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dem Verwechseln der Realitäten funktioniert auch andersherum, wie Loretta entsetzt feststellen muss

      Der Wecker holte mich am nächsten Morgen aus tiefstem Schlaf. Es war Freitagmorgen, und die erste offizielle Schicht bei Dengelmann wartete auf mich. Oder anders: Dengelmann saß vermutlich bereits bei einer seiner affigen Teezeremonien und wartete darauf, dass ich bei ihm aufkreuzte, während er einen unbezahlbaren und unfassbar seltenen Tee schlürfte, der mitten im Dschungel von Borneo von dressierten Zwerg-elefanten gepflückt worden war.

      Und in weniger als einer Stunde würde er hinter mir stehen, mir in den Nacken atmen und mir auf die Finger sehen, um zu prüfen, ob ich seine Protzbude auch richtig auf Vordermann brachte.

      Spontan fiel mir nichts ein, wozu ich weniger Lust hatte. Welcher Teufel hatte mich bloß geritten, mich auf diese Geschichte einzulassen? Erwin und Dennis hatten gut lachen, schließlich waren sie nicht die Deppen, die den Feudel schwingen mussten. Nein, die Herren ließen mich schuften und hockten währenddessen in ihren Büros, ohne sich merken zu müssen, welche Lappenfarbe für welchen Quadratzentimeter Badezimmer die richtige war.

      Mein Missmut konzentrierte sich also auf meine beiden Chefs, was gut war, denn Herr Dengelmann konnte schließlich nichts dafür. Er ahnte ja nicht einmal, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Er hätte bestimmt nicht schlecht gestaunt, wenn er erfahren hätte, dass seine Nachbarin durch die Weltgeschichte spazierte und ihn nicht nur des Mordes an seiner abgängigen Gattin verdächtigte, sondern auch noch Geld dafür ausgab, dass er entlarvt wurde.

      »Guten Morgen, Frau Luchs«, sagte Herr Dengelmann und nahm mir die große Einkaufstasche ab. Er warf einen Blick hinein und nickte. »Sie werden staunen, was ich für uns vorbereitet habe. Ich bin sicher, Sie werden zufrieden mit mir sein.«

      Huch? Was kam denn jetzt?

      Ich folgte ihm in die Küche, und er händigte mir strahlend eine von ihm angefertigte Tabelle aus, in der bisher lediglich die erste Spalte beschriftet war. In ihr hatte er alle nur denkbaren Farben aufgeführt.

      »Sehen Sie? Der Rest der jeweiligen Zeilen ist für Sie … Also, in der nächsten Spalte tragen Sie ein, welche Farbe wofür benutzt wird. Und in die dritte Spalte kommt das jeweilige Putzmittel. Na, was sagen Sie? So mache ich keinen Fehler, wenn ich zwischendurch mal selbst putze.« Er sah mich erwartungsvoll an.

      »Das ist … das ist ja toll«, stammelte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Irgendwie fand ich ihn sogar richtig rührend.

      Und tatsächlich war die Idee nicht schlecht. Diese Liste könnten wir in seinem Hauswirtschaftsraum aufhängen, und ich musste mir keine Gedanken darüber machen, ob er den Lappen fürs Klo eventuell für die Fensterbänke benutzte.

      Stopp mal.

      Hatte ich vor, bei Dengelmann mehr als drei oder vier Putzschichten abzuleisten? Nein, das hatte ich nicht. Mir konnte also vollkommen wurscht sein, ob er sich mit dem Klolappen das Gesicht wusch oder nicht.

      »Also gut«, fuhr ich fort, »dann will ich mal die Zuordnung festlegen. Einverstanden?«

      Wir setzten uns an den Küchentisch, und er sah mir andächtig dabei zu, wie ich die Farben verteilte. Ich war froh, dass er mich machen ließ, ohne Kommentare abzugeben, denn ich brauchte meine gesamte Konzentration, um mich an Doris’ Einteilung zu erinnern. Eine eigene zu erfinden, hätte mich zusätzlich verwirrt, zumal ich mich ohnehin wie vor einer Prüfung fühlte.

      Als ich fertig war, überreichte ich ihm die Tabelle feierlich, und er nahm sie beinahe ehrfürchtig entgegen.

      »Also, was liegt heute an?«, fragte ich ihn dann.

      »Die Fußböden«, erwiderte er. »Heute allerdings nur trocken, das reicht. Und die Fenster, dachte ich.«

      Super, dachte ich, saubere Fenster putzen und dabei aufpassen, dass ich keine Streifen produziere.

      Ein Traum.

      Während ich mir einen Eimer mit Putzwasser zurechtmachte und das entsprechende Equipment zusammensuchte, rekapitulierte ich hastig, was Doris mir über streifenfreie Fenster beigebracht hatte. Tatsächlich war ich froh, dass es ein sonniger Tag zu werden versprach, denn so konnte ich bei Bedarf unauffällig nachbessern und lief nicht Gefahr, dass die Fenster zwar sauber aussahen, beim ersten Sonnenstrahl aber mein ganzes Unvermögen verraten würden.

      »Wenn Sie irgendetwas brauchen – ich ziehe mich in mein Arbeitszimmer zurück«, verkündete er.

      Vor Erleichterung hätte ich losheulen können. Ich konnte also allein vor mich hin wurschteln, ohne dass er mich dabei mit Argusaugen beobachtete. Offenbar hatte ich ihm genügend Vertrauen in meine Fähigkeiten eingeimpft. Einmal mehr dankte ich im Stillen Doris – sowie meinem schauspielerischen Vermögen, bei kompletter Ahnungslosigkeit dennoch kompetent zu wirken.

      Ich schäumte, putzte und polierte mich also durch die Fenster, was mir leichter fiel, als ich befürchtet hatte. Bereits nach dem zweiten hatte sich bei mir eine gelassene Routine eingestellt, die mich nicht nur außerordentlich verblüffte, sondern geradezu euphorisierte.

      Ich befand mich gerade auf dem Balkon und polierte munter summend die Scheibe der Balkontür, als Dengelmann plötzlich im Wohnzimmer auftauchte und wissen wollte, ob ich etwas benötigte.

      Irgendetwas in meinem Kopf verschob sich, und fast wäre mir der blöde Lappen aus der Hand gefallen. Ohne es auch nur zu ahnen, hatte Dengelmann mir damit einen höchst surrealen Hausfrau-Uschi-Moment beschert, eine in diesem Augenblick mehr als unwillkommene Manifestation der pornografischen Szene, die ich schon so oft am Telefon gespielt hatte. Unwillkürlich vergewisserte ich mich unauffällig, dass ich komplett angezogen war und nicht etwa in Schlüppi und Kittel auf seinem Balkon herumturnte.

      Nur mühsam gewann ich meine Fassung zurück, schüttelte den Kopf und hob grinsend den Daumen, woraufhin er sich wieder verzog.

      Ich lehnte mich an die Balkonbrüstung, um tief durchzuatmen. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Arbeit fortsetzen konnte.

      Schließlich waren nur noch zwei Räume übrig: das Schlafzimmer und sein Büro. Er hatte gesagt, sein Arbeitszimmer gehöre nicht zu meinem Aufgabenbereich. Putzte er dort selbst? Oder war das Fenster vielleicht blind vor Dreck?

      Einige Sekunden lang stand ich unschlüssig vor der Tür, dann war meine Entscheidung gefallen. Ich klopfte, wartete allerdings nicht auf seine Antwort, sondern platzte überfallartig sofort hinein.

      Er saß am Schreibtisch vor einem Laptop mit großem Bildschirm und fuhr erschrocken zu mir herum. Zwar veränderte er geistesgegenwärtig mit einem hastigen Klick die Anzeige auf seinem Monitor, aber ich hatte bereits erkannt, womit er sich gerade beschäftigte: Dort war die Website einer durch Werbung in Funk und Fernsehen bekannten Partnerschaftsbörse zu sehen gewesen.

      So war das also: Der verlassene Herr Dengelmann guckte sich bereits nach Ersatz für seine Jutta um, das war ja mal hochinteressant.

      »Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch, und seine Stimme klang auf einmal gar nicht mehr nach süßem Honig. »Hatte ich Ihnen nicht erklärt, dass es für Sie in diesem Raum nichts zu tun gibt?«

      Rasch heuchelte ich angemessene Zerknirschtheit. »Ach, das gilt auch für die Fenster? Das hatte ich falsch verstanden. Ich dachte, Sie wollten, dass ich von Ihrem Schreibtisch wegbleibe und nichts durcheinanderbringe.«

      »Nein, das gilt für den gesamten Raum«, blaffte er.

      »Kommt nicht wieder vor«, murmelte ich devot. »Ich kann mich nur bei Ihnen entschuldigen, Herr Dengelmann.«

      Er schnaubte und wandte mir abrupt wieder den Rücken zu, und ich zog mich wieder zurück.

      Was haben seine Aktivitäten bezüglich Partnersuche wohl zu bedeuten?, fragte ich mich.

      Hatten sie irgendeine Bedeutung für unseren Fall – wenn es überhaupt einen Fall geben sollte? Oder hatte Jutta Dengelmann ihn tatsächlich nur einfach verlassen, wie er Frau Berger gegenüber behauptet hatte, und er sah sich mal unverbindlich auf dem Markt um? Nichts, was

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