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      Auch Carola Groß stand wieder auf.

      »Sie haben ausgesagt, daß Sie etwa eine Stunde, also bis gegen neun Uhr, bei der Ermordeten waren.«

      »Ja, das stimmt auch … das heißt, so genau kann ich es nicht sagen, es kann auch etwas später geworden sein.«

      »Vielleicht waren Sie zwei Stunden dort? Bis zehn?«

      »Nein, das ist ausgeschlossen.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Ja. Ich habe nur einen Cognac getrunken und zwei, höchstens drei Zigaretten geraucht …«

      »Ach ja, stimmt, die Flasche war ja noch zu Dreiviertel voll, als Sie gingen?«

      »Ja.«

      »Und dann? Was haben Sie dann gemacht?«

      »Ich bin nach Hause gefahren.«

      »Haben Sie vielleicht auf die Uhr gesehen, als Sie zu Hause ankamen?«

      »Nein.«

      »Haben Sie irgend jemanden unterwegs getroffen? Oder sind Sie zu Hause von Ihrem Gatten oder Ihrem Mädchen empfangen worden?«

      »Nein. Mein Mann war nicht da. Und Kathi, unser Mädchen, hat grundsätzlich ab acht Uhr Feierabend, wenn wir nicht gerade Gäste haben.«

      »Hätte sie Sie nicht nach Hause kommen hören müssen?«

      »Ihr Zimmer war dunkel. Es ist möglich, daß sie schon schlief. Oder daß sie vielleicht im Kino war.«

      »Sie bleiben also bei Ihrer Aussage, daß Sie von Annabelle Müller aus geradewegs nach Hause gefahren und dort … wollen wir großzügig sein … etwa gegen zehn Uhr eingetroffen sind?«

      »Später war es bestimmt nicht.«

      Oberstaatsanwalt Kleiper wandte sich an Landgerichtsrat Mergentheimer. »Ich möchte bitten, als nächste Zeugin die Hausangestellte Katharina Scheibel aufzurufen!«

      Katharina Scheibel war eine adrette, sehr lebendige junge Person, die auf das Gericht und die Zuhörer im Saal einen guten Eindruck machte.

      Auf eine Frage des Richters erklärte sie, Frau Carola Groß sei am Abend des neunzehnten September kurz nach zehn Uhr nach Hause gekommen. »Ich hatte gerade das Licht ausgemacht, aber ich war noch wach. Ich hörte, wie sie den Wagen in die Garage fuhr … mein Zimmer liegt gleich darüber … und dann klapperten ihre hohen Absätze über das Pflaster zur Haustür.«

      »Haben Sie aus dem Fenster geschaut?«

      »Nein. Aber ich bin ganz sicher, daß es Frau Groß gewesen ist. Das Auto von Herrn Groß macht andere Geräusche, und auch seine Schritte sind viel schwerer.«

      Der Oberstaatsanwalt erhob sich, stemmte beide Arme auf den Tisch, beugte sich drohend vor. »Zeugin! Sie wissen, daß Sie diese Aussage auf Ihren Eid nehmen müssen?«

      »Ja…«

      »Und Sie wissen auch, was ein Eid bedeutet?«

      »Ja …«

      »Daß Sie beim Namen des Allerhöchsten schwören müssen … die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen?«

      »Ja …«, sagte Katharina Scheibel nur wieder, aber ihre Stimme klang nicht mehr so sicher.

      Das ist ja ein Einschüchterungsversuch, dachte Ellen Krone, das dürfte man doch nicht zulassen! Sie warf einen Blick auf die Angeklagte, die sich mit einer fahrigen Bewegung über das blonde Haar strich, sah jetzt zum erstenmal den weißen Verband um ihr Handgelenk. Aber ehe sie noch ihre Schlüsse daraus ziehen konnte, wurde sie durch die Vernehmung der Zeugin davon abgelenkt.

      »Sie sind im Begriff, einen Meineid zu leisten«, donnerte Oberstaatsanwalt Kleiper mit einer Stimme, die jeden Gleichmut verloren hatte. »Danken Sie Gott, daß das Gericht das nicht zulassen wird! Wir wissen … machen Sie sich klar, was das bedeutet… wir wissen, daß Sie am Abend des neunzehnten September vorigen Jahres mit Ihrem Freund im Kino waren und daß Sie anschließend mit ihm noch in einer Gastwirtschaft ein Glas Bier getrunken haben … Sie können die Angeklagte also gar nicht gegen zehn Uhr gehört haben, denn da waren Sie selber noch nicht zu Hause!«

      »Aber ich habe sie gehört«, versuchte sich die Zeugin zu verteidigen.

      »Möglich. Aber erst um zwölf Uhr!«

      »Nein! Zwölf hatte es noch nicht geschlagen!«

      »Dann also kurz vor zwölf… geben Sie es zu, oder wollen Sie weiter lügen? Auch auf wissentlich falschen Aussagen, selbst wenn sie nicht unter Eid geschehen, steht Gefängnisstrafe … bekennen Sie sich also endlich zur Wahrheit!«

      »Ich habe Frau Groß kurz vor zwölf Uhr nach Hause kommen hören«, sagte die Zeugin leise und warf einen scheuen Blick auf die Angeklagte.

      »Und … warum haben Sie versucht zu lügen? Weil Sie die Angeklagte für die Täterin halten.«

      »Nein, nein, das stimmt ja gar nicht! Ich habe es getan, weil Herr Groß mich darum gebeten hat!«

      In den Aufruhr hinein, der nun im Gerichtssaal entstand, schrie sie: »Ich … ich habe mir nichts dabei gedacht, wirklich nicht! Ich wollte Frau Groß ja nur helfen!«

      Als Ellen Krone am frühen Nachmittag das Landgericht verließ, riefen die Verkäufer am Stachus die Abendzeitungen aus: »Sensation im Mordprozeß Carola Groß! Selbstmordversuch der Angeklagten! Sensation im Mordprozeß Carola Groß …«

      Ellen Krone kaufte ein Blatt. Einzelheiten über den Selbstmordversuch der Angeklagten standen auf der ersten Seite. Ein Foto zeigte Carola beim Verlassen des Gerichtsgebäudes mit einem Ausdruck panischer Furcht in den weitaufgerissenen Augen. Ellen Krone las den Artikel, während sie mit der Straßenbahn in Richtung Waldfriedhof fuhr. Erst jetzt wurde ihr klar, was die verkrampfte Haltung der Angeklagten, ihr Bemühen, die Handgelenke unter den Jackenärmeln zu verbergen, was die weißen Verbände zu bedeuten hatten. Ihre Vorsicht hatte Carola Groß nichts genutzt, es gab für sie kein Privatleben mehr; jeder, der sich dafür interessierte, konnte nachlesen, was sie in ihrer Verzweiflung getan und wie sie gerettet worden war.

      Dieser Selbstmordversuch mußte – das war Ellen Krone klar – Richter und Geschworene gegen die Angeklagte einnehmen, er kam einem Schuldgeständnis nur zu nahe. Vielleicht war sie, Ellen Krone, die einzige, in der er tiefes Mitleid erweckte. Schon als Kind hatte sie immer die Neigung gehabt, sich auf die Seite der Schwächeren zu stellen, Freundschaften gerade mit solchen Kindern zu schließen, die bei den Mitschülerinnen und den Lehrern unbeliebt gewesen waren. Oft genug hatte sie sich selber dadurch geschadet, aber manchmal hatte sie auch durch ihr tapferes Eintreten beweisen können, daß das Vorurteil gegen ein bestimmtes Kind zu Unrecht bestand. Auch bei Carola Groß konnte sie, allen vernünftigen Erwägungen zum Trotz, das Gefühl nicht loswerden, einen Menschen vor sich zu haben, der ohne eigenes Verschulden in das Räderwerk der Justiz geraten war.

      Nur ein Geständnis der Angeklagten hätte sie wirklich überzeugen können, nur ein Geständnis hätte sie von ihrer Angst, ihren Zweifeln, ihrem Mißtrauen, ihrer Gewissensqual erlöst. Die Fragen, die sie seit Beginn des Prozesses-bedrängten, waren an diesem zweiten Verhandlungstag noch drängender geworden, verlangten noch nachdrücklicher nach einer Antwort. Was hatte ihr Mann mit Annabelle Müller zu tun? Warum schwieg er sich so beharrlich über seine Beziehungen zu der Ermordeten aus? Wußte er etwas über ihren Tod?

      Sie mußte es in Erfahrung bringen, um jeden Preis, denn sie konnte nicht länger mit einem Mann Zusammenleben, dem sie nicht mehr voll und ganz vertraute, der ein Geheimnis vor ihr verbarg.

      Peter kam ihr in der kleinen Diele entgegen, als sie die Wohnungstür aufschloß. Er nahm sie in die Arme, küßte sie – aber er spürte sofort, daß sie seine Zärtlichkeit nicht so hingebend und weich erwiderte wie sonst.

      Er gab sie frei. »War es anstrengend?«

      »Ziemlich«, erwiderte sie und zermarterte ihr Hirn, wie sie

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