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Kopf seines kleineren Grabnachbarn dagegen weist einen wüsten Trümmerbruch auf. Erschlagen, gestürzt? Da muss ich wohl noch mal intensiver ran. Willst du mal schauen?“ Fischer war aufgesprungen.

      „Nein, lass mal, Basti. Mir ist eh flau im Magen, die Sache mit Dr. Kensbock!“

      „Wie, ich dachte, ihr habt euch gut verstanden?“

      Sandra zuckte mit den Schulterblättern und war ebenfalls aufgestanden.

      „Wie ist dein Eindruck zu diesem Leichenfund?“, fragte sie den Rechtsmediziner beim Rausgehen.

      „Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept!“, begann er plötzlich zu singen. Sandra fiel der Song von Marius Müller-Westernhagen ,Es geht mir gut!‘ ein.

      Wie lange schon konnte sie das nicht mehr von sich selbst behaupten.

      „Wieso bist du nicht in Stuttgart, Basti?“

      „Ausgefallen!“, grinste der Angesprochene.

      Kriminalrat Jensen und Kommissar Mikael Vitthudt, genannt MikVit, erwarteten die Kommissarin in ihrem Büro. Sandras Laune war auf einem Tiefpunkt, aber sie unterdrückte den Satz: „Habt ihr keine eigenen Räume?“ Dafür setzte sie sich demonstrativ auf die Fensterbank. Draußen zog ein Gewitter auf. Ein typischer Tag, wie sie ihn nicht mochte.

      „Ich habe den Bericht des Rechtsmediziners erhalten!“, begann Jensen. Sandra legte eine neugierige Miene auf. Ihr Vorgesetzter musste ja nicht wissen, was sie schon alles wusste.

      „Der Kleidung nach zu urteilen, handelt es sich um zwei Häftlinge der JVA Fuhlsbüttel. Sie sind beide gewaltsam zu Tode gekommen. Es dürfte für uns nicht schwer sein, ihre Namen herauszubekommen. Der Todeszeitpunkt war wohl irgendwann im Zeitraum von 2008 bis 2010. Wenn wir die Personalunterlagen der Haftanstalt einsehen, werden wir schnell die fehlenden Inhaftierten identifizieren können. Ein Kinderspiel!“

      „Richtig!“, merkte MikVit an. Gut, dachte Sandra, Mik hat noch einige Dienstjahre vor sich und möchte es sich nicht mit Jensen verscherzen. Ihr war dieses dämliche Wort ,Kinderspiel‘ schon Anlass genug, aggressiv zu werden, zumal ihre Magensäure wieder mal verrücktspielte. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Gefühlsausbruch.

      Sandra war aufgestanden und hinter Kriminalrat Jensen getreten. Mit den Worten „Dann will ich mal das Kinderrätsel lösen!“ forderte sie ihren Stuhl zurück. Etwas konsterniert sprang der Leiter der Abteilung 41 auf und verließ eiligen Schrittes den Raum.

      „Irgendwann wird er dich hassen, Sandra!“, grinste MikVit.

      „Hauptsache, dich liebt er, und nun raus mit dem, was du recherchiert hast!“

      „Gut“, der Kommissar zog einige Blatt Papier aus der Jackentasche. „Also, die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, umgangssprachlich Santa Fu genannt, ist ein Gefängnis, das ursprünglich in Hamburg-Fuhlsbüttel nach früheren Grenzverschiebungen heute in Hamburg-Ohlsdorf gelegen ist. Santa Fu ist eine reine Männeranstalt und beherbergt Häftlinge des geschlossenen Strafvollzugs und der Sicherungsverwahrung. Ich lese dir einfach mal den Ausdruck aus Wikipedia vor:

      Das heutige Haus I wurde 1879 als „Zentralgefängnis“ für 800 Gefangene in Betrieb genommen. 1891 kam das heutige Haus IV als Anstalt für 350 weibliche Gefangene und 1892 das heutige Haus III als Anstalt für 115 jugendliche Gefangene hinzu. 1906 wurde das heutige Haus II als Anstalt für 726 männliche Gefangene in Betrieb genommen.

      Die Machtübernahme der Nationalsozialisten stoppte das Vorhaben, die Fuhlsbütteler Anstalten abzureißen. Stattdessen wurde im März 1933 in Haus II das KZ Fuhlsbüttel eingerichtet, das bald in Haus IV verlagert, im September 1933 der SS übergeben und zum Kriegsende im April 1945 geräumt wurde. Hinzu kam vom 25. Oktober 1944 bis zum 15. Februar 1945 die Einrichtung eines Außenlagers des KZ Neuengamme in einem weiteren Gebäudeteil.

      Ab 1945 diente die JVA Suhrenkamp als Gefängnis, die JVA Am Hasenberge (bis 1975) als Zuchthaus; die Anstalt Nesselstraße war dem Jugendvollzug gewidmet. 1979 wurde der Jugendvollzug in Haus IV geschlossen. 1983 wurde ein Werkhof eingerichtet. 1991 wurde Haus IV nach Renovierung wieder belegt. Im Juni 2003 wurden die bis dahin selbstständigen Teilanstalten Suhrenkamp, Am Hasenberge und Nesselstraße unter dem damaligen Justizsenator Roger Kusch als JVA Fuhlsbüttel unter einem Anstaltsleiter zusammengefasst. 2010 wurden die Häuser II und IV der JVA Fuhlsbüttel wieder zu selbstständigen Anstalten gemacht. Aus dem Haus IV ging die Sozialtherapeutische Anstalt Hamburg mit der Außenstelle Bergedorf hervor. Das Haus II blieb unter der Bezeichnung JVA Fuhlsbüttel. Das Haus I steht leer.“

      Der Kollege schaute Sandra erwartungsvoll an.

      „Gut abgeschrieben, Mikael!“

      „Ausgedruckt!“, grinste Kommissar Mikael Vitthudt verlegen.

      „Wie sieht es mit Zwischenfällen in der Haftanstalt aus?“

      „1972 gab es eine große Knastmeuterei. Später, im Jahre 1990, eine weitere. Aber ich glaube, der Zeitraum liegt außerhalb unserer Ermittlungen.“ Er schaute die Kommissarin fragend an.

      „Weiter!“

      „In den Jahren danach wurde der Knast reformiert und so hatten die Insassen wohl nichts mehr zu meckern. Ich sage nur: Fitnesscenter und Swimmingpool!“ Vitthudt grinste.

      „Bleib sachlich. Was hast du sonst noch? Wer sind die beiden Leichen?“

      „Das kann ich natürlich nicht sagen, Sandra. Heute backt man dort für den Hamburger Bille-Bäcker Brötchen. Santa Fu ist ein kleiner, eigenständiger Backbetrieb geworden. Auch andere Knastprodukte – ,Heiße Ware‘ genannt – veräußert man – mit viel Erfolg.“

      „Wie läuft die Bewachung?“

      „Du meinst, wie viel Personal dort eingesetzt wird?“

      Sandra nickte. Sie hatte den Stuhl etwas nach hinten geschoben und legte den Fuß auf eine ausgezogene Schublade.

      „Ich meine, in der heutigen Tageszeitung etwas von zwölf Beamten beim Tagdienst und sechs in der Nacht gelesen zu haben. Aber das sollte sich anhand der Schichtpläne leicht herausfinden lassen.“

      „Sonst noch etwas?“

      „Das ist vielleicht nicht so interessant, aber man beabsichtigte, auf dem Gelände der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel Wohnungen zu bauen. Doch das konnte man bisher nicht umsetzen, da zwei frühere Hafthäuser aus Denkmalschutzgründen nicht abgerissen werden dürfen.“

      „Dürftig!“ Sandra war heute nicht sehr gesprächig.

      „Tut mir leid, ich hatte bisher ja noch wenig Zeit. Werde weitersuchen.“

      Mit den Worten „Tu das!“ sprang Sandra auf und verließ ihr Büro.

      Die Kommissarin war nach St. Georg gefahren und saß bei einem Milchkaffee auf einem Sessel im hinteren Raum ihres Lieblingscafés Gnosa. Sie hatte ihr privates Tablet vor sich, ein großes Blatt Papier, dazu einen Stift auf dem Tisch und ein schlechtes Gewissen. Zum einen befand sie sich noch innerhalb ihrer Arbeitszeit und zum anderen überprüfte sie die von der Anstaltsleiterin zugesandten Mails, die sie von ihrem Dienstrechner auf ihr privates Tablet umgeleitet hatte. In ihrem Büro fiel ihr immer mehr die Decke auf den Kopf. Auch hatte Sandra das Gefühl, dort herrschte ständig Durchgangsverkehr. Vielleicht hatte sie alles etwas schleifen lassen, und das war nun das Ergebnis.

      Bei den Dateien handelte es sich um insgesamt zweiundsiebzig Stück an der Zahl. Aus dem Jahr 2007 bis zum heutigen Zeitpunkt. Jeweils der Schichtplan für den Tag und für die Nacht. In der Haftanstalt wurden die Schichten zweimal im Jahr zeitlich umgestellt. Sicher, um einer Routine entgegenzuwirken, vermutete die Kommissarin. Schon

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