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die Comtesse dort hinführen zu können, wollte ich den goldenen Rahmen vom Bild meiner Mutter verpfänden. Das Leihhaus stelle ich mir von jeher wie eins der Tore zum Bagno vor; aber es war immer noch besser, sogar mein Bett dahin zu tragen, als Almosen zu erbetteln. Der Blick eines Menschen, den man um Geld bittet, tut so weh! Manche Darlehen kosten uns unsere Ehre, wie manch abschlägiger Bescheid aus Freundesmund uns eine letzte Illusion raubt. Pauline arbeitete, ihre Mutter hatte sich zur Ruhe begeben. Nach einem flüchtigen Blick auf das Bett, dessen Vorhänge leicht zurückgezogen waren, glaubte ich Madame Gaudin fest eingeschlafen, da ich ihr gelbes ruhiges Profil auf dem Kopfkissen wahrnahm. – ›Sie haben Kummer?‹ fragte Pauline und legte den Pinsel auf ihre Malarbeit. – ›Gutes Kind, Sie können mir einen großen Gefallen erweisen‹, erwiderte ich ihr. Sie sah mich so beglückt an, daß ich erzitterte. ›Sollte sie mich lieben?‹ dachte ich. ›Pauline‹, begann ich von neuem und setzte mich nun nahe zu ihr, um sie auszuforschen. Sie erriet, was ich wollte, so eindringlich fragend war mein Ton; sie senkte die Augen, und ich sah sie prüfend an. Ich glaubte in ihrem Herzen lesen zu können wie in meinem eigenen, denn der Ausdruck ihres Antlitzes war rein und unschuldig. – ›Sie lieben mich?‹ fragte ich endlich. – ›Ein bißchen, über alle Maßen, gar nicht!‹ rief sie. Sie liebte mich nicht. Ihr neckischer Ton und ihre possierlichen Gebärden zeugten nur von der mutwilligen Dankbarkeit eines jungen Mädchens. Ich gestand ihr also meine schlimme Lage, die Verlegenheit, in der ich mich befand, und bat sie, mir zu helfen. – ›Wie, Monsieur Raphael‹, rief sie, ›Sie wollen nicht aufs Leihhaus gehen und schicken mich!‹ Ich errötete. Ihre kindliche Logik setzte mich in Verlegenheit. Dann ergriff sie meine Hand, als wolle sie die Wahrheit ihres Ausrufs durch eine Zärtlichkeit wiedergutmachen. – ›Oh!‹ fuhr sie dann fort, ›ich ginge schon gern, aber der Gang ist unnötig. Heute morgen habe ich hinter dem Klavier zwei 100-Sous-Stücke gefunden, die Sie wohl aus Versehen zwischen Wand und Scheuerleiste rollen ließen; ich habe sie Ihnen auf Ihren Tisch gelegt.‹ – ›Sie werden gewiß bald Geld bekommen, Monsieur Raphael‹, sagte nun die gute Mutter und steckte den Kopf durch die Vorhänge, ›ich kann Ihnen inzwischen gut und gern ein paar Taler leihen.‹ – ›O Pauline!‹, rief ich und drückte ihr die Hand, ›ich wollte, ich wäre reich!‹ – ›Bah! Warum denn?‹ rief sie keck. Ihre Hand zitterte in meiner und erwiderte alle Schläge meines Herzens; sie zog ihre Finger rasch zurück und betrachtete prüfend meine Hand. ›Sie werden eine reiche Frau heiraten‹, sagte sie dann, ›aber sie wird Ihnen viel Kummer machen. O mein Gott! sie wird Sie töten! Das weiß ich sicher.‹ In ihrem Aufschrei lag ein gewisser Glauben an die närrischen Prophezeiungen ihrer Mutter. – ›Sie sind sehr leichtgläubig, Pauline!‹ – ›Oh, ganz sicher‹, versetzte sie und sah mich entsetzt an, ›die Frau, die Sie lieben, wird Sie töten!‹ Sie griff wieder zu ihrem Pinsel, tauchte ihn, tiefbewegt, in die Farbe und sah mich nicht mehr an. In diesem Augenblick hätte ich schon an derlei Hirngespinste glauben mögen. Ein Mensch ist nicht so elend dran, wenn er abergläubisch ist. Der Aberglaube ist oft eine Hoffnung. In meinem Zimmer sah ich in der Tat zwei prächtige Taler auf dem Tisch liegen, deren Dasein mir unerklärlich schien. In den wirren Gedanken während des Einschlafens ging ich meine Ausgaben durch, um diesen unerhofften Fund zu rechtfertigen, aber in vergebliche Rechnereien verloren, schlief ich ein. Am nächsten Morgen kam Pauline, als ich gerade ausgehen wollte, um eine Loge zu bestellen. ›Vielleicht reichen Sie mit zehn Francs nicht aus‹, sagte das liebe, holde Kind errötend, ›im Auftrag meiner Mutter soll ich Ihnen dieses Geld anbieten. Nehmen Sie, nehmen Sie!‹ Sie legte drei Taler auf den Tisch und wollte eiligst hinaus; aber ich hielt sie fest. Bewunderung trocknete die Tränen, die mir in die Augen traten. ›Pauline‹, rief ich, ›Sie sind ein Engel! Dieses Darlehn rührt mich nicht so tief wie das Zartgefühl, mit dem Sie es mir bieten. Ich sehnte mich nach einer reichen, eleganten, vornehmen Frau. Aber ach, jetzt wollte ich, ich besäße Millionen und fände ein junges Mädchen, das arm wäre und ein reiches Herz hätte wie Sie. Dann würde ich einer verhängnisvollen Leidenschaft entsagen, die mich töten wird. Vielleicht werden Sie damit recht behalten.‹
›Genug!‹ rief sie. Sie entfloh, und ihre Nachtigallenstimme, ihr frisches Trällern klang von der Treppe her wider. – ›Wie glücklich sie ist, daß sie noch nicht liebt!‹ sagte ich zu mir selbst und dachte an die Qualen, die ich seit mehreren Monaten ausstand. Die 15 Francs Paulines erwiesen sich mir als sehr wertvoll. Als Fœdora an die plebejischen Dünste dachte, die wir in dem Saal ein paar Stunden lang ertragen sollten, bedauerte sie, kein Bukett zu haben; ich holte ihr die Blumen und brachte ihr damit mein Leben und mein ganzes Vermögen dar. Ich empfand Reue und Vergnügen zugleich, als ich ihr den Strauß brachte, dessen Preis mich lehrte, wie kostspielig die oberflächliche Galanterie der vornehmen Welt ist. Bald darauf klagte sie über den aufdringlichen Duft des mexikanischen Jasmins; als sie den Saal erblickte, packte sie ein unerträglicher Widerwille, und als sie auf der harten Bank Platz genommen hatte, machte sie mir Vorwürfe, daß ich sie dorthin geführt hatte. Was scherte es sie, daß sie mit mir zusammen war; sie wollte gehen, und sie ging. Nächtelang hatte ich nicht geschlafen, zwei Monate meiner Existenz verschwendet und keine Gnade vor ihren Augen gefunden! Nie war dieser Teufel anmutiger und liebloser gewesen. Unterwegs, als ich neben ihr in dem engen Coupé saß, atmete ich ihren Atem, berührte ihren parfümierten Handschuh, sah all die Herrlichkeiten ihrer Schönheit, spürte einen süßen Duft wie von Schwertlilien: ganz ein Weib und ganz und gar kein Weib. In diesem Augenblick zuckte es wie ein Blitz durch meine Seele, und ich schaute in die Tiefen dieses geheimnisvollen Daseins. Ich dachte an das jüngst erschienene Buch eines Dichters, ein wahres Kunstwerk, wie nach der Statue des Polyklet geschaffen. Ich glaubte jenes Ungeheuer vor mir zu sehen, das bald als Offizier ein feuriges Roß bändigt, bald als junges Mädchen sich herausputzt und seine Liebhaber zur Verzweiflung treibt, bald selbst als Liebhaber eine sanfte und ehrbare Jungfrau ins Elend stürzt. Da ich Fœdora nicht mehr anders enträtseln konnte, erzählte ich ihr diese phantastische Geschichte; nichts jedoch verriet ihre Ähnlichkeit mit dieser Dichtung des Unmöglichen, sie fand ganz treuherzig ihren Spaß daran, wie ein Kind an einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. – ›Wenn Fœdora‹, sagte ich auf dem Nachhauseweg zu mir, ›der Liebe eines Mannes in meinem Alter, dem zündenden Feuer, das von Seele zu Seele springt, widerstehen kann, muß sie unter dem Schutz irgendeines Geheimnisses stehen. Vielleicht ist sie von Krebs befallen, wie Lady Delacour?38 Wie auch immer, sie führt ein künstliches Leben.‹ Bei diesem Gedanken überlief es mich kalt. Und nun ersann ich den ausgefallensten und zugleich vernünftigsten Plan, auf den ein Liebender je verfallen ist. Um den
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