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sicher. Mindestens zehn riesige Flutlichter verursachten das Gefühl von extremer Hitze, und es fühlte sich an wie ein Sommertag auf der Insel Mallorca.

      Vor ihr lag ein ausgetretener Hartfußballplatz, darum eine ovale Schotterlaufbahn und seitlich erhoben sich die ihr bekannten Außenmauern der sternförmigen Haftanstalt Fuhlsbüttel. Ob die Gefangenen an den vergitterten Fenstern hingen und ihnen hier zusahen?, überlegte sie sich, als Jensen Sandra aus ihren Gedanken riss.

      „Die Leichen liegen weiter hinten, im Bett der Sprunggrube.“

      Das Wort Bett löste bei Sandra ein Gähnen aus und sie bemühte sich, mittels einer Kopfdrehung die Anwesenden es nicht merken zu lassen. Erst jetzt fielen ihr die beiden gelben Schaufelbagger auf, die man am Ende des Platzes abgestellt hatte. Aufgrund der Helligkeit waren sie fast unsichtbar, nur die schwarze Beschriftung konnte Sandra lesen.

      „Könnte man das grelle Licht nicht etwas runterregeln?“, bat die Kommissarin.

      Anstaltsleiterin und Kriminalrat Jensen schauten sich kurz an und versuchten die Frage als Spaß abzutun.

      „Nein, ich meine es tatsächlich ernst, Frau ...?“

      „Lönderer!“

      „Frau Lönderer, wem nützt es was, wenn wir uns hier unten die Augen verblitzen?“

      Die Leiterin der Haftanstalt überlegte kurz, griff dann in die Tasche und entnahm daraus ein kleines Funkgerät.

      „Schalten Sie die Beleuchtung der Türme vier und sieben aus!“

      Das war keine Bitte, bemerkte Sandra, aber ihr konnte es egal sein, wie die Frau mit ihren Beamten kommunizierte. Keine Minute später erloschen zwei Masten und nach einer kurzen Nachglühzeit war die Helligkeit fast gemütlich.

      Erst jetzt traten die beiden weißen Transporter der KTU in Sandras Blickfeld und sie freute sich, tatsächlich nicht die Einzige hier am frühen Morgen zu sein; natürlich mit Kriminalrat Jensen.

      Die ehemalige Sprunggrube, die ihr Vorgesetzter angesprochen hatte, war einem großen Krater gewichen. Nur ein riesiger Sandhaufen seitlich neben dem Bagger zeugte von der Sportmöglichkeit der hier Inhaftierten. Sandra hatte etwas Bedenken wegen ihrer neuen, weißen Sneakers und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

      Das breite Grinsen von Rechtsmediziner Dr. Sebastian Fischer konnte Sandra auch durch die Gesichtsmaske unter dem weißen Ganzkörperschutz erkennen. Dr. Fischer war noch nicht lange beim Institut für Rechtsmedizin im Hamburger Butenfeld, aber er übernahm inzwischen – wie Sandra fand – mehr Aufträge als sein Chef Dr. Pellin. Sie musste Uwe Pellin doch einmal fragen, welche Gründe es dafür gab. Als Fischers Grinsen nicht aufhörte und er noch immer in ihre Richtung starrte, grinste Sandra kurz zurück. Sie war stets der Meinung gewesen, der Junggeselle habe ein Auge auf sie geworfen. Kollegin Emma Meyfeld hatte ihr einmal erzählt, Fischer habe nach ihrem Status gefragt.

      Die drei traten gemeinsam an den Rand des Kraters. Er hatte die Ausmaße eines kleinen Gartenswimmingpools, rechteckig, und war mittig etwa einen Meter tief, schätzte die Kommissarin.

      „Die sind den beiden Toten dauernd auf den Köpfen rumgesprungen!“, hörte sich Sandra sagen. Doch zum Glück waren Jensen und die Frau Doktor in ein leises Gespräch vertieft. Jetzt sah Sandra auch die beiden dunkeln Gegenstände wenige Meter vor ihr in der Erde, die sie gleich als Wolldecken identifizierte. Oben klafften sie etwas auf und ihr war klar, dort hinein hatte man die Leichen gelegt. Sicher hatten die Decken die Verwesung etwas verlangsamt, aber darüber würde Fischer berichten. Sie zeigte auf die Grube und zuckte mit den Schultern in Richtung des Rechtsmediziners. Fischer winkte ihr zu und die Kommissarin kletterte vorsichtig über den Rand in die ehemalige Sprunggrube. Es kam ihr hier alles so seltsam vor. Irgendwie spürte sie Hunderte von Augenpaaren, die sie beobachteten, aber als sich Sandra umschaute, war hinter den dunklen Metallgittern der Fenster nichts zu sehen. Sicher täuschte sie sich und sie lief die wenigen Meter zur Spurensicherung.

      „Wurden Sie auch aus dem Schlaf gerissen, Frau Hauptkommissarin?“, trat ihr Fischer freudig entgegen. Ihr fiel ein, Fischer war der Letzte, mit dem sie noch ,per Sie‘ war. Das musste sie auf der Stelle ändern, obwohl der Zeitpunkt sicher schlecht gewählt war. Trotzdem trat sie näher an den Rechtsmediziner.

      „Dr. Fischer, lassen wir die Förmlichkeiten. Ich bin die Ältere!“, spekulierte sie, „lassen Sie uns zukünftig Du sagen. In Ordnung?“

      Fischer schien außer sich vor Freude und strahlte wie ein kleines Kind, das einen neuen Lederball geschenkt bekommen hatte.

      „Aber natürlich, Sandra. Das freut mich. Sie, also du kannst Basti zu mir sagen. Das ist kürzer als Sebastian.“

      Sie merkte an seiner Bewegung, dass er ihr die Hand geben wollte, doch sofort hatte er sie wieder zurückgezogen.

      „Na, Basti, dann erzähl mal!“

      „Gerne, Sandra. Ich wurde also um drei Uhr vierzehn angerufen; man erklärte, Bauarbeiter hätten zahlreiche menschliche Knochen im Boden des Sportgeländes der JVA Fuhlsbüttel ausgegraben. Du musst wissen, ich habe diese Woche Bereitschaft, habe sofort aufgelegt. So ein Schwachsinn, habe ich gedacht und mich noch mal im Bett umgedreht. Als das Klingeln des Handys nicht enden wollte, bin ich dann nochmals ran. Also, es handelt sich tatsächlich um zwei Leichen!“

      Fischer zeigte auf Teile einer alten zerfledderten Wolldecke, zwischen denen Knochen lagen. Kaum einen Meter entfernt dokumentierten zwei Beamte der Spurensicherung mit ihren Fotoapparaten den Leichenfund.

      „Die beiden Leichen lagen sicher fünf, eher zehn Jahre in diesem Grabe. Es befinden sich noch kleinere Anhaftungen von Gewebe an den Knochen, daher meine Zeitschätzung. Ich möchte mich da aber noch nicht festlegen.“

      „Wie kommst du anhand der Knochen so schnell darauf, dass es sich um zwei Leichen handelt?“

      „Sie waren in Decken gehüllt und lagen etwa 1,50 Meter voneinander entfernt. Ich habe mir – was die Knochen betrifft – einen kurzen Überblick verschafft, und schnell war mir klar: Da liegen zwei Leichen!“

      „In Wolldecken eingehüllt?“

      „Ja, Sandra! Und diese dicken Wolldecken, wie ich sie auch vom Militär kenne, halten für einige Zeit Maden, Würmer usw. vom Gewebe ab. Aber dann ...!“

      „Wie tief lagen die Leichen?“

      „Etwa einen Meter unter der dicken Sandschicht.“

      „Begünstigen Tiefe, Sand und Decken in diesem Fall den Verwesungsprozess?“

      Sandra wunderte sich etwas, wie sie um diese frühe Zeit schon solche hoch intellektuellen Fragen stellen konnte.

      „Natürlich! Während Leichen, die zwischen 30 und 60 Zentimeter tief begraben liegen, innerhalb einiger Monate skelettiert sein können, dauert es bei Tiefen von einem Meter und mehr oft Jahre. Und Sand beheimatet eher weniger kleine Krabbeltiere – zumindest anfänglich!“ Der Rechtsmediziner war in seinem Element.

      „Mich wundert, dass die Insassen den Verwesungsgeruch beim Sport nicht wahrgenommen haben?“, wollte die Kommissarin wissen.

      „Nein, aber das ist nicht überraschend, Sandra. Aus einer Tiefe von einem Meter dringen kaum Gerüche nach oben. Vor allem, da der Sand dichter ist als zum Beispiel weiche Erde, wie wir sie in unseren Wäldern vorfinden. Und im Gegensatz zu Wohnungsleichen spielt der stetig wehende Wind eine große Rolle. Speziell hier oben im Norden. Eher hätte ich damit gerechnet, dass ein Wachhund den Geruch erschnüffelt und Alarm geschlagen hätte.“

      Sandra war bemüht, aufkommende Gähn-Serien zu unterdrücken. Fischer hätte glauben können, sie interessiere sich nicht für seine Ausführungen. Sie spürte schon leichte Krämpfe im Kiefergelenk. Sebastian Fischer selbst hatte den Kopf nach hinten gelehnt und schien nachzudenken.

      „Haben die denn überhaupt Hunde hier?“ Sandra hörte in die Stille des Hofes hinein, aber kein Hundegebell

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