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aber ihre Feuchtigkeit riechen. Wie kalt das Wasser wohl sein würde? Es war Anfang Oktober und obwohl der Herbstmonat bisher äußerst mild daherkam, fror er. Schaudernd zog Monarch den Zipper seiner dienstlichen Vliesjacke hoch bis zum Hals, schoss über die Freihafenelbbrücke zur Zweibrückenstraße. Ein Blick in die Seitenspiegel zeigte: Der Einsatzwagen war nicht mehr hinter ihm, er musste ihn wohl abgehängt haben. Wieder schien sich das Blatt zum Guten zu wenden. Doch sicher trog der Schein. Augenblicklich gab es keine Verfolger, keine Zuschauer, keine weiteren Fahrzeuge. Nur er allein auf der Straße mit seinem fehlgeschlagenen Plan. Alleingelassen von der Ehefrau, unsicher, ob der Plan – nach der bisherigen Pleite – noch gut ausgehen würde.

      Wie von Geisterhand verwandelte sich die dunkle Nacht plötzlich in eine gespenstische Bläue. Als ob weit vor ihm die Sonne explodierte, so stark war das Lichter­meer, auf das er traf. Monarch hielt den Atem an und verlangsamte das Tempo des Werttransporters. Sofort wurde ihm klar, dass man oben auf der Freihafenelb­brücke eine Straßensperre errichtet hatte. Die Silhouetten der Fahrzeuge und Personen hoben sich strobos­kopartig vom gleißenden Blaulicht ab. Man musste geahnt haben, in welche Richtung er unterwegs sein würde. Sein Blick in den Rückspiegel zeigte: Auch weit hinter ihm bewegte sich das Blau wie eine Walze durch den sich auflösenden Nebel auf ihn zu:

      BLAULICHT, SOWEIT DAS AUGE REICHTE!

      Statt Morgenrot ein Morgenblau – mal etwas anderes, versuchte er sich aufzumuntern. Monarch erinnerte sich daran, dass ihm mal jemand als kleiner Junge erzählt hatte, das Blaulicht sei schon vor dem Krieg eingeführt worden. Es ging wohl um Anforderungen des Luftschutzes, da blaues Licht die höchste Streuung in der Atmosphäre hat und daher für Bomber in großen Höhen nicht mehr sichtbar war. Wie kam er da jetzt bloß drauf? Gerade jetzt, kurz bevor sie ihn schnappen würden? Er versuchte sich an den Erzähler zu erinnern – vergebens.

      Eines war sicher: Den schützenden Container würde er keinesfalls mehr erreichen können. Vielleicht war es am besten, Selbstmord zu begehen. Dann wäre er schon bald bei seiner Linda. Aber würde Gott – falls es ihn tatsächlich gab – ihm, dem Ungläubigen, auch ein Treffen mit der toten Ehefrau gewähren? Das schien Mo­narch eher unwahrscheinlich. Ein anderer Plan musste her. Vor allem galt es, das Fahrzeug von der Straße zu bringen. Aber wohin? Versenken kam ihm in den Sinn. Fleete gab es hier genug, aber waren sie auch so tief, um den Wagen komplett dort untergehen zu lassen? Ihm fehlte die Zeit, bei der Hamburg Port Authority anzurufen und die aktuellen Wasserstände abzufragen. Vor ihm lauerte die Polizei – hinter ihm auch. Doch noch bestand eine geringe Chance, die Restdunkelheit ausnutzen um sich beziehungsweise den Wagen in Luft oder besser in Wasser aufzulösen. Schon wenige Meter entfernt konnte er die Kanäle ausmachen.

      Monarch riss das Lenkrad nach links, bremste etwas spät. Der schwere Wagen verlor den Halt und der Fahrer spürte, wie sich die rechte Seite vom Untergrund löste. Jetzt nicht schon auf der Straße umfallen, waren seine Gedanken, während er instinktiv gegenlenkte. Der Wagen fing sich wieder, polterte wie ein altes Pferdefuhrwerk zurück auf die Räder. Dann schoss er über Schienengleise, vorbei an alten Containern, an abgestellten Schrottfahrzeugen, und ohne zu bremsen lenkte Monarch den Kastenwagen in Richtung der Kaimauer des Oberhafenkanals zu. Er verschwendete keinen Gedanken an sein Tun und Handeln, warf einen letzten Blick in Richtung Aussichtspunkt Billhafen, der durch blinkende Lampen Aktivitäten zeigte. Dann trat der Fahrer das Gaspedal voll durch. Er agierte statt zu reagieren, dachte nicht nach, ließ sich einfach von einem Gefühl leiten. Als die Vorderräder die Kaimauer überfahren hatten, jaulte der nun arbeitslose Motor des frontangetriebenen Fahrzeugs lautstark auf. Das Geräusch tat Patrick Monarch in den Ohren weh, aber wer fragte schon nach seinen Beschwerden? Inzwischen hatte auch die Hinterachse den festen Boden verlassen, und wie so oft von Monarch in Filmen bewundert, flog das tonnenschwere Fahrzeug fast schwerelos durch die Hamburger Morgenluft, um dann – wie ein Stein – nach unten zu stürzen.

      Beim harten Aufprall auf der Wasseroberfläche fuhr Patrick Monarch erneut ein böser Schmerz in die Wirbelsäule, und trotz Gurt und krampfhaftem Halt am Lenkrad hatte er sich den Kopf schmerzhaft an der Wagendecke angestoßen. Doch es blieb keine Zeit, zu jammern oder nach einer Wunde zu suchen. Wasser begann sofort in den Wagen einzudringen. Kaltes, dunkles Elbwasser. Zunächst nur wenig. „Der schwere Koloss ist halt nicht für Bootstouren geeignet!“, belustigte er sich lautstark und seine Stimme klang ihm selbst so fremd. Gleichzeitig bemühte er sich, die Fahrertür zu öffnen. Doch sie ließ sich kaum bewegen. Dann endlich, mit dem Aufbieten aller Kraft – kurzzeitig wurde ihm leicht schwarz vor den Augen – wuchs der Spalt auf einige Zentimeter an. Wie losgelöst und ausgehungert stürzten sich weitere Wassermassen durch die geöffnete Tür. Monarch gab alles, und endlich schaffte er es, seinen über die letzten Wochen ausgemergelten, dünnen Körper hindurchzuschieben. Er fühlte das kalte Flusswasser erst an seinen Füßen, wenig später am Unterleib. Der Wagen schwamm noch einen Moment, kippte dann – wie in Zeitlupe – auf die Seite. Mit einer Drehung im Bereich der Wagentür glitt Monarch nun völlig in die dunkle Brühe. Er dachte an das Geld, an seine tote Frau und an die Zukunft, als er sich – mit ersten Schwimmbewegungen – vom Fahrzeug entfernte.

      Die Kälte breitete sich bei ihm aus wie ein Tintenfleck auf einem Löschblatt!

      Er hatte es versaut! Gut, dass Linda diese Blamage nicht mehr mitbekam. Dann war da nur noch Kälte.

      Leichen in der Grube

      Hamburg, 10. September 2019

      Hauptkommissarin Sandra Holz war mit der letzten Maschine aus Paris zurück nach Hamburg geflogen. Den gebuchten Direktflug aus Nizza am gestrigen Abend hatte man gestrichen und so musste sie quer durch Frankreich fliegen, um über Paris zurück in die Hansestadt zu gelangen. Trotzdem konnte sie von Glück reden, überhaupt noch ihr Ziel erreicht zu haben. Die französischen Fluglotsen hatten es sich wohl kurzfristig überlegt zu streiken, und nach ihrem Abflug, so hörte sie von der Air-France-Crew, ging auf ,Charles de Gaulle‘ gar nichts mehr. Dabei hatte ihre Aussage – was die Verhaftung und Überstellung vom festgenommenen ehemaligen Hamburger Staatsanwalt Nischer-Durant betraf – nur wenige Minuten in Anspruch genommen, bevor man sie wieder entließ.

      Sandra war ohne zu duschen ins Bett gefallen. Nur die Zähne hatte sie geputzt und sich bei ihrem Lebensgefährten Caro noch mit einem Küsschen für die Eile entschuldigt. Noch immer gingen ihr die Bilder der in einer Kiste eingeschlossenen Katharina nicht aus dem Kopf. Zum Glück hatte sich für die entführte 12-jährige Hamburgerin alles zum Guten gewendet. Endlich war die Kommissarin in einen Tiefschlaf versunken und konnte aus diesem Grunde die leichten Stöße und Rufe an ihrer Seite nicht zuordnen.

      „Taxi für Frau Hauptkommissarin!“

      Der Traum gefiel ihr nicht und sie zog sich – stöhnend und wie in Trance – das Kissen über den Kopf.

      „Sandra, echt, deine Kollegen rufen nach dir. Tut mir leid, es ist nicht meine Schuld!“

      Das schien tatsächlich kein Traum zu sein. Sandra blinzelte mit den Augen. Im Schlafzimmer des Paares war etwas Licht und der Funkwecker zeigte verschwommen kurz vor vier Uhr am Morgen an.

      „Spinn ich?“, brüllte sie und richtete sich auf. Caro saß splitternackt vor ihr auf dem Bett und zuckte erschrocken mit den Schultern.

      „Hatte ich denn nicht alle Handys ...?“

      „Sie haben Sturm geklingelt. Ein Uniformierter. Er lässt sich nicht abweisen!“

      Inzwischen hatte sich Sandras Kreislauf stabilisiert und sie schaute auf Caros gut gebauten Körper.

      „Hast du dem Typen so die Tür aufgemacht?“

      Wieder zuckte der ehemalige Kriminalbeamte mit den Schultern. Nur sein Grinsen war etwas breiter geworden.

      „Klar, dass er sich nicht hat abwimmeln lassen!“ Sandra war aufgesprungen und hatte das Laken vom Bett gerissen und sich umgewickelt. Kopfschüttelnd und gähnend verschwand sie aus dem Schlafzimmer. Caro hörte draußen ein Murmeln, dann ein paar Worte von Sandra und dazu eine männliche Stimme – sicher der Polizeibeamte. Kurze Zeit später stand Sandra wieder vor dem

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