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einer Geste hinein.

      »Frau Berger, nicht wahr? Schönen guten Morgen, Sie sind hier absolut richtig. Herr Schneider erwartet Sie bereits. Mein Name ist Luchs.«

      Sie ging an mir vorbei ins Büro, und der zweifelnde Ausdruck in ihrem Gesicht verstärkte sich noch. Ihr Blick flog über den Teppich und die abgewetzten Ledersessel. Erwin tauchte hinter der Grünpflanzenwand auf und streckte die Hand aus.

      »Erwin Schneider, guten Morgen.«

      »Herr Schneider.« Frau Berger schüttelte ihm beinahe geistesabwesend die Hand und sah an ihm vorbei auf die Glasscheibe, durch die man ins Callcenter und somit auf die eifrig telefonierenden Damen gucken konnte.

      Ach du Schande – wir Idioten hatten vergessen, die Jalousie zu schließen!

      Mit einem beherzten Schritt war ich am Fenster und stellte die Lamellen auf blickdicht. Dann drehte ich mich zu unserer Besucherin um. »Wie Sie sehen, arbeiten wir Tür an Tür mit einem Dienstleister, an den wir zuweilen Rechercheaufträge weiterreichen. Uns fehlt meist die Zeit, stundenlang am Telefon zu hängen.«

      Innerlich dankte ich auf Knien der Tatsache, dass Wände, Fenster und Türen schalldicht waren. Ich wollte mir erst gar nicht Frau Bergers Gesicht vorstellen, wenn sie gewahr wurde, welcher Art die Dienstleistungen der Damen waren, auf die sie einen kurzen Blick erhascht hatte. Ziemlich unwahrscheinlich, dass man bei Recherchetätigkeiten laut stöhnte und versaute Dinge sagte.

      Erwin warf mir einen erleichterten Blick zu. »Aber nehmen Sie doch bitte Platz, Frau Berger. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«

      Zögernd und beinahe widerwillig trennte sie sich von ihrem schützenden Kleidungsstück, das Erwin erst auf einen Bügel – Doris dachte wirklich an alles – und dann an einen der rustikalen Garderobenhaken beförderte.

      »Ein Käffchen für Sie?«, fragte er dann.

      Sie nickte und ließ sich von Erwin zu einem Sessel geleiten. Ich goss zwei Tassen Kaffee ein – auf dem Tisch stand schon alles bereit. Mir selbst nahm ich ein Glas Wasser.

      Dann setzte ich mich zu den beiden und nahm Block und Stift zur Hand. Miss Moneypenny wäre dann so weit.

      Kerzengerade saß Frau Berger auf der Sesselkante, die Knie unter ihrem schmalen Kostümrock eng zusammengepresst. Ihre Kleidung war bieder, aber keineswegs billig, ihre bereits ergrauten Haare tadellos frisiert. Schräg oberhalb der linken Braue hatte sie ein kleines, dunkles Muttermal. Es wirkte wie ein verirrter Schönheitsfleck, der vom Wangenknochen aus – wo er eigentlich hingehörte – einfach mal frech auf Wanderschaft gegangen war.

      Nervös nippte sie an ihrem Kaffee; Zucker und Milch hatte sie nicht angerührt.

      Erwin ließ ihr Zeit, sich zu sammeln, dann fragte er in seinem sanftesten, vertrauenerweckendsten Exbullen-Bariton: »Was führt Sie zu uns, Frau Berger?«

      Unsere Besucherin stellte die Tasse mit einem lauten Klirren auf die Untertasse zurück. Sie atmete tief durch, und die Augen hinter der randlosen Brille füllten sich mit Tränen.

      »Die Jutta saugt nicht mehr«, sagte sie.

      Kapitel 3

      Wenn man denkt, ein Tag könnte nicht mehr schlimmer werden, kommt bestimmt irgendjemand des Wegs und zieht eine Kleinanzeige aus der Tasche

      Ich bin nicht stolz darauf, aber in mir brandete unbändiges Gelächter hoch. Rasch ließ ich meinen Stift fallen, damit ich unter den Tisch kriechen und mein zuckendes Gesicht verbergen konnte. Am liebsten hätte ich in den Teppich gebissen.

      Ich meine: Die Jutta saugt nicht mehr?

      So ein Satz, in dieser Umgebung? Schlagartig waren mir gut zwei Dutzend Knaller-Gags durchs Hirn geschossen, die natürlich samt und sonders vollkommen unangemessen waren. Unter Callcenter-Kolleginnen – okay. Aber vor den Frau Bergers dieser Welt? Niemals.

      Miss Moneypenny wusste, was sich gehörte.

      Mein Gesicht brannte, als ich endlich wieder so weit war, mich vernünftig hinzusetzen; höchstwahrscheinlich hatte ich eine knallrote Birne.

      Erwin schleuderte mir einen warnenden Blickblitz zu, dann fragte er unsere Besucherin: »Wer ist Jutta?«

      Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und schnäuzte sich dezent. »Jutta Dengelmann: meine Freundin. Und Nachbarin. Sie wohnt über mir. Und sie saugt jeden Morgen um Punkt neun die Wohnung. Danach konnte ich immer die Uhr stellen. Seit Jahren. Bis vor drei Wochen.« Sie sah erst Erwin, dann mich flehend an. »Bitte, ich mache mir schreckliche Sorgen um Jutta. Können Sie sie finden?«

      »Aber vielleicht ist Frau Dengelmann nur verreist?«, sagte Erwin.

      Frau Berger schüttelte heftig den Kopf, aber kein einziges Haar ihrer Beton-Frisur geriet in Bewegung, was mich irgendwie faszinierte. »Jutta würde niemals verreisen, ohne mich zu informieren.«

      »Hm«, machte Erwin nachdenklich und runzelte die Stirn. »Sie haben also bei Frau Dengelmann geklingelt, und niemand hat geöffnet?«

      Wieder schüttelte sie den Kopf. »Oh nein, Gerhard war natürlich da.«

      »Und Gerhard ist …?«

      »Gerhard Dengelmann, Juttas Gatte. Seit drei Monaten im Vorruhestand.«

      Gerhard Dengelmann, Ehemann, krakelte ich auf meinen Block.

      »Und der Herr Dengelmann – was hat der Ihnen gesagt, wo Jutta sich aufhält?«, fragte Erwin.

      Frau Berger sah uns empört an. »Sie hätte ihn verlassen, stellen Sie sich das mal vor. Dieser unverschämte Kerl. Blafft mich an, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, und knallt mir die Tür vor der Nase zu. Als würde die Jutta das Weite suchen, ohne mir Bescheid zu sagen!« Sie zögerte und fuhr fort: »Und selbst wenn, dann hätte sie sich längst bei mir gemeldet. Seit geschlagenen drei Wochen habe ich kein Sterbenswörtchen von ihr gehört. Da muss was passiert sein, ich bin ganz sicher.«

      »Aber er hat Ihnen gesagt, sie habe ihn verlassen?«, wollte Erwin wissen.

      Frau Berger nickte. »Die Jutta ist mir abgehauen, wenn Sie es genau wissen wollen, hat er gesagt, und jetzt kümmern Sie sich um Ihren eigenen Dreck und lassen mich gefälligst in Ruhe! In einem so unverschämten Tonfall, da ist mit glatt die Spucke weggeblieben. Bumm, war die Tür zu. Dann hat er sie noch einmal aufgerissen und mir hinterhergeschrien: Das Gute daran ist, dass ich Sie jetzt nicht mehr sehen muss, Frau Berger!« Sie schnaufte entrüstet. »Das muss man sich mal vorstellen. Gott, war mir das unangenehm. Wenn das jemand von den Nachbarn gehört hätte! Ich wäre vor Scham im Boden versunken. Wir sind ein ordentliches Haus.«

      »Wie alt ist Ihre Freundin Jutta?«, fragte ich.

      »Sie ist fünfundfünfzig, genau wie ich«, erwiderte Frau Berger. »In unserem Alter macht man keine Experimente mehr. Oder packt seine Koffer und verschwindet bei Nacht und Nebel. Wohin sollte sie denn auch gehen? Sie hat mir immer alles anvertraut, absolut alles. Über ihre Ehe, wie unglücklich sie mit ihm war …«

      Erwin horchte auf. »Unglücklich? Inwiefern?«

      »Gerhard war … ist ein verknöcherter Beamter. Ein Erbsenzähler, wie er im Buche steht. Für sie war es einigermaßen zu ertragen, solange er noch im Dienst war. Ordnungsamt, wissen Sie? Er war den ganzen Tag im Amt, und abends musste halt das Essen pünktlich auf dem Tisch stehen. Danach hat er sich meistens in seinen Hobbyraum im Keller verzogen, und sie hatte wieder ihre Ruhe. Aber seit er im Vorruhestand war, wurde es für die arme Jutta unerträglich. Ständig hat er sie kontrolliert und ihr in die Hausarbeit gefunkt. Ihr Vorschriften machen wollte er, wie sie den Haushalt zu organisieren hätte. Ausgerechnet er, der selbst keine Hand gerührt hat. Natürlich war es mit Juttas und meinem traditionellen Vormittagskäffchen irgendwann auch vorbei. Ständig scharwenzelte er um uns herum. Jutta, wird es nicht allmählich Zeit, das Bad zu putzen? Oder: Jutta, das Mittagessen kocht sich nicht von alleine. Frau Berger hat doch bestimmt zu tun. Und wenn sie unten bei mir war,

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