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der Haftanstalt aufgefunden. Wir klären heute ihre Identität und so schnell wie möglich die Umstände, die sie in diese Grube gebracht haben. Und nun machen Sie bitte alle die Straße frei, bevor ich einen Abschleppwagen rufe.“

      Sandra hatte nach ihrer Rückkehr noch zwei Stunden tief und fest geschlafen, dann eine kalte Dusche genommen und anschließend zwei Espresso ex getrunken. Ein Croissant, das Caro übrig gelassen hatte, in der Hand, war sie zum Hauptbahnhof spaziert. Ihre Gedanken waren bei dem morgendlichen Leichenfund. Das war doch unglaublich: Zwei Leichen, vergraben auf dem Sportgelände einer Haftanstalt. Und nicht vor hundert Jahren, sondern noch in diesem frischen Jahrhundert. Sie hatte schon vieles erlebt und noch mehr erfahren dürfen, aber das war sicher das Seltsamste, was sie je bearbeiten musste.

      In ihrem Büro angekommen, warteten schon die Kollegen Emma Meyfeld und Mikael Vitthudt in Sandras Büro auf die Kommissarin. Emma hatte die Füße auf deren Schreibtisch abgelegt und machte beim Eintreten ihrer Vorgesetzten keinerlei Anstalten, dies zu ändern. Erst wollte Sandra ihre Kollegin zurechtweisen, ließ es dann aber und setzte sich auf einen Sessel an den kleinen Tisch.

      „Sandra, erzähle, wir kommen um vor Neugierde. Der NDR überschlägt sich mit Meldungen aus Santa Fu.“

      Sandra stand auf und schenkte sich aus der Thermoskanne auf der Fensterbank einen Kaffee ein.

      „Oh komm, bitte lass uns nicht hängen!“

      „Ihr werdet schon noch früh genug Arbeit bekommen!“, erklärte die Kommissarin zwischen zwei Schluck heißen Kaffees.

      „Also, es gab diesen Fund auf dem Sportplatz gestern. Arbeiter sind auf die beiden Leichen gestoßen, als sie die Sprunggrube ausbaggerten. Es scheint, dass die Tagschicht der JVA Fuhlsbüttel den Vorgang verschleiern wollte. Ein Baggerfahrer hat es aber dann angezeigt. Ich war am frühen Morgen da!“ Als Zeichen ihrer anhaltenden Müdigkeit gähnte Sandra in eine Handfläche.

      „Rechtsmediziner Fischer war auch da, konnte aber noch wenig zur Aufklärung beitragen. Die Leiterin der Anstalt – eine Frau Lönderer – wusste nichts bis gar nichts. Kriminalrat Jensen war schon vor mir eingetroffen. Ach ja, auch die Presse war früh auf den Beinen. Was soll ich sonst noch erzählen?“

      „Gibt es keine Vermutung vonseiten der Anstalt?“, wollte Kommissar MikVit wissen.

      „Nein, das müssen wir alles heute klären. Um vierzehn Uhr findet die Vernehmung der Beamten statt. In Santa Fu. Wo ist Soko?“ Sofort fiel Sandra ein, Oberkommissar Sokolowski war ja noch bis zum Ende der Woche in Urlaub. Das war schade, Soko war – was die Recherche anging – ihr erfahrenster Kollege.

      „Also hier eure Aufträge: Mik, du beschaffst jegliche Infos über die JVA. Wann erbaut, besondere Vorfälle dort, die Namen und Zeiten aller Anstaltsleiter, vermisste Häftlinge, Ausbrüche, das ganze Programm. Alles klar?“

      MikVit hatte alles auf einen Zettel geschrieben und nickte.

      „Emma, du bist die einzige Hamburgerin im Team, fange mir bitte die Stimmung in der Haftanstalt Fuhlsbüttel ein. Frage bei den Kollegen der Schutzpolizei Fuhlsbüttel nach irgendwelchen Ungereimtheiten in Santa Fu. Du machst das schon.“

      „Du fährst wohl in die Rechtsmedizin, Sandra?“

      „Nein, Emma. Die werden wohl heute wenig ausrichten. Ich fahre nochmals nach Fuhlsbüttel. Habe ein Date mit dieser Frau Lönderer und ihren Beamten.“

      Der Beamte im allgemeinen Vollzugsdienst an der Pforte der JVA hatte gute Laune. Er war sogar zu Scherzen aufgelegt, während er Sandras Waffe entgegennahm. Doch kein Wort fiel über die beiden Leichen, die wenige Hundert Meter von ihnen aufgefunden worden waren. Sicher lagen sie inzwischen in der Rechtsmedizin im Butenfeld und Dr. Fischer war voll bei der Untersuchung der Knochen. Aber war Fischer nicht heute in Stuttgart? Sandra fielen die Worte des Rechtsmediziners vom frühen Morgen ein. Gut, aber morgen musste sie nach Eppendorf, um mehr zu erfahren.

      Frau Dr. Lönderer ließ bitten. Das Büro der Anstaltsleiterin war groß und glich eher einer Bibliothek. Das Alter der Möbel entsprach dem Bau der Haftanstalt, die – wie Sandra unterwegs recherchiert hatte – um 1875 errichtet wurde. Sie war nicht allein. Eine weitere Frau saß am großen rechteckigen Eichentisch und diese schaute Sandra selbstbewusst und neugierig an. Ihre langen Haare hatten etwas den Halt verloren, während sie zur Kommissarin blickte.

      „Und Sie sind?“ Sandra ging auf die Unbekannte zu und stützte sich mit beiden Handflächen auf die kühle Tischplatte.

      „Dr. Wilhelmine Vogelschau, Justizsenatorin!“, antwortete die Frau mittleren Alters und warf – zur Unterstützung ihrer Aussage – ihre lange, brünette Mähne wieder in Ausgangslage.

      Sandra lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und sie bemerkte, wie ihre Hände leicht zu zittern begannen. Auch die Justizsenatorin schien es bemerkt zu haben und war aufgestanden. Langsam legte sich bei Sandra die Anspannung. Als Hamburger Kriminalbeamtin hätte sie die Politikerin unbedingt kennen müssen. Die Justizsenatorin war zwar erst wenige Wochen im Amt, versuchte sich Sandra innerlich zu entschuldigen, während sie sich vom Tisch aufrichtete und Frau Vogelschau entgegentrat.

      „Natürlich, die Frau Senatorin. Ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen.“ Sandra versuchte Land gutzumachen.

      „Dafür kenne ich Sie umso besser, Frau Holz. Setzen Sie sich zu uns!“

      Nach einem festen Händedruck wies sie Sandra einen Platz zu und diese ließ sich auf einem alten Lehnstuhl nieder.

      „Das ist eine schlimme Sache, Frau Holz!“, übernahm die Senatorin sofort das Wort. Sandra war klar, dass sie selbst nun das kleinere Glied in der Kette geworden war, und überlegte sich eine neue Strategie.

      „Wir müssen versuchen, das Ganze – ohne Schaden für die Justiz zu verursachen – über die nächsten Tage zu bringen.“

      Die Kommissarin nickte ernst.

      „Ich schlage vor, Sie spielen den Leichenfund herunter. Wir erklären etwas von internen Untersuchungen, und wenn Sie dann noch einen anderen Mordfall aus dem Hut zaubern, Frau Holz, hat die Presse den Vorfall schon wieder vergessen.“

      Sandra sog die Luft tief ein, sie hatte vor Schreck das Atmen vergessen.

      Die Senatorin erhob sich von ihrem Stuhl und drehte auf den hohen Absätzen in Richtung Ausgang. Die Anstaltsleiterin rannte hinterher und hielt ihr die Tür auf. Ohne ein Wort des Abschieds war das Klappern der Absätze noch einige Sekunden zu hören.

      Sandra schüttelte den Kopf. „Was war das denn?“

      Frau Lönderer hatte hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen und zuckte mit den Schultern. „Sie ist schon etwas, wie soll ich es ausdrücken, speziell!“

      Die Kommissarin kam nicht darüber hinweg und spürte noch immer, wie ihr Herzmuskel raste und ihre Lunge – aufgrund der Aufregung – übermäßig Sauerstoff einforderte.

      „Gut, wie dem auch sei, Frau Lönderer ...“, die Kommissarin musste tief einatmen, „... wir werden unsere Arbeit machen, so wie immer. Was haben Sie die letzten Stunden herausbekommen? Gibt es etwas, was uns weiterbringt?“

      „Ich muss Ihnen gestehen, Frau Kommissarin, ich kann Ihnen da wenig weiterhelfen. Ich habe den Posten Anfang des Jahres übernommen und bin eigentlich noch dabei, mich einzuarbeiten, und jetzt so etwas. Ich kann anbieten, Ihnen die Schichtpläne der letzten Jahre zukommen zu lassen. Weitere Einsicht in Akten des Strafvollzugs in Santa Fu müssen Sie über die Staatsanwaltschaft veranlassen. Ich hänge mich mit den Schichtplänen schon weit aus dem Fenster. Das bleibt natürlich erst einmal unter uns.“

      Sandra war aufgestanden und hatte sich auf den Stuhl gegenüber gesetzt. „Das klingt gut!“ Sie griff in die Tasche der Lederjacke und hielt der Frau wenig später ihre Visitenkarte hin. „Senden Sie bitte alles an diese

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