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Teppichboden. Als ich Frau Bergers Wohnungstür passierte, bildete ich mir ein, ihren Blick durch den Türspion hindurch zu spüren.

      Dank des Teppichs erklomm ich die Stufen in den ersten Stock hinauf vollkommen lautlos. Oben rührte sich nichts.

      Du lässt mich tatsächlich vor verschlossener Tür stehen? Du traust dich was, dachte ich grimmig.

      Da wollte mir wohl jemand dezent demonstrieren, wer der Chef im Ring war. Nicht mit mir. Nicht mit Loretta Luchs. Ich hatte doch keine Lust, wie eine Bittstellerin demütig abzuwarten, bis der gnädige Herr endlich geruhte, die Zugbrücke herabzulassen.

      Ich wartete also drei Anstandssekunden, dann klopfte ich forsch und rief laut: »Herr Dengelmann? Alles in Ordnung?«

      Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

      Schwupps – schon ging die Tür auf, und da stand er: Herr Dengelmann.

      »Frau Luchs, nehme ich an«, raunte es mir entgegen.

      Ich nickte nur und nahm die mir angebotene Hand, um sie herzlich zu schütteln.

      »Wunderbar, wunderbar«, sagte er. »Kommen Sie doch bitte herein.«

      Auffordernd streckte er die Arme aus. Nach einem hysterischen Augenblick allerhöchster Irritation begriff ich, dass er mich nicht umarmen wollte. Nein, er war ein Gentleman. Er wartete darauf, dass ich meine Winterjacke auszog, damit er sie mir abnehmen und an die Garderobe hängen konnte.

      Nachdem das erledigt war, folgte ich ihm in ein großes Wohnzimmer, das … nun ja … klassisch eingerichtet war. Schwere, behäbige Möbel, orientalisch anmutende Teppiche auf Parkettboden, wenig Nippes, viele Grünpflanzen, bodenlange Gardinen – die hatte ich ja bereits von außen gesehen – und dunkelgrüne Dekostores aus Samt.

      »Ich habe Tee gemacht. Sie nehmen doch eine Tasse?«, fragte er.

      Als ich nickte, ging er zu einem bereitstehenden Servierwagen, auf dem schon alles Notwendige hergerichtet war: schwarze, flache Metallkanne auf schwarzem Metallstövchen sowie zwei dazu passende henkellose Becher. Hatte er mich vielleicht an der Tür warten lassen, weil er gerade den Tee frisch aufgegossen hatte?

      »Aber setzen Sie sich doch«, fügte er hinzu, weil ich etwas verloren in seiner guten Stube herumstand.

      Ich wählte einen der monumentalen Sessel, in den ich einsank wie ins Bällebad in einem Kinderspielparadies. Während er das Teesieb aus der Kanne nahm und einschenkte, hatte ich Muße, ihn ausgiebig zu betrachten.

      Auf den ersten flüchtigen Blick war Gerhard Dengelmann von durchschnittlicher Größe, durchschnittlichem Gewicht und durchschnittlichem Aussehen. Sein konservativ geschnittenes Haar war bereits ergraut – in diesem attraktiven Grauton, mit dem nur Schwarzhaarige gesegnet sind. Die randlose Brille, das kleinkarierte Hemd und die Cordhose waren optisch von bestürzender Tristesse.

      Bei genauerem Hinsehen allerdings …

      Vor meinem geistigen Auge vollzog ich an ihm eine wundersame Wandlung: Nacken ausrasieren und Gel ins Haar, ein paar verwegene Bartstoppeln, verwaschene Jeans und schwarzer Strickpulli, schwere Boots: tadaaah – George Clooneys etwas älterer Bruder.

      Und wer konnte schon sagen, ob George Clooney auch dann so ein heißer Feger wäre, wenn er als Beamter in einer Behörde arbeiten und in stilechtem Gelsenkirchener Barock wohnen würde? Na bitte.

      Aber man stelle sich nur vor, wenn diese wunderbare Stimme aus einem von mir runderneuerten Herrn Dengelmann käme … die Frauen würden ihm reihenweise zu Füßen sinken. Auch für mich selbst könnte ich in diesem Fall nicht mehr die Hand ins Feuer legen, um ehrlich zu sein. Ob er sich bewusst war, über welches Potenzial er verfügte?

      Er stellte Zucker und Milch in dekorativen Gefäßen und eine dunkle Holzschale mit Plätzchen auf den selbstverständlich gekachelten Couchtisch, zu dem das japanisch anmutende Teegeschirr aus schwarzem, reich verziertem Metall einen krassen Gegensatz bildete. In diesem ansonsten so konservativen Ambiente hätte ich eher etwas aus weißem Porzellan mit Streublümchen erwartet.

      Dann holte er die beiden Teebecher und setzte sich in den Sessel, der dem meinen gegenüberstand. Um an meine Tasse zu kommen, musste ich mich zunächst mühsam aus dem tiefen Polster hochstemmen, was vermutlich reichlich ungraziös aussah. Ich kam mir vor wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag und hilflos mit den Beinen strampelte.

      Herr Dengelmann, der an seinem Tee nippte und mich über den Tassenrand hinweg musterte, verzog angesichts meiner Mühen keine Miene, was ich ihm hoch anrechnete.

      Irgendwann hatte ich es geschafft und blieb vorsichtshalber auf der vorderen Sesselkante sitzen, während ich ein wenig Zucker in meinen Becher gab, dessen Untersetzer ebenfalls aus Metall und wie ein Blatt geformt war. Um das Schweigen zu brechen, trank ich einen Schluck und sagte: »Hmm. Der ist ungewöhnlich. Aber sehr lecker.«

      Er lächelte und zeigte ebenmäßige Zähne. »Finden Sie? Das freut mich. Den meisten ist er zu kräftig.«

      »Och. Ich habe Freunde an der Nordsee. Ostfriesentee haut den stärksten Mann vom Hocker. Um ihn genießbar zu machen, kommt ein Brocken Kandis rein, der beinahe die komplette Tasse ausfüllt.«

      »Aber das ostfriesische ist ein schönes Tee-Ritual«, erwiderte er. »Tee, der nicht umgerührt werden darf … Der Kandis, der nach und nach knisternd schmilzt und für mindestens drei Portionen Tee reicht … Das Sahnewölkchen, das sich langsam verteilt … beinahe schon meditativ. Ich mag das wirklich sehr.«

      Sieh an, dachte ich, Herr Dengelmann steht auf Rituale.

      Ich hob die Tasse. »Und welche Sorte ist dieser hier?«

      »Assam Jamguri Golden Blossom.«

      Hui. Das klang aber exotisch.

      »Von dem hab ich noch nie gehört. Und definitiv habe ich ihn noch nie zuvor gekostet.«

      Er nickte, als hätte er sich das ohnehin gedacht. »Eine kostbare, sehr rare Sorte aus dem Assam-Jamguri-Teegarten, der in der östlichen Hochebene Assams im Golaghat-Distrikt liegt. In Indien. Für eine optimale Versorgung mit Nährstoffen wird die Rinde der hundert Jahre alten Büsche mit einer Kräuterpaste behandelt.«

      Zuerst dachte ich, er will mich verhohnepipeln. Ich finde bereits die Vorstellung verrückt, dass Kobe-Rinder angeblich mit Bier gemästet, mit Schnaps geduscht und täglich massiert werden, um die Fleischqualität zu erhöhen. Aber Büsche, deren Äste mit Kräuterpaste eingerieben werden? Wow.

      »Selbst die besten Pflückerinnen erreichen nur eine Tagesleistung von 200 Gramm«, fuhr er verträumt fort, während er liebevoll in seine Tasse blickte, »eine sehr aufwendige und mühselige Arbeit.«

      Klar, dachte ich, und dann wird jedes einzelne Blättchen auf den Schenkeln von Jungfrauen handgerollt. Ach nein, das waren ja die kubanischen Zigarren.

      »Er hat ganz dunkle Blätter und wunderschöne goldene Knospen. Und er ist gern in einer bauchigen Kanne.«

      Ist er das? Und das hat er dir gesagt, so unter vier Augen?, dachte ich und kämpfte verzweifelt gegen aufsteigendes Gelächter an.

      Er ist gern in einer bauchigen Kanne – also wirklich. Was machte er denn, wenn er in einer falschen Kanne aufgegossen wurde? In so einer schmalen, hohen, die keinen Bauch hatte? Rollten sich die Blätter dann ganz fest zusammen und weigerten sich, Aroma abzugeben? Bockiger Tee, der schmollte, weil man die falsche Kanne genommen hatte?

      Ob er mit jedem seiner Tees – und ich ging davon aus, dass er jede Menge exotische Sorten hatte – vorher ausdiskutierte, welche Kanne beliebte? War er so was Ähnliches wie ein Tee-Sommelier? Gab es so was überhaupt?

      »Nun, Gott sei Dank haben Sie eine bauchige Kanne«, sagte ich und deutete auf das gusseiserne Schmuckstück auf dem Servierwagen.

      »Die habe ich mir extra für den Jamguri angeschafft«, erwiderte er. »Es ist eine Tetsubin Kyusu. Das Muster nennt sich Sakuramon, es ist sehr selten. Kirsch-Motive. Die meisten Tetsubin – Kannen haben ein Arare – Muster,

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