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nickte verständnisvoll und erhob sich mit den Worten: „Danke, Frau Lönderer!“

      „Eines noch, Frau Kommissarin. Ich habe mal in den alten Bauunterlagen nachgeschaut, die Sprunggrube wurde 2008 auf Drängen der Häftlinge gebaut.“

      Das Wetter war klamm und Sandra fühlte sich in Shirt und Lederjacke underdressed, als sie die U-Bahn an der Station Eppendorfer Baum verlassen hatte. Sie wollte noch spazieren gehen und die wilden Gedanken der letzten Stunden aus ihrem Kopf vertreiben. Doch es misslang. Zu viel Menschenverkehr in der Bahn und auf den Bahnhöfen, dazu jede Menge auffälliger Personen, denen sie begegnete. Das bedurfte ihrer gesamten Aufmerksamkeit auf dem Weg zum Butenfeld. Sandra war froh, endlich das Gebäude der Rechtsmedizin erreicht zu haben. Auf ihr Klingeln an der Pforte öffnete man sofort und teilte ihr freundlich mit, Dr. Pellin erwarte die Kommissarin.

      „Danke, Uwe, dass du Zeit für mich hast!“ Sandra wusste, dass es unüblich war, hier ohne Anmeldung vorstellig zu werden. Alles hatte seinen bürokratischen Gang und der hieß: Warten, bis der Bericht der Rechtsmedizin im Landeskriminalamt 41 eintraf.

      Pellin zuckte mit den Schultern. Sie vermisste sein Lächeln. Als er die Kommissarin in sein Büro führte, kam sie nicht mehr umhin, ihn darauf anzusprechen.

      „Was ist los, Uwe, irgendetwas bedrückt dich doch?“

      Mit blitzenden Augen schaute der Mann sie an. Dann wurden seine Augen etwas sanfter, und endlich grinste er und legte Sandra seinen Arm um die Schultern.

      „Nicht nur du hast es schwer, Sandy!“

      Sandy! Wer hatte sie zuletzt mit Sandy angesprochen. Sandra mochte diesen Kosenamen nicht. Ihr Vater hatte sie bis zu seinem Tode Sandy gerufen. Danach hatte sie sich mit aller Macht und Erfolg dagegen gewehrt, so gerufen zu werden. Gut, dem Kollegen Sokolowski entfuhr manchmal dieser Name, aber Soko war eh nicht ernst zu nehmen. Sie entwand sich geschickt dem Arm des Rechtsmediziners und setzte sich geschwind auf den Stuhl gegenüber seines Schreibtischs.

      „Dann erzähl mir, um was es geht!“

      Pellin hatte die Position noch einige Sekunden gehalten und hatte sich dann auf seinen Bürostuhl gesetzt.

      „Traudel Kensbock kommt zurück!“

      Diese vier Worte reichten, um Sandra die Tränen in die Augen und den Kreislauf etwas in die Höhe zu treiben.

      „Was sagst du?“

      „Ja, es ist kein Scherz, Sandra. Sie wird für ein Jahr die Leitung der Rechtsmedizin übernehmen.“

      Sandra war zunächst noch immer sprachlos. Dann hatte sie sich gefangen.

      „Und du?“

      „Was du nicht weißt, ist, ich war zunächst Kinderarzt, bevor ich mich der Pathologie gewidmet habe. In den letzten Jahren habe ich viel nachgedacht, ob mich das Sezieren von Leichen genauso zufriedenstellt wie zuvor die Kindermedizin.“

      Sandra wartete gespannt auf die gesamte Erklärung des Arztes.

      „Nun kam ich durch Glück zu einer Gastprofessur in den Vereinigten Staaten. Ich werde ab kommende Woche zusammen mit Professorin Dr. Deborah L. Radisch an der University of North Carolina an der Abteilung für Pathologie und Labormedizin der University of North Carolina arbeiten. Deborah kenne ich schon länger. Sie hat einen Abschluss in Medizin sowie einen Master in Public Health. Ihre Erforschung von Todesfällen bei Kindern macht sie zu einer besonders überzeugenden Professorin für forensische Pathologie. Und sie hat mir diesen Job schon seit Jahren wiederholt angeboten. Und nun habe ich zugeschlagen. Bevor es zu spät ist!“

      Sandra hatte sich wieder gefasst. „Aber ... aber so schnell?“

      „Nun, ich wusste es schon länger.“

      „Und du hast ...!“

      „Ich wollte erst warten, wie es weitergeht. Und als man Professor Kensbock überreden konnte, habe ich letztendlich zugesagt. Traudel wird schon heute Abend hier erwartet und ihr altes Appartement beziehen. Du kennst es ja. Es stand die gesamte Zeit – bis auf einige Gäste – leer.“

      „Wollen wir über die beiden Leichen von Santa Fu reden?“

      „Es tut mir leid, Sandra. Ich habe diesbezüglich keinerlei Infos. Ich war dabei, meine Unterlagen zusammen­zupacken, während Dr. Fischer unten die Überreste der beiden Toten obduziert. Aber ich hole ihn. Er kann dir mehr darüber berichten.“

      Pellin war aufgestanden und hatte den Raum verlassen.

      Waren das gute oder schlechte Nachrichten, dass Pellin die Rechtsmedizin verließ und Traudel Kensbock zurückkehrte? Das musste sie erst einmal verdauen, bevor sie Prognosen abgab. Und wieso war Fischer noch in Hamburg?

      Pellin war zurück, im Schlepptau hatte er Dr. Sebastian Fischer.

      „Wie ich höre, Sandra, weißt du Bescheid über den Wechsel in der Führung der Rechtsmedizin. Dann setzte ich mich noch mal schnell auf den Chefsessel, bevor die gnadenlose Professorin aus Leipzig eintrifft.“ Fischer grinste über das ganze Gesicht und die Kommissarin wunderte sich, woher er seine positive Energie bezog.

      „Du möchtest sicher etwas über die Leichenfunde aus Fuhlsbüttel wissen? Es handelt sich tatsächlich um zwei Männer. Lagen bestimmt zehn Jahre in der Sprunggrube. Vom Alter her sind beide zwischen vierzig und sechzig Jahre alt. Der Größere war wohl eher kräftig, hatte schon ein neues Hüftgelenk, und der Kleinere ist ohne jegliche Brüche. Zahnstatus des Dicken – nennen wir ihn Igor – schlecht. Raucher, Amalgam, Goldkronen im Mund, daher meine Idee mit Igor. Die Zähne des jüngeren Mannes: weniger Amalgam, auch ungepflegt, dafür Zahnlücken hinten, auch ein starker Raucher.“ Fischer schwieg und schien kurz zu überlegen.

      „Marke?“

      „Was meinst du?“

      „Welche Marke haben die beiden geraucht, Basti?“ Sandra grinste.

      Fischer schüttelte den Kopf. „Du solltest das ernst nehmen!“

      „Ha, ha, das sagt der Richtige!“

      „Gibt es sonst etwas? Kleidungsstücke?“

      „Natürlich, steht alles im Bericht. Er ist vor wenigen Minuten auf Anfrage direkt zum Kriminalrat raus.“

      „Würdest du es mir trotzdem sagen?“

      „Klar! Beide Leichen trugen Anstaltskluft. Also die Bekleidung der Gefangenen, wie sie damals gebräuchlich war. Bei Igor fehlt jedoch die Jacke. Sein Grabnachbar war komplett bekleidet. Ansonsten keine Namen. Taschen leer. Keine Etiketten oder Ähnliches, soweit wir das noch erkennen konnten. Um die DNA der beiden kümmert ihr euch ja selber.“

      „Wie, damals?“

      Fischer schaute fragend.

      „Die Anstaltskluft!“

      „Ach so! Ja, ab dem Jahr 2011 hat man den Gefangenen erlaubt, ihre eigene Kleidung zu benutzen und anzuziehen. Das spart der Justiz inzwischen sicher einen Haufen Geld.“

      „Und 2008 wurde die Grube in Santa Fu gebaut und in Betrieb genommen.“

      Fischer stutzte, und legte die Stirn etwas in Falten. „Gut zu wissen, das bestätigt meine Vermutung. Die beiden Männer wurden also zwischen 2008 und 2010 in dieses Grab verbracht.“

      „Kannst du mir bitte noch etwas über die Todesursache sagen, Basti?“

      „Entschuldige, das hätte ich glatt vergessen: Igors Todesursache festzustellen, war etwas tricky. Doch ich bin mir absolut sicher, Igor wurde erwürgt. Eigentlich gibt es nahezu keine Chance, nach so einer langen Liegezeit Todesursachen wie Erwürgen oder Erdrosseln nachzuweisen. Es sei denn, die großen Hörner des Zungenbeins oder die Fortsätze des Schildknorpels wurden durch die angewandte Gewalt gebrochen. Ein solcher Fund spricht für grobe Gewalt gegen den Hals. Diese Teile des Kehlkopfskeletts sind aber sehr klein und oft

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