kostüm, das nur eine Spur zu weit schien, nicht so gepflegt mit blondiertem, sorgsam frisiertem Haar. Aber dann sah sie, daß die schmalen Hände der Angeklagten flatterten, daß in ihren Augen die Angst eines gehetzten Wildes stand, und sie begriff, daß Carola Groß alle Kraft zusammennahm, um diesen gefaßten, selbstsicheren Eindruck zu erwecken.

      Schuldig oder nicht, ging es ihr durch den Kopf, diese Frau ist zu bemitleiden! Wie schrecklich muß das alles für sie sein! Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken!

      Landgerichtsrat Mergentheimer hatte inzwischen die Sache aufgerufen und sich vergewissert, daß Verteidiger und Staatsanwalt anwesend, die Beweismittel präsent waren.

      Ein Justizbeamter führte die geladenen Zeugen und Sachverständigen in den Saal, sie nahmen in langer Reihe vor dem Richtertisch Aufstellung.

      Landgerichtsrat Mergentheimer beugte sich vor und sah von einem zum anderen. »Sie wissen«, sagte er, »worum es in diesem Prozeß geht, und Sie wissen auch, daß Sie die Wahrheit, und zwar die reine Wahrheit sagen müssen. Jede wissentliche oder fahrlässig falsche Aussage kann strafrechtliche Folgen für Sie haben. Darüber hinaus müssen Sie damit rechnen, vereidigt zu werden, und auf Meineid, meine Damen und Herren, steht Zuchthaus. Sagen Sie also nur das aus, was Sie wirklich wissen, und denken Sie immer daran, daß das Gericht sich bei der Wahrheitsfindung in starkem Maße auf Ihre Aussage stützen muß.« Er lehnte sich zurück. »Danke. Sie werden später einzeln aufgerufen.«

      Die Zeugen verließen den Sitzungssaal. Landgerichtsrat Mergentheimer wartete ab, bis der Gerichtsdiener die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

      »Angeklagte«, sagte er dann, »würden Sie uns bitte etwas über sich erzählen?«

      Die Angeklagte erhob sich, ihre Hände klammerten sich haltsuchend um die Leiste der Anklagebank.

      »Wo sind Sie geboren?« fragte der Vorsitzende ermutigend.

      »In Brünn …«

      »Und wann?«

      »1922 … am vierten April 1922. Mein Vater …« Die Angeklagte stockte wieder.

      »Was war Ihr Vater? Erzählen Sie nur! Uns interessiert alles …«

      Der ruhige, wohlwollende Ton des Vorsitzenden verfehlte nicht seine Wirkung auf Carola Groß. »Meine Eltern sind Volksdeutsche«, sagte sie, »mein Vater war Teilhaber einer Schuhfabrik in Brünn. Ich wuchs mit meinem Bruder zusammen in einem guten Elternhaus auf. Behütet und ohne Sorgen. Bis der Krieg kam, und dann die Austreibung. Wir hatten es anfangs sehr schwer in Deutschland, aber bald gelang es meinem Vater, festen Fuß zu fassen. Er gründete hier bei München eine Schuhfabrik, die nach der Währungsreform sehr gut florierte …«

      »Sie hatten also persönlich durch den Krieg keine Verluste?«

      »Doch, doch! Mein Bruder… mein einziger Bruder … fiel in Rußland, und auch mein Verlobter wurde als vermißt gemeldet…«

      »Ist er zurückgekommen?«

      »Nein.«

      »Erzählen Sie weiter! Wann lernten Sie Ihren jetzigen Mann kennen?«

      »1953. Heinrich arbeitete als Vertreter für meinen Vater. Ich selber … ich half damals in der Firma. Ich habe die mittlere Reife gemacht und später die Handelsschule besucht. Aber erst nach dem Krieg begann ich als Sekretärin bei meinem Vater zu arbeiten.«

      Ellen Krone rechnete blitzschnell nach. Carola war also schon über dreißig gewesen, als sie ihren Mann kennengelernt hatte.

      »Wir verlobten uns und heirateten ein Jahr später«, erzählte die Angeklagte. »Mein Mann gab daraufhin den Außendienst auf und wurde geschäftsführender Prokurist unserer Firma,«

      »Teilhaber?«

      Die Angeklagte zögerte, schlug die Augen nieder. »Nein«, sagte sie.

      »Jedenfalls scheint es sich wohl um eine Vernunftehe gehandelt zu haben?« fragte der Vorsitzende.

      »Nein!« Die Angeklagte hob, fast herausfordernd, den Kopf. »Wir haben aus Liebe geheiratet! Unsere Ehe war glücklich, wenn wir auch keine Kinder hatten, glücklich, bis …«

      Der Vorsitzende unterbrach sie. »Danke, Angeklagte, das genügt fürs erste!«

      Oberstaatsanwalt Kleiper, ein großer Mann mit schweren Lidern, einem vollen Mund und schlaffen Wangen erhob sich, las die Anklage vor. »In der Strafsache Carola Groß, geborene Helpert, verheiratet, Hausfrau, deutsche Staatsangehörigkeit, wird Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft legt auf Grund der von ihr angestellten Ermittlungen der Angeschuldigten folgendes zur Last: Die Angeschuldigte suchte am 19. September gegen neunzehn Uhr die Geliebte ihres Ehemannes, Annabelle Müller, in deren Wohnung auf und veranlaßte die Ahnungslose auf heimtückische Weise, eine Flüssigkeit zu trinken, in der sie vorher eine tödliche Dosis Gift aufgelöst hatte. Annabelle Müller starb kurz darauf an den Folgen dieses Giftes einen qualvollen Tod. Die Angeschuldigte wollte auf diese Weise die Geliebte ihres Mannes, auf die sie schon seit langem eifersüchtig war, beseitigen. Die Angeklagte wird daher beschuldigt…« – Oberstaatsanwalt Kleiper machte eine kleine Pause –, »… aus niedrigen Beweggründen heimtückisch und grausam einen Menschen getötet und sich dadurch eines Verbrechens gemäß § 211 StGB schuldig gemacht zu haben!«

      In die atemlose Stille, die diesen Worten folgte, gellte der Schrei der Angeklagten: »Das ist nicht wahr! Ich habe es nicht getan! Ich habe nicht …«

      »Ruhe!« rief der Vorsitzende.

      Gleichzeitig bemühte sich Rechtsanwalt Dr. Suttermann, seine Klientin zu beschwichtigen.

      »Angeklagte«, sagte Landgerichtsrat Mergentheimer, »wenn Sie etwas zu sagen haben, dann bitte nur, wenn Sie gefragt sind, und auch dann in angemessener Form! Haben Sie mich verstanden?«

      Das »Ja« der Angeklagten war kaum zu hören.

      »Es steht Ihnen frei, sich zur Anklage zu äußern … wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie aber auch nicht auszusagen …«

      »Ich möchte aussagen!«

      »Also gut! Dann schildern Sie die Vorgänge am Abend des neunzehnten September. Sie haben ja schon in der Voruntersuchung nach anfänglichem Leugnen zugegeben, daß Sie die Ermordete aufsuchten. Wie kam es dazu?«

      »Ich war eifersüchtig. Ich wollte, daß sie meinen Mann freigab … aber ich habe sie nicht getötet, wirklich nicht!«

      »Seit wann wußten Sie oder glaubten Sie etwas zu wissen über die Beziehungen zwischen Annabelle Müller und Ihrem Gatten?«

      »Ich hatte schon längere Zeit das Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung war. So etwas spürt man als Frau. Mein Mann war … anders zu mir als früher. Deshalb beauftragte ich ein Detektivbüro, ihn zu beobachten …«

      »Das Detektivbüro Krause, nicht wahr?«

      »Ja. Und im August vorigen Jahres brachte Herr Krause mir dann die Beweise. Ich … ich war wie vor den Kopf geschlagen, obwohl ich es natürlich geahnt hatte.«

      »Stellten Sie Ihren

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