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Sie etwas über einen Ausbruch im Jahre 2010, Frau Lönderer?“, wollte Mik wissen.

      Für Sandras Gefühl hatte sie diese Frage etwas durchgeschüttelt. Sie glaubte eine Regung erkannt zu haben.

      „Auch hier muss ich Sie an meinen Vorgänger verweisen.“

      „Das heißt, Sie haben keinerlei Informationen? Sie hatten doch sicher – von Celle aus – Kontakt und interne Informationen zu dieser Haftanstalt?“

      Dr. Lönderer schaute etwas überrascht, als die Kommissarin sie auf ihren vorherigen Arbeitsplatz ansprach. „Natürlich, Frau Holz. Als stellvertretende Leiterin in Celle hatten wir zu allen Haftanstalten Kontakte. Ich weiß von einem Ausbruch in Fuhlsbüttel vor einem Jahrzehnt. Aber Details ...! Sollten sich diese nicht in den Akten des Landeskriminalamts finden lassen?“

      Kommissar Vitthudt übernahm die Antwort für seine Chefin.

      „Natürlich, Dr. Lönderer. Aber bei uns ist nur vermerkt, dass zwei Gefangene nachts mit einem Nachschlüssel durch das Tor auf den Hof der Haftanstalt gelangen konnten und dann verschwunden sind.“

      Lönderer grinste. „Na ja, verschwunden! Sie sind sicher über die Mauer geklettert. Draußen wird ihnen jemand geholfen haben. Sie kennen das ja. Passiert hin und wieder. Während wir hier in den Haftanstalten stets dazulernen und unsere Sicherheit verbessern, lernen die Inhaftierten auch dazu. Aber sie sind uns manchmal einen Schritt voraus.“

      „Trotz Verschluss und regelmäßiger Zellendurchsuchungen?“

      „Ja, Frau Holz! Die Gefangenen haben stets das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und dazu oft Freunde und Angehörige. Auch wird der Strafvollzug immer liberaler. Irgendwann erhalten alle Häftlinge eine Schlüsselkarte und kommen und gehen, wann sie wollen.“

      Der Ton der Frau war rauer geworden und man spürte, dass ihr Arbeitsplatz hier in der Haftanstalt nicht nur ein großes Büro und ein gut ausgestatteter Fitnessraum bedeuteten.

      „Aber einer der angeblich Geflüchteten ist nun tot wieder aufgetaucht. Seltsam, nicht?“

      Endlich zeigte die Leiterin der JVA Fuhlsbüttel ein nachdenkliches Gesicht.

      „Ich denke, wir müssen auch Ihre Vorgänger im Amt vernehmen, Frau Lönderer. Wohnen diese noch in oder um Hamburg?“

      „Auch da muss ich Sie enttäuschen, Frau Kommissarin. Dr. Milz – sein Erbe habe ich angetreten – lebt seit Anfang des Jahres auf Mallorca und dessen Vorgänger, Dr. Wallersfeld, er muss sicher schon Anfang achtzig sein, auf Kuba.“

      Mit den Worten „Dann werde ich erst nach Mallorca fliegen und dann nach Kuba!“ war Sandra aufgestanden. Sie hielt der Frau die Hand hin und meinte: „Das wird nicht unser letztes Gespräch gewesen sein.“

      „Ich freue mich drauf!“

      „Hast du die Figur gesehen, die war doch sicher weit über fünfzig?“, flüsterte Mik, als Blankenburg sie zum Besucherraum führte. Dort sollte die Vernehmung aller Strafvollzugsbeamten stattfinden.

      „Dafür müsste ich dich erschießen!“

      „Wie bitte?“

      „Hast du nichts anderes zu tun, als der Alten auf die welken Brüste zu schauen?“

      Mikael Vitthudts Gesichtsfarbe wechselte schlagartig. Er schaute seine Kollegin an, als ob sie gerade seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte.

      Sandra prustete los. Der Beamte vor ihnen drehte seinen Kopf neugierig herum. Sie legte ihren Arm um die Schultern des Kollegen und nur ein Wort platzte laut lachend aus ihr heraus: „Männer!“

      Blankenburg brachte sie durch verschiedene Gänge und Treppen in einen anderen Trakt des Gefängnisses. Sandra fiel auf, dass er ständig an einem Anhänger um den Hals herumfingerte. Beim zweiten Hinschauen erkannte sie ein Kreuz. Der Wärter schien gläubig zu sein. Nichts Außergewöhnliches, das konnte er hier in Santa Fu sicher gut gebrauchen. Noch immer war Sandra keinem Gefangenen begegnet. Aber vieles hatte sich in den letzten Jahren des Strafvollzugs geändert. Bevor Blankenburg eine alte Eichentür zum Vernehmungsraum öffnete, erklärte er: „Es sind noch acht Kollegen da. Die anderen sind krank oder im Urlaub. Zwei müssen in der Schleuse bleiben, diese tauschen wir später aus.“ Er schaute fragend und ergänzte: „Wenn Sie Bescheid geben.“

      Sandra nickte und trat durch die inzwischen offene Tür. Sie kannte die ehemalige Santa Fu-Kirche, die heute wieder als Besucherraum diente. Für Mik schien es das erste Mal zu sein. Der Kommissar blieb wie geblendet stehen und schaute verzückt in den riesigen, hohen Raum.

      „Boah, eine Kirche!“, stammelte er.

      Das hohe Gewölbe über ihnen, die Empore, die großen bleiverglasten Fenster und die alten Holzdielen zogen auch sie in ihren Bann. Sandra war stehen geblieben und wunderte sich erneut, dass dieser sakrale Raum heute der Anstalt als Besucherraum diente. Aber sie glaubte, irgendwie wurde hier auch heute noch die Beichte abgenommen. Zwar nicht mehr von Priestern, eher von den Angehörigen der Inhaftierten. Die Luft, die sie beim Eintreten einatmete, roch nach Ausdünstungen von Männern, unterlegt von Bohnerwachs. Auch glaubte die Kommissarin, eine Prise Weihrauch ziehe mit der Luft durch ihre Nasenöffnungen. Aber da täuschte sie sich sicher. Eher war es der Wunsch, in einer Kirche etwas anderes zu riechen als Schweiß­geruch. Sie hoffte, dass jemand ein Fenster öffnete, war sich aber sicher, das gestaltete sich in der ehemaligen Kirche als nicht ganz einfach.

      Die zu vernehmenden Beamten saßen auf einfachen Stühlen vor den kleinen Tischen und schauten die eintretenden Kriminalbeamten mit unterschiedlichen Gesichtszügen an.

      „Herr Blankenburg, kennen Sie einen Patrick Mo­narch?“

      Die Kommissarin bemerkte, wie Blankenburg erschrak. Seine Gesichtshaut erblasste und er war sichtlich bemüht, so zu tun, als sei alles in Ordnung.

      „Ein ehemaliger Häftling?“

      „Da reden wir später drüber. Würden Sie alle Ihre Kollegen bis auf zwei bitten, auf der Empore zu warten? Die ersten beiden Vernommenen können dann die Schließer ablösen.“

      „Schließer?“

      „Sie wissen schon, was ich meine!“

      Nickend, aber nachdenklich spazierte der Mann auf seine Kollegen zu. Dabei verursachten die Holzdielen leises Knarren unter seinen schwarzen Lederschuhen. Sandra hoffte, ihre Sneakers brachten sie lautlos über den Boden.

      „Übernimm du einen und ich einen weiteren Beamten, Mik. Wir setzen uns vor diese ... Container.“ Sandra zeigte auf die großen Kästen, die sich ähnlich Wohncontainern links und rechts des Raumes befanden. „Du links, ich rechts. Und frag einfach mal über den Ausbruch, die Zeiten um 2010 und versuche, eine Grundstimmung auszumachen. Sie werden alle noch mal im Präsidium vernommen werden müssen.“

      „Soll ich den Männern das mitteilen?“

      „Nein, um Gottes willen. Das bekommen sie schon noch mit.“

      Bis auf Blankenburg und zwei Kollegen verließen die restlichen Personen den Raum, spazierten eine nicht einsehbare Treppe aufwärts und schauten – knapp eine Minute später – von oben auf den Saal und die Kriminalbeamten.

      „Gut, lass uns beginnen, Mik!“

      Die Beamten waren nicht sehr ergiebig, fand die Kommissarin eine knappe Stunde später, nachdem sie alle zugeteilten Männer vernommen hatte. Ihr fehlte noch Herr Blankenburg, aber auch bei ihm erwartete sie eher Schweigen. Etwas neidig schaute sie zum Kollegen hinüber. Der kommunikationsfreudige Saarländer, Mikael Vitthudt, schien – so wie es aussah – mehr aus den Vollzugsbeamten herauszubekommen. Hoffnung keimte in ihr auf. Doch momentan zeichnete es sich

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