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Sie sie früher schon einmal gesehen?«

      »Ja …«

      »Wann und bei welcher Gelegenheit?«

      »Am Abend des neunzehnten September vorigen Jahres!«

      »Sie erinnern sich genau an das Datum?«

      »Ja, denn es war der Tag, an dem ich auch Annabelle Müller das letztemal gesehen habe … lebend, meine ich.«

      »Wie kam es zu dieser Begegnung zwischen Ihnen und der Angeklagten?«

      »Ich verließ meine Wohnung … ich wohnte nämlich sozusagen Tür an Tür mit der Ermordeten … gegen acht Uhr. An die Zeit erinnere ich mich genau, weil ich eigentlich schon um Punkt acht Uhr verabredet war und mich verspätet hatte. Als ich zum Lift ging, hielt er gerade, und eine Dame kam heraus. Es war«, fügte Elfriede Kramer mit einer dramatischen Geste hinzu, »Frau Carola Groß!«

      Da die Angeklagte bereits zugegeben hatte, ihre Rivalin an jenem Abend aufgesucht zu haben, verpuffte diese Aussage ohne Wirkung.

      »Sie sagten eben, daß Sie an diesem Tag auch Annabelle Müller zum letztenmal gesehen haben … wann war das?« fragte der Vorsitzende.

      »Als ich aus dem Geschäft nach Hause kam. So gegen sieben Uhr. Sie kam auf einen Sprung zu mir herüber, um mit mir zu plaudern. Das tat sie öfter, wir waren in gewisser Weise miteinander befreundet.«

      »Was erzählte sie an jenem Abend?«

      »Sie kam gar nicht dazu, irgend etwas zu erzählen, denn ich hatte es sehr eilig, weil ich ja verabredet war. Ich wollte noch baden und mich umziehen, deshalb schob ich sie so schnell wie möglich wieder ab.«

      »Was für einen Eindruck machte Fräulein Müller auf Sie?« »Eindruck?« fragte die Zeugin verständnislos zurück. »Nun, ich meine … war sie besonders aufgedreht oder niedergeschlagen, vielleicht nervös, schien sie Angst zu haben …?«

      »Nein, dann hätte ich mich bestimmt länger mit ihr befaßt.

      Sie war ganz wie sonst.«

      »Wie lange dauerte diese Unterhaltung?«

      »Nur wenige Minuten, und ich glaube, die meiste Zeit habe ich selber geredet.«

      »Wann kamen Sie an jenem Abend wieder nach Hause?«

      »Oh, eigentlich erst am nächsten Tag, es muß schon gegen zwei Uhr früh gewesen sein …« Die Zeugin lächelte, als wenn sie sich auf ihre Antwort und die Tatsache, die dadurch enthüllt wurde, besonders viel zugute täte.

      »Sie waren es dann auch, die am nächsten Montag den Vorschlag machten, in die Wohnung Fräulein Müllers einzudringen und nach dem Rechten zu sehen?«

      »Das weiß ich nicht mehr … ich meine, ob ich den Vorschlag gemacht habe oder unsere Hausmeisterin, Frau Kerner. Jedenfalls fiel mir auf, daß sich das ganze Wochenende über nichts in der Nachbarwohnung rührte … sonst hörte man nämlich allerhand durch die Wände – nicht daß man ein Wort verstehen könnte, aber doch Musik, wenn das Fernsehen läuft, oder das Rauschen des Wassers und ähnliches. Aber an diesem Wochenende war es totenstill, Annabelle Müller ließ sich auch bei mir nicht blicken, und ich dachte schon, sie wäre verreist …«

      »Kam das öfter vor?« warf der Vorsitzende ein.

      »Nicht eben häufig, aber doch manchmal. Als ich, am Montag aus dem Geschäft nach Hause kam, traf ich Frau Kerner unten in der Halle, und ich deutete an, daß Fräulein Müller wohl verreist sei. Frau Kerner glaubte aber ziemlich sicher zu wissen, daß Annabelle nicht fort war, weil sie ihr sonst immer die Wohnungsschlüssel gab und sie auch zu bitten pflegte, ihre Topfpflanzen zu begießen… also, da kamen wir überein, doch mal in der Wohnung nachzusehen …« Elfriede Kramer legte eine kleine Kunstpause ein. »Und da fanden wir sie dann …«

      »Danke«, sagte der Vorsitzende, »Herr Oberstaatsanwalt … haben Sie noch Fragen an die Zeugin?«

      Oberstaatsanwalt Kleiper erhob sich. »Sie sagten eben, Sie und die verstorbene Annabelle Müller seien Freundinnen gewesen?«

      »Wir standen auf freundschaftlichem Fuß miteinander, ja …«

      »Dann hat Ihnen die Verstorbene doch sicher auch von ihren Beziehungen zu Heinrich Groß erzählt?«

      »Nein. Natürlich wußte ich, daß sie einen Freund hatte. Aber einen Namen hat sie nie erwähnt.«

      »Hat sie Ihnen erzählt, daß die Frau ihres Freundes eifersüchtig war?«

      »Ja. Andeutungen darüber hat sie gemacht.«

      »Daß sie sich vor der Frau ihres Freundes fürchtete?«

      »Nein, das bestimmt nicht. Annabelle hatte keine Angst. Sie war sehr selbstbewußt und davon überzeugt, mit jeder Schwierigkeit fertig zu werden.«

      »Es gab also Schwierigkeiten?«

      »Die gibt es ja immer. Aber Annabelle hatte, glaube ich, eher Spaß daran, Menschen gegeneinander auszuspielen.«

      »Sie können sich demnach vorstellen, daß Fräulein Müller die Angeklagte so lange gereizt hat, bis …«

      Rechtsanwalt Suttermann sprang auf. »Ich erhebe Einspruch! Die Zeugin kann zu dieser Frage nichts anderes als Mutmaßungen äußern, die …«

      »Dem Einspruch wird stattgegeben!« entschied der Vorsitzende.

      »Dann habe ich keine weiteren Fragen mehr an die Zeugin«, erklärte der Oberstaatsanwalt.

      Rechtsanwalt Suttermann war an der Reihe. »Jetzt denken Sie einmal gut nach! Sind Sie sicher, daß die Verstorbene Ihnen immer nur von einem Freund erzählt hat? Oder gab es in ihrem Leben vielleicht mehrere Männer?«

      »Sie sprach immer nur von einem Freund… mein Freund, sagte sie, wenn sie von Heinrich Groß sprach … aber natürlich hatte sie noch andere Bekannte.«

      »Hat Sie Ihnen einen dieser Männer einmal vorgestellt?«

      Ellen Krone warf einen raschen, besorgten Blick auf ihren Nachbarn, Kasimir Kaiser, aber der blickte mit leeren Augen geistesabwesend vor sich hin. Niemand im ganzen Gerichtssaal schien zu begreifen, wieviel von der Beantwortung dieser Frage abhing.

      »Nein«, sagte die Zeugin.

      »Sind Sie vielleicht einmal zufällig einem dieser Männer begegnet?«

      »Außer Heinrich Groß?«

      »Ja.«

      Die Zeugin schien angestrengt nachzudenken. »Einmal traf ich Annabelle Müller im Theater. Sie war in Begleitung.«

      »In Begleitung eines Mannes?«

      »Ja.«

      »Wie sah er aus?«

      »Sehr gut. Groß, breitschultrig, kräftiges Kinn, blondes Haar …«

      Es war Ellen Krone, als bliebe ihr das Herz stehen. Die Beschreibung traf genau auf ihren Mann zu. Ohne Zweifel: Die Zeugin hatte Annabelle Müller in Begleitung Peter Krones gesehen.

      3

      Sekundenlang war die Geschworene Ellen Krone fast besinnungslos vor Entsetzen. Es schien ihr, als richteten die Zuhörer unten im Sitzungssaal ihren Blick auf sie, als sähe jeder ihr an, welches Geheimnis sie in ihrem Herzen verbarg.

      Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht aufzustehen und es laut hinauszuschreien: »Ich kenne diesen Mann, der Annabelle Müller begleitet hat! Ich bin mit ihm verheiratet!«

      Sie brauchte alle ihre Energie, um sich in der Gewalt zu behalten, ein gleichgültiges Gesicht zu machen, den Aufruhr in ihrem Innern zu bekämpfen.

      Von den weiteren Fragen, die Rechtsanwalt Dr. Suttermann an die Zeugin Elfriede Kramer stellte, drang kein Wort in ihr Bewußtsein. Sie kam erst wieder zu sich, als Elfriede Kramer vereidigt war und die nächste Zeugin, die Hausmeisterin Agathe Kerner, vor dem Richtertisch

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