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Sandra das Fehlen jeglicher Emotionen. Der Tod brachte sie sonst stets zur Raserei und sie ruhte nicht länger, bis der oder die Mörder hinter Schloss und Riegel saßen. Aber bei Leichen, die schon jahrelang in der Erde ruhten, vermisste sie das. So war es auch vor einigen Jahren bei den in Säcken gehüllten Überresten der Seeleute, die ein Taucher unter der Elbphilharmonie aufgefunden hatten. Sie konnte da innerlich nichts aufbauen. Trotzdem war es wichtig, die Schuldigen zu finden. Die Kommissarin wusste, dass sie auch in diesem Fall nicht eher ruhen würde, bis ihr Auftrag erledigt war. Aber völlig ohne Emotionen – und das war eigentlich eine gute Herangehensweise.

      Nach dem dritten Milchkaffee und einem Stück Himbeertorte hatte Sandra das Blatt Papier vollgeschrieben mit Zahlen und Statistiken. Ihr war aufgefallen, dass man die Haftanstalt Fuhlsbüttel anfänglich mit einem Stamm von bis zu zwanzig Beamten am Tag und zwölf Beamten in der Nacht bewacht hatte. Diese Zahl hatte sich Jahr für Jahr um fast eine Stelle reduziert. Mik hatte recht, heute befanden sich noch zwölf Männer in der Tag- und sechs in der Nachtschicht von Santa Fu. Sicher waren das nur reine Schließer. Im Tagdienst arbeiteten zusätzliches Küchenpersonal, Ärzte sowie Mitarbeiter der Verwaltung. Aber dennoch fand sie sechs Männer nachts, trotz der eingeschlossenen Häftlinge, als sehr überschaubar. Aber wenn es denn funktionierte. Anhand der Namen der Strafvollzugsbeamten ließ sich auch erkennen, dass um das Jahr 2010 herum eigentlich alle damaligen Beamten ausgetauscht wurden. Von einem Jahr auf das andere fanden sich in den Schichtplänen neue Namen und inzwischen waren auch von diesen zwölf Beamten nur noch sechs im Dienst. Schon eine gewaltige Fluktuation, fand die Kommissarin. Vermutlich waren die anderen versetzt worden oder in den Ruhestand gewechselt. Aber das würde noch zu klären sein. Nur die fehlenden Jahre 2009 und 2010 verursachten bei ihr leichte Magenbeschwerden. Wer waren die beiden Toten? Sie war noch kein Stück weitergekommen.

      „Immerhin, die DNA der beiden Toten hat zu fünfzig Prozent einen Fortschritt gebracht!“, begrüßte Kommissarin Emma Meyfeld ihre Kollegin am nächsten Morgen. Emma sah eher unglücklich aus. Sie hatte Ränder unter den Augen und eigentlich hätte Sandra sie nach der Ursache fragen müssen. Aber die Kommissarin hatte selbst genug mit sich zu tun und war ja auch keine Therapeutin. Also nickte Sandra und zog die Bürotür hinter sich zu. Tatsächlich, nur eine der beiden DNA ergab einen Treffer. Sie gehört einem ehemaligen Häftling namens Patrick Monarch. Wenn es sich bei dem zweiten auch um einen Strafgefangenen gehandelt hätte, so glaubte Sandra, mussten auch Ergebnisse her. Schon vor langer Zeit war gerichtlich angeordnet worden, bei allen Angeklagten und Inhaftierten Speichelproben zu nehmen und diese aufzubewahren. Das würde heißen, beim zweiten Toten sollte es sich nicht um einen Strafgefangenen handeln. Aber um wen dann? Um einen Justizvollzugsbeamten? Viel Auswahl gab es in einem so stark abgesicherten Bereich nicht. Häftlinge wurden in die JVA Fuhlsbüttel eingewiesen und dazu gab es die Wärter. Diese konnten aber nach der Schicht die Haftanstalt wieder verlassen. Auch Besucher durften die Haftanstalt betreten. Aber alles wurde strengstens protokolliert und von Beamten geprüft. Warum lag der Häftling Monarch in der Grube, und wer war der zweite Tote? Es klopfte an der Bürotür. Der Kopf von Mikael Vitthudt erschien im Türspalt, als sie geöffnet wurde.

      „Hallo, Sandra, darf ich stören?“

      „Klar, was hast du?“

      „Im Juni 2010 gab es einen Gefängnisausbruch. Zwei Häftlinge schafften es, aus Santa Fu auszubrechen.“

      Sandra horchte auf. „Das würde sich mit der Zeit decken, die Fischer als Todeszeitpunkt vermutet hat.“

      „Emma meinte, es gebe einen Treffer bei der DNA?“

      Sandra kratzte sich in Gedanken am Kopf. „Das ist richtig: Patrick Monarch, ein Häftling. Ich muss eh noch mal nach Santa Fu. Begleite mich bitte, Mik!“

      Die Fahrt nach Fuhlsbüttel verlief eher ruhig. Mik war nicht sehr gesprächig und so schaute die Kommissarin demonstrativ aus dem Seitenfenster des Fahrzeugs.

      So viel ging ihr gerade durch den Kopf, und dazu diese lästige Magensäure.

      Als sich die beiden Kriminalbeamten bei der Anstaltsleiterin anmelden ließen, teilte man ihnen mit, Frau Dr. Lönderer sei gerade beim Sport.

      „Mangels Sportplatz ...“, so der diensthabende Beamte, „... trainiert sie heute im leeren Fitnessraum der Häftlinge.“ Der erklärende Beamte mit Namen Blankenburg führte Sandra und Mik auch dorthin. Blankenburg war groß und kräftig und Sandra bemerkte, dass er – während sie ihm auf den dicken Bauch schaute – bemüht war, diesen einzuziehen. Doch vergebens!

      „Wie, sie macht Sport?“, wollte Sandra wissen.

      „Dienstsport!“, berichtigte sie der Mann mit einem breiten Grinsen.

      Das würde dir auch mal gut tun, dachte Sandra. „Gut, auch Dienstsport. Aber ist das normal?“

      Der Mann schaute erst zu ihr, dann zu Kommissar Vitthudt und meinte dann: „Frau Doktor hält sich fit und keiner hat etwas dagegen. Es ist Gottes Wunsch, dass wir unsere Gesundheit erhalten.“

      Mik und Sandra schauten sich etwas konsterniert an. Inzwischen hatten sie den kleinen Fitnessraum erreicht. Häftlinge waren ihnen bisher nicht begegnet, und obwohl Sandra genau jeden Flur hinunterblickte, war da gähnende Leere. Herr Blankenburg hatte die neugierigen Blicke der Kommissarin richtig eingestuft und erklärte: „Alle Häftlinge sind bei der Arbeit – wie im richtigen Leben!“

      Dr. Lönderer selbst saß im engen Sportdress auf einer Bank und hielt eine mittelschwere Hantel in ihrer Hand. Sie schaute die Ankömmlinge erwartungsvoll, aber eher neutral an.

      „Danke, Burghardt!“, flüsterte sie, und mit einem kurzen Gruß verließ der Vollzugsbeamte die Szene.

      „Sind alle hier in der Anstalt per Du?“, wollte die Kommissarin wissen.

      Die Leiterin hatte die Hantel vorsichtig abgelegt und war aufgestanden. In völliger Gelassenheit griff sie das Handtuch von einem Haken an der Wand und rieb sich das Gesicht ab.

      Dann versuchte sie ein Lächeln. „Wissen Sie, Frau Holz, das hier ist keine Anstalt. Auch wenn man mich Anstaltsleiterin nennt. Ich muss Ihnen sicher nichts über den Strafvollzug erläutern. Und was Ihre Frage angeht, Burghardt und ich sind verlobt.“

      Das saß. Sandra schaute zu MikVit, dessen Gesicht Bände zu sprechen schien.

      „Gut, das geht uns nichts an, das ist Ihre Privatsache. Wir möchten noch einige Fragen loswerden, bevor wir uns den Beamten zuwenden. Aber vielleicht besser in Ihrem Büro?“

      „Fragen ja, Büro nein! Dort werden gerade die Wände gestrichen. Maler, Sie verstehen!“

      Sandra merkte, die Frau hatte ihren eigenen Dickkopf und sie selbst hier keinerlei Befugnisse.

      „Gut, dann setzen wir uns hier auf die Bänke.“

      Sandra machte es vor, während ihr Kollege sich einen kleinen Hocker griff.

      „Wir haben die Leichen untersucht. Sie hatten Anstaltskleidung an, waren in dienstliche Wolldecken gehüllt. Bei einem der Toten handelt es sich um den Häftling Patrick Monarch. Die zweite DNA konnten wir noch nicht zuordnen.“

      Frau Lönderer hörte ohne jegliche Gefühlsregung zu.

      „Patrick Monarch!“, wiederholte die Kommissarin.

      „Sagt mir nichts, muss vor meiner Zeit gewesen sein. Ich kann gerne mal nachschauen.“

      „Bemühen Sie sich nicht. Meine Kollegen sind schon dabei!“, grinste Sandra und versuchte, ihren ansteigenden Blutdruck zu organisieren.

      „Mir fehlen auch die Schichtpläne der Jahre 2009 und 2010.“

      Noch immer regte sich die Frau nicht.

      „Könnten Sie etwas dazu sagen?“

      „Hatte ich Ihnen schon erklärt, erst Ende letzten

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