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verabschiedete mich von Dengelmann und legte auf.

      »Was war denn gerade los mit dir?«, fragte Erwin. Die Pflanzen raschelten, dann schoben zwei Hände die Blätter auseinander, und sein Gesicht erschien. »Stehst da und stierst mit aufgerissenen Augen vor dich hin, sagst keinen Ton … Ich dachte schon, du hast einen Schlaganfall oder so was.«

      Ich stellte das Telefon in die Ladestation und kicherte. »Bleib locker, Tarzan. Mich hat nur etwas überrascht.«

      »Ach ja? Was denn?«

      Flugs kam er um die Blätterwand gehüpft und stierte mich neugierig an.

      Was sollte ich ihm sagen? Dass Dengelmanns Stimme mich schier umgehauen hatte? Wie doof hörte sich das denn an? Nun ist es allerdings so, dass ich auf Stimmen reagiere. Jemanden mit einem Organ, das klang wie kreischende Kreide auf einer Schultafel, kann ich auf Dauer nicht in meiner Nähe ertragen, auf keinen Fall. Oder jemanden, der monoton vor sich hin salbadert.

      Eine schöne Stimme sprüht vor Leben, weckt Fantasien – wer wüsste das besser als ich? Schließlich verdiente ich damit mein Geld an der Sexhotline, und ich hatte nur meine Stimme, um den Männern ein aufregendes Abenteuer zu verschaffen, für das sie gerne bezahlten.

      »Was war denn nun?«, fragte Erwin. »Du bist ja schon wieder so weggetreten. Allmählich wird mir das unheimlich.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Muss es nicht. Du hast ihn doch selbst gehört.«

      »Wen?«

      »Dengelmann.«

      Er glotzte mich an, als würde ich in einem seltenen Hindi-Dialekt sprechen. Offenkundig wusste er kein Stück, worauf ich hinauswollte. Er schien zu grübeln, ob er vielleicht Wesentliches überhört hatte.

      »Seine Stimme«, fügte ich hinzu.

      »Wessen Stimme?«

      »Dengelmanns.«

      Sein Gesicht veränderte sich nicht.

      »Jaaaaaa …?«

      Meinem lieben Kumpel Erwin ging – offenkundig, die zweite – Dengelmanns Stimme gepflegt am Arsch vorbei, um es mal salopp zu formulieren.

      »Er hat die schönste Stimme, die ich jemals gehört habe.«

      Um ihm eine Freude zu machen, spendierte ich ihm noch einen theatralischen Seufzer obendrauf.

      Seine Miene veränderte sich zu Misstrauen. »Du bist doch nicht etwa besoffen?«

      »Sicher, das wird es sein: Ich bin sturzbesoffen. Schließlich beginne ich den Tag immer mit einem Wasserglas Wodka, wie allgemein bekannt ist.«

      »Werd mal nicht frech, Frolleinchen. Ernsthaft – es kann doch nicht nur die Stimme gewesen sein. Warum hast du so panne aus der Wäsche geguckt?«

      Ich grinste, lehnte mich lässig in seinem Chefsessel zurück und legte die Füße auf seinen Schreibtisch. »Okay, ernsthaft: Seine Stimme hat mich total überrascht. Angenehm überrascht. Frau Bergers Beschreibung hat in mir das Bild eines kleinen, mickrigen Männleins entstehen lassen, und dazu gehörte für mich beinahe schon zwingend eine Stimme, die klingt wie trockenes Laub.«

      »Wie?«

      »Trockenes Laub. Knisternd, total dröge, ohne Wärme oder Tiefe. Ohne Melodie. Ich war nicht vorbereitet auf diese wunderschöne, warme Stimme.«

      Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Okay. Hätten wir also professionell geklärt, dass Dengelmanns Stimme ein echter Schlüpferstürmer ist.«

      »Erwin!!!«

      »Was denn? Ist doch so, oder etwa nicht? Wenn die Stimme soooo toll ist, quatscht der die Weiber damit bestimmt reihenweise ins Bett. Könnte für den Fall durchaus interessant sein.«

      »Wann denn? Der war doch wohl rund um die Uhr damit beschäftigt, seine Jutta zu überwachen.«

      »Pfff.« Erwin zuckte mit den Schultern. »Wer das will, schafft das auch. Vielleicht war er ja gar nicht immer in seinem Hobbykeller, sondern unterwegs. Kann man nicht wissen. Es muss doch einen Grund dafür geben, dass er seine Gattin nicht in den Keller gelassen hat.«

      »Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht wollte er einfach nur seine Ruhe haben.« Ich winkte ab. »Alles Weitere ist reine Spekulation. Nein: absolut alles. Wir wissen nur das, was Frau Berger erzählt hat. Offenkundig hasst sie den Kerl, weil er ihr die Freundin weggenommen hat, die jetzt angeblich auch noch verschwunden ist. Sie wäre nicht die erste Verrückte, die jemanden denunziert.«

      Erwin musterte mich mit gerunzelter Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Hat er dich also schon einkassiert mit seiner Säuselstimme. Ich frage mich, ob du noch neutral genug bist, um deine Aufgabe zu erfüllen«, spottete er.

      »Klar bin ich das!«, rief ich empört. »Wen willst du denn sonst hinschicken – Frank, vielleicht?«

      Das sollte er nicht wagen.

      Ich war jetzt viel zu neugierig auf Herrn Dengelmann.

      Das schmucke Vier-Parteien-Haus mit der hellgelb verputzten Fassade und den ausladenden Erkerfenstern sah aus, als könnte es sich nicht jeder leisten, hier zu wohnen. Schon von außen ließ es auf großzügige Wohneinheiten mit mindestens neunzig Quadratmetern Fläche schließen, und ich wettete mit mir selbst, dass die Erdgeschosswohnungen nach hinten raus schicke Terrassen hatten. In dieses Objekt würde locker die doppelte Anzahl Mietparteien passen.

      Ich spähte unauffällig zu den Fenstern auf der linken Seite im ersten Stock, an denen weiße Spitzengardinen in vorbildlichem Faltenwurf hingen, die den Blick ins Innere versperrten. Mann, hoffentlich fing mein Job – wenn ich ihn denn bekam – nicht damit an, dass ich gefühlte achthundert Quadratmeter Gardinen abhängen, waschen und wieder aufhängen musste, so als Probearbeit, um mich zu qualifizieren. Dann konnte ich direkt einpacken.

      Die Fenster der Berger ein Stockwerk darunter rahmten schwere Stores prunkvoll ein. Ob sie wohl auf eine Leiter steigen, ein Glas an die Decke pressen und versuchen würde, zu belauschen, was Dengelmann und ich redeten, wenn sie wüsste, dass ich jetzt meine Verabredung mit ihm hatte? Zutrauen würde ich es ihr jedenfalls.

      Ich widerstand dem Impuls, meine Jacke glatt zu ziehen und meine Schuhe dezent an den Hosenbeinen zu polieren. Schließlich stand mir hier kein Treffen mit meiner adeligen, potenziellen Schwiegermutter in spe bevor, bei der ich einen einwandfreien Eindruck machen musste. Herrje – es ging bloß um einen blöden Minijob, oder wie das hieß.

      Nein. Ging es nicht.

      Es ging um einen verdammten Auftrag, und ich musste alles daransetzen, diesen Job zu kriegen.

      Ich zog also die Jacke zurecht, wischte zur Sicherheit dann doch lieber die Schuhe hinten an den Hosenbeinen ab, atmete tief durch und wollte gerade auf die Klingel drücken, an der … Ich stoppte gerade noch rechtzeitig, denn, ups, beinahe hätte ich bei Frau Berger geklingelt, weil ich vor einer Minute noch an sie gedacht hatte. Mein Finger wanderte höher bis zu Dengelmann. Ich presste den Knopf.

      Wie köstlicher Himbeersirup floss es aus der Gegensprechanlage. »Ja bitte?«

      »Guten Tag, Herr Dengelmann«, raunte ich mit meiner tiefsten Stimme, die ich instinktiv gewählt hatte. »Hier ist Loretta Luchs. Wir sind … verabredet.«

      Verdammt, ich klang wie auf der Arbeit.

      Reiß dich zusammen, Loretta, dich sticht wohl der Hafer, dachte ich erschrocken.

      »Frau Luchs. Kommen Sie herein. Erster Stock.«

      Okay – dies war ein Hinweis für Halbgescheite. Wo sollte er schon wohnen, in einem zweistöckigen Haus mit zwei Klingelknöpfen auf der linken Seite, und sein Name stand auf der oberen der beiden? Hallo? Hielt er mich für dämlich? Aber was wusste ich schon, welche Erfahrungen er bisher mit seinen Putzkräften gemacht hatte.

      Der Summer erklang, und ich drückte die schwere Haustür auf, eine designerische Geschmacklosigkeit aus kupferfarbenem Metall

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