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Ankunft in der Firma in Ottensen über Probleme mit der Blase geklagt und sein Kollege hatte nur gegrinst. „Sag Bescheid, wenn du pissen musst. Ich rauche dann eine!“ Nichtraucher Monarch wusste, dass das nicht möglich war. Sobald beide Insassen den Werttransporter verließen, ertönte eine Sirene, und ein Signal wurde sowohl zur Firma als auch zur Polizei gesandt. Minuten später würde die erste Streife auftauchen und nach ihnen schauen. Er durfte es nicht zulassen, dass beim Halt beide Männer den Transporter verließen. Sonst war der Coup gescheitert.

      Seit zwei Jahren arbeitete Monarch bei Money2Go, aber erst seit Beginn des Jahres durfte er Werttransporte begleiten. Sein Problem war, dass er keinen Führerschein besaß. Trotzdem erfüllte ihm der Geschäftsführer irgendwann den großen Wunsch, im Panzer mitzufahren. Sicher waren seine gute Führung, aber auch die acht Jahre als Zeitsoldat bei der Marine ein Grund. Er hatte stets seine Waffenkenntnisse in den Vordergrund gestellt, bis jeder Verantwortliche bei Money2Go sicher war, Monarch sei der geeignete Mann. Doch zwei lange Jahre hatte das gedauert. Jahre, in denen er unter den Blicken argwöhnischer Passanten schwere Geldboxen schleppte. Und stets die Angst im Nacken, dass ihm irgendwann jemand von hinten eins überbriet. Auch die nie enden wollenden Monate in der Kommissionierung von Aufträgen. Er hatte nachts von Geldscheinen geträumt. Regelrecht darin gebadet, ähnlich wie Dagobert Duck. Nein, er, der gelernte Bäcker und Konditor Patrick Monarch, war kein Held. Aber er musste ihn spielen. Bis zu diesem Morgen. Bald würde er seine Rolle wechseln: vom netten Kollegen zum brutalen Schurken. Er sah vor seinem geistigen Auge Brian, den Geschäftsführer, wie er erstarren würde, wenn man ihm die Nachricht vom Überfall auf den Wagen mit der Nummer siebzehn überbrachte. Noch konnte er zurück. Würde dann weiter für gerade mal sechzehn Euro Stundenlohn riesige Geldsummen befördern. Von der Bank zum Kaufhaus, zu Geldautomaten oder zu einer der anderen Hamburger Filialen. Und dabei immer mit der Angst leben. Seine Frau Linda war inzwischen verstorben. Sie war der Auslöser für diesen Plan. Er wollte Lindas Leben mit dem Geld aus dem Überfall retten. Eine teure Krebsbehandlung in den USA bezahlen. Doch Linda hatte nicht durchgehalten, war vor sechs Wochen ganz plötzlich an Herzversagen verstorben. Die anstrengende Chemo hatte ihren Körper geschwächt. Monarch hatte in der Firma niemandem von ihrem Tode erzählt. Aus Angst, man könne ihn aus Fürsorglichkeit vom Panzer nehmen. Warum also noch der Überfall? Die Frage stellte er sich seit Wochen. Mit dem Geld konnte er, der Kinderlose, eh nicht viel anfangen. Aber er hatte über die letzten Monate so viele Nerven und Energie in diesen Überfall investiert. Und er wollte einfach etwas vom großen Kuchen abhaben. Endlich einmal. Er hatte Linda noch zu Lebzeiten versprechen müssen, nach ihrem Ableben sein eigenes Leben weiterzuführen. Etwas daraus zu machen und nicht aufzugeben. Ihm war sofort klar gewesen, was seine liebe Gattin damit gemeint hatte: Er sollte sich – nach einer angemessenen Zeit – einen neuen Partner suchen. Linda meinte es stets gut. Sie musste so viel im Leben entbehren, erlebte Missbrauch in der Jugend und dazu andauernde Armut. Und nun war sie tot. So früh – zu früh verstorben.

      „Meine Blase drückt. Kannst du nicht um die Ecke in der Parkbucht kurz stoppen?“ Abgelenkt durch seine Gedanken hatte Monarch nicht auf die Straße geachtet und fast wäre der Geldtransporter an dem von ihm ausgewählten Platz vorbeigefahren. Das Navi zeigte seitlich die Große Brunnenstraße an. Wowering blickte kurz in den Außenspiegel und bremste dann den Wagen kopfschüttelnd ab. Mit einer kurzen Lenkerbewegung fuhr er auf eine linksseitig gelegene leere Parkbucht im Bäume überladenden Bereich der Elbchaussee und stoppte den Kastenwagen.

      „Aber mach schnell, ich könnte endlich mal wieder eine rauchen!“, erklärte er genervt.

      Mit einem kurzen Blick auf die neben dem Navi im Armaturenbrett angeordnete digitale Uhr öffnete Monarch die Tür des gepanzerten IVECO Daily Kastenwagens. 4 Uhr 37, schon bald würde es hell werden. Die Zeit wurde knapp, es musste einfach klappen. Der kühle Wind legte sich um seine Beine, als er einen Fuß auf dem Trittbrett des Wagens abstellte. Sein Blick ging in Richtung des Kollegen.

      Wowering gähnte lautstark mit geschlossenen Augen, während Monarch seine Waffe zog. Als der Fahrer seine Augen öffnete, blickte er in den Lauf der Ruger GP 100.

      „Bist du noch ganz bei Trost? Mach bloß keine Späße!“

      Trotz des schwachen Lichtes einer Straßenlaterne, unter dem der Werttransporter stand, konnte Monarch das Fahle im Gesicht des Kollegen erkennen. Wowering schien klar zu sein, dass es sich nicht um einen Scherz handelte.

      „Da ... damit kommst du nicht durch!“, stotterte Wowering gegen das leise Blubbern des laufenden Dieselaggregats. Er ruderte dabei mit den Händen, als schraube er beidarmig Glühbirnen in imaginäre Fassungen.

      „Raus!“

      Monarch wollte es schreien, aber es wurde bloß ein Krächzen, und so wiederholte er das Wort, dieses Mal aber lauter: „Raus, raus aus dem Wagen!“

      Er sah, wie eine Hand des Fahrers die Fahrzeugtür öffnete, während die andere langsam zum Knopf der Abschaltautomatik des Motors glitt. Damit hätte er eigentlich rechnen müssen. Aber er hatte auch gehofft, Kollege Wowering würde einfach tun, was er von ihm verlangte. Nun hatte er keine andere Wahl. Wenn der Mann es schaffte, den Motor abzuschalten, konnte er sich gleich der Polizei stellen. Er richtete die Waffe etwas tiefer, petzte die Augen zusammen und drückte den Abzug.

      Der Lärm in der kleinen Kabine war ohrenbetäubend. Dann folgte ein lauter Schrei, ein Wimmern. Monarch sammelte sich, der Druck in den Ohren machte ihn fast ohnmächtig. Er kletterte über den am Bein verletzten Kollegen, drückte die Fahrertür ganz auf und schob Wowering vom Sitz nach draußen. Der Mann hielt sich noch für einen Moment stöhnend am Lenkrad fest, sackte dann aber aus der Kabine in Richtung des Gehwegs. Nun musste alles schnell gehen. Per Funk wurden sie ständig von der Zentrale abgefragt, und wenn statt Wowerings seine eigene Stimme oder überhaupt niemand antwortete, wäre das absolut verdächtig. Der Störsender sollte verhindern, dass man ihn später orten konnte. Monarch schaute in die Dunkelheit: Einige Fahrzeuge fuhren an ihnen vorbei, aber sie kümmerten sich nicht um den mit eingeschalteter Warnblinkanlage parkenden Werttransporter. Die Menschen hatten andere Probleme. Die Welt war anonym geworden, das war heute ausnahmsweise mal sein Glück. Monarch schloss die Beifahrertür, schob sich auf den Fahrersitz, zog auch die Fahrertür zu, legte einen Gang ein und lenkte den IVECO Daily quer über die Straße zurück auf die Elbchaussee. Sein Blick aus dem Beifahrerfenster galt Wowering. Doch der hatte sich schon seitwärts auf den Bürgersteig geschleppt. Ein gutes Zeichen. Ein schriller Ton ließ Monarch in die Höhe fahren. Was war los? Hatte er etwas falsch gemacht? Blitzschnell wurde ihm klar, das Signal des Sicherheitsgurtes hatte ihn erschreckt. Sofort legte er ihn um, steckte die Schlosszunge in das Gurtschloss und gab Gas. Der Wagen nahm Fahrt auf und nun raste er an der Elbe entlang, wieder in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Er ließ seinen Plan noch einmal durch den Kopf gehen: Zuerst nach Othmarschen, dort auf die Autobahn A 7 zur anderen Seite der Elbe. Die Röhren des Elbtunnels würden um diese frühe Stunde noch nicht verstopft sein. In Waltershof würde er die Autobahn verlassen, um über die Köhlbrandbrücke zur Norderelbstraße zu gelangen. Unweit des Stage-Theaters im Hafen stand – auf einer riesigen Abstellfläche – der angemietete Container. Dort, in den ,20-Fuß-Container‘ – so hatte Monarch berechnet –, würde der Werttransporter genau hineinpassen. So knapp, dass er selbst seitlich nur noch wenige Zentimeter hatte, um auszusteigen. Aber er musste sich dort weder um Zeit noch um ein paar Beulen am Fahrzeug Gedanken machen. Wenn die Karre erst einmal stand, würde er die Batterien abklemmen und sich genügend Zeit nehmen, um an die Behälter mit dem Geld zu kommen. Der Plan war genial, fand Monarch, und immer wieder hatte er nach einem Haken gesucht. Aber letztendlich keinen gefunden.

      Monarch selbst besaß keinen Führerschein, doch während eines Urlaubs auf Rügen konnte er einige Stunden auf einem Transporter üben. Der alte Ford gehörte dem Bauern, auf dessen Hof Linda und er gemeinsam ihren Urlaub verbrachten. Linda liebte die Natur und den Umgang mit Tieren. Mallorca war nichts für sie. Eher für ihn, aber er hatte stets Lindas Wünsche respektiert und sich nach ihr gerichtet. Monarch erzählte dem Bauern, er wolle sich auf die Fahrprüfung vorbereiten, und steckte ihm fünfzig Euro zu. Wenn der Wagen auf dem Hof stand und ihn keiner benötigte, durfte Mo­narch nun seine Runden drehen.

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