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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Читать онлайн.Название Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962815226
Автор произведения Honore de Balzac
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
›Das will ich meinen‹, erwiderte er unbefangen. ›In meinem Haß habe ich immer recht gehabt. In meinen Freundschaften übrigens auch‹, fügte er hinzu. ›Meine Feinde sind mir vielleicht ebenso dienlich wie meine Freunde. Ich habe die moderne Ausdrucksweise und die natürlichen Kniffe, derer man sich bedient, um alles anzugreifen oder alles zu verteidigen, besonders eingehend studiert. Redegewandt wie ein Minister zu sein ist eine soziale Vervollkommnung. Ist einer Ihrer Freunde geistlos, heben Sie seine Ehrlichkeit und seinen Freimut hervor. Ist das Werk eines anderen schwerfällig, deklarieren Sie es als gewissenhafte Studie. Ist das Buch schlecht geschrieben, loben Sie seinen Ideengehalt. Jemand ist unzuverlässig, unbeständig, nie beim Wort zu nehmen, nun, heißen Sie ihn verführerisch, blendend, charmant. Handelt es sich aber um Ihre Feinde, so werfen Sie ihnen die Toten und die Lebenden an den Kopf und kehren Ihre Sprache einfach um, so geschickt Sie die Vorzüge Ihrer Freunde gepriesen haben, so virtuos stöbern Sie die Fehler Ihrer Feinde auf. Diese Anwendung der moralischen Lupe ist das Geheimnis unserer Konversation und die ganze Kunst des Höflings. Sie nicht gebrauchen hieße waffenlos gegen Leute zu Felde ziehen, die gewappnet sind wie Bannerträger. Und ich gebrauche sie! Ich mißbrauche sie sogar zuweilen; darum hat man Respekt vor mir, vor mir und meinen Freunden, denn übrigens, mein Degen ist nicht schlechter als meine Zunge.‹ Einer der glühendsten Verehrer Fœdoras, ein junger Mann, dessen Dreistigkeit berühmt und ihm sogar Mittel zum Zweck war, hob den Fehdehandschuh auf, den Rastignac so verächtlich hingeworfen hatte. Er fing an, von mir zu sprechen und meine Begabung und meine Person über alle Maßen zu rühmen. Rastignac hatte diese Art, jemanden zu lästern, allerdings vergessen. Diese hämische Lobeshymne täuschte die Comtesse, die mich mitleidlos opferte; um ihre Freunde zu unterhalten, spottete sie über meine Geheimnisse, meine Wünsche und meine Hoffnungen. – ›Er hat eine Zukunft!‹ sagte Rastignac. ›Vielleicht ist er eines Tages imstande, grausame Rache zu nehmen; seine Begabung kommt zumindest seinem Mut gleich. Ich halte also Leute, die ihn reizen, für sehr verwegen, denn er hat ein gutes Gedächtnis …‹
›Und schreibt Memoiren‹, fügte die Comtesse hinzu, der das tiefe Schweigen, welches sich plötzlich ausgebreitet hatte, zu mißfallen schien. ›Memoiren einer falschen Comtesse, Madame‹, versetzte Rastignac. ›Um sie zu schreiben, bedarf es einer anderen Sorte Mut.‹ – ›Ich traue ihm viel Mut zu‹, erwiderte sie, ›er ist mir treu.‹ Ich war lebhaft versucht, vor den Spöttern aufzutauchen wie Banquos Geist in Macbeth. Ich verlor eine Geliebte, aber besaß einen Freund! Jedoch flüsterte mir die Liebe mit einem Male eine jener feigen und spitzfindigen Paradoxa zu, mit denen sie all unseren Schmerz einzulullen versteht. – ›Wenn Fœdora mich liebt‹, dachte ich, ›muß sie dann ihre Neigung nicht unter boshaften Scherzen verstecken. Wie oft schon hat das Herz den Lügen des Mundes widersprochen!‹ Endlich wollte mein unverschämter Rivale, der als letzter bei der Comtesse geblieben war, sich verabschieden. – ›Wie? schon?‹ fragte sie in schmeichlerischem Ton. Ich zitterte. ›Wollen Sie mir nicht noch einen Augenblick schenken? Haben Sie mir nichts mehr zu sagen? Können Sie mir nicht eines Ihrer Vergnügen opfern?‹ Er ging. ›Ach!‹ rief sie und gähnte, ›wie langweilig sie alle sind!‹ Sie zog heftig an einer Schnur, und eine Klingel ertönte. Die Comtesse trat in ihr Schlafzimmer und trällerte die Melodie ›Pria che spunti‹.39 Nie hatte sie jemand singen hören, und dieses Nichtsingen hatte zu absonderlichen Deutungen geführt. Man sagte, sie hätte ihrem ersten Liebhaber, der von ihrem Talent entzückt und übers Grab hinaus eifersüchtig gewesen wäre, versprochen, niemandem ein Glück zu gewähren, das er allein genossen haben wollte. Ich spannte alle Kräfte meiner Seele an, um die Klänge in mich aufzunehmen. Von Note zu Note sang sie voller, schien Fœdora lebhafter, der Reichtum ihrer Kehle entfaltete sich, und die Melodie gewann etwas Göttliches. Die Comtesse hatte eine klare, reine Stimme und etwas Harmonisches und Vibrierendes