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nicht wuß­te, wie weit mich mein ro­man­ti­scher Ent­schluß füh­ren konn­te, woll­te ich be­waff­net sein. Als die Sa­lons sich zu fül­len be­gan­nen, ging ich in das Schlaf­zim­mer, um die Si­tua­ti­on dort zu er­kun­den, und fand die Ja­lou­si­en und Fens­ter­lä­den ge­schlos­sen, was ich als glück­li­ches Omen deu­te­te. Da die Zofe kom­men konn­te, um die Vor­hän­ge an den Fens­tern her­un­ter­zu­las­sen, lös­te ich die Hal­ter selbst; frei­lich war die­se Vor­weg­nah­me häus­li­cher Vor­keh­run­gen ris­kant, doch sah ich den Ge­fah­ren mei­ner Lage ge­faßt ins Auge und hat­te sie kalt­blü­tig ein­kal­ku­liert. Ge­gen Mit­ter­nacht ver­barg ich mich in ei­ner Fens­ter­ni­sche. Da­mit man mei­ne Füße nicht se­hen konn­te, ver­such­te ich, mich mit dem Rücken ge­gen die Wand auf die Leis­te der Tä­fe­lung zu stel­len, wo­bei ich mich am Fens­ter­rie­gel fest­hielt. Nach­dem ich mein Gleich­ge­wicht aus­pro­biert, mei­ne Stütz­punk­te und den Raum zwi­schen mir und den Vor­hän­gen ge­prüft hat­te, ge­lang es mir, mich an mei­ne schwie­ri­ge Stel­lung zu ge­wöh­nen, so daß ich dort un­ent­deckt ver­har­ren konn­te, wenn kein Krampf, kein Hus­ten und kein Nie­sen da­zwi­schen kam. Um mich nicht un­nütz an­zu­stren­gen, blieb ich auf dem Fuß­bo­den ste­hen bis zu dem kri­ti­schen Au­gen­blick, in dem ich hän­gen muß­te, wie die Spin­ne in ih­rem Netz. Der wei­ße Moiré und der Mus­se­lin der Vor­hän­ge war­fen tie­fe Fal­ten vor mir und gli­chen Or­gel­pfei­fen, in die ich mit mei­nem Mes­ser Lö­cher schnitt, um ver­mit­telst die­ser Art Schieß­schar­ten al­les zu se­hen. Aus den Sa­lons drang ge­dämpft das Ge­läch­ter und Stim­men­ge­wirr der Plau­dern­den zu mir her­über. Die­ser ver­wor­re­ne Lärm, das dump­fe Hin und Her wur­de all­mäh­lich schwä­cher. Ei­ni­ge Her­ren ka­men ihre Hüte ho­len, die un­mit­tel­bar ne­ben mir auf der Kom­mo­de der Com­tes­se ab­ge­legt wa­ren. Wenn sie die Vor­hän­ge streif­ten, über­lief mich ein Schau­der, da ich an die Zer­streut­heit und das wahl­lo­se Um­her­su­chen von Men­schen dach­te, die es ei­lig ha­ben fort­zu­kom­men und dann al­les durch­stö­bern. So wer­te­te ich es als ein gu­tes Zei­chen, daß kein sol­ches Miß­ge­schick ein­trat. Den letz­ten Hut hol­te ein al­ter Ver­eh­rer Fœ­do­ras, der sich al­lein glaub­te, einen Blick auf das Bett warf und einen schwe­ren Seuf­zer aus­stieß, dem ein un­ver­ständ­li­cher, aber recht ener­gi­scher Aus­ruf folg­te. Die Com­tes­se, die in dem Bou­doir ne­ben ih­rem Schlaf­zim­mer nur noch fünf oder sechs enge Freun­de bei sich hat­te, schlug ih­nen vor, dort den Tee ein­zu­neh­men. Es misch­ten sich nun­mehr die Ver­leum­dun­gen, für die sich die heu­ti­ge Ge­sell­schaft das biß­chen Glau­ben, was ihr noch ge­blie­ben ist, be­wahrt hat, die Sti­chel­re­den, die wit­zi­gen Ur­tei­le mit dem Ge­klap­per der Tas­sen und Löf­fel. Ohne je­des Er­bar­men mit mei­nen Ne­ben­buh­lern er­reg­te Ras­ti­gnac mit sei­nen bei­ßen­den Be­mer­kun­gen schal­len­des Ge­läch­ter. – ›M­on­sieur de Ras­ti­gnac ist ein Mann, mit dem man es nicht ver­der­ben dar­f‹, sag­te die Com­tes­se la­chend.

      ›Das will ich mei­nen‹, er­wi­der­te er un­be­fan­gen. ›In mei­nem Haß habe ich im­mer recht ge­habt. In mei­nen Freund­schaf­ten üb­ri­gens auch‹, füg­te er hin­zu. ›Mei­ne Fein­de sind mir viel­leicht eben­so dien­lich wie mei­ne Freun­de. Ich habe die mo­der­ne Aus­drucks­wei­se und die na­tür­li­chen Knif­fe, de­rer man sich be­dient, um al­les an­zu­grei­fen oder al­les zu ver­tei­di­gen, be­son­ders ein­ge­hend stu­diert. Re­de­ge­wandt wie ein Mi­nis­ter zu sein ist eine so­zia­le Ver­voll­komm­nung. Ist ei­ner Ih­rer Freun­de geist­los, he­ben Sie sei­ne Ehr­lich­keit und sei­nen Frei­mut her­vor. Ist das Werk ei­nes an­de­ren schwer­fäl­lig, de­kla­rie­ren Sie es als ge­wis­sen­haf­te Stu­die. Ist das Buch schlecht ge­schrie­ben, lo­ben Sie sei­nen Ide­en­ge­halt. Je­mand ist un­zu­ver­läs­sig, un­be­stän­dig, nie beim Wort zu neh­men, nun, hei­ßen Sie ihn ver­füh­re­risch, blen­dend, char­mant. Han­delt es sich aber um Ihre Fein­de, so wer­fen Sie ih­nen die To­ten und die Le­ben­den an den Kopf und keh­ren Ihre Spra­che ein­fach um, so ge­schickt Sie die Vor­zü­ge Ih­rer Freun­de ge­prie­sen ha­ben, so vir­tu­os stö­bern Sie die Feh­ler Ih­rer Fein­de auf. Die­se An­wen­dung der mo­ra­li­schen Lupe ist das Ge­heim­nis un­se­rer Kon­ver­sa­ti­on und die gan­ze Kunst des Höf­lings. Sie nicht ge­brau­chen hie­ße waf­fen­los ge­gen Leu­te zu Fel­de zie­hen, die ge­wapp­net sind wie Ban­ner­trä­ger. Und ich ge­brau­che sie! Ich miß­brau­che sie so­gar zu­wei­len; dar­um hat man Re­spekt vor mir, vor mir und mei­nen Freun­den, denn üb­ri­gens, mein De­gen ist nicht schlech­ter als mei­ne Zun­ge.‹ Ei­ner der glü­hends­ten Ver­eh­rer Fœ­do­ras, ein jun­ger Mann, des­sen Dreis­tig­keit be­rühmt und ihm so­gar Mit­tel zum Zweck war, hob den Feh­de­hand­schuh auf, den Ras­ti­gnac so ver­ächt­lich hin­ge­wor­fen hat­te. Er fing an, von mir zu spre­chen und mei­ne Be­ga­bung und mei­ne Per­son über alle Ma­ßen zu rüh­men. Ras­ti­gnac hat­te die­se Art, je­man­den zu läs­tern, al­ler­dings ver­ges­sen. Die­se hä­mi­sche Lo­bes­hym­ne täusch­te die Com­tes­se, die mich mit­leid­los op­fer­te; um ihre Freun­de zu un­ter­hal­ten, spot­te­te sie über mei­ne Ge­heim­nis­se, mei­ne Wün­sche und mei­ne Hoff­nun­gen. – ›Er hat eine Zu­kunft!‹ sag­te Ras­ti­gnac. ›Vi­el­leicht ist er ei­nes Ta­ges im­stan­de, grau­sa­me Ra­che zu neh­men; sei­ne Be­ga­bung kommt zu­min­dest sei­nem Mut gleich. Ich hal­te also Leu­te, die ihn rei­zen, für sehr ver­we­gen, denn er hat ein gu­tes Ge­dächt­nis …‹

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