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entschloß sich der verwegene Franzose zu einem „strategischen Rückzug“, einem keinesfalls überhasteten, aber wohlberechneten Rückzug, dem auch Karl von Hutten zustimmte.

      „Ich weiß nicht, ob sie uns schon entdeckt haben“, sagte Karl von Hutten, der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter und des Deutschen Philipp von Hutten. Er hatte von Natur aus blonde Haare, die jetzt aber schwarz glänzten, seit sie gefärbt waren. „Wahrscheinlich haben sie, wenn überhaupt, nur unsere Masten bemerkt. Uns bleibt also noch etwas Zeit. Die Schwarzen bringen wir dann später an Land. Wenn wir sie hier absetzen, wird es den Dons ein Vergnügen bereiten, sie wieder einzufangen, und dieses Vergnügen gönne ich ihnen nicht. Don Julio wird sich sehr geärgert haben und dürfte in einem unberechenbaren Zustand sein. Er würde die armen Kerle vor Wut abschlachten.“

      Die exotisch wirkenden Züge von Huttens verhärteten sich sekundenlang, als er das gesagt hatte. Er war ein Spanienhasser, denn Spanier hatten in Venezuela seine Eltern umgebracht, wo Philipp von Hutten ein Handelshaus der Welser betrieben hatte. Die Spanier waren bei dem Mord nicht zimperlich gewesen.

      Ribault war wieder einmal die Ruhe selbst.

      „Nur keine Hast“, sagte er lässig. „Wir wissen, wie behäbig dieser Dreidecker segelt, und wir wissen, wie schnell wir sind. In der Bucht können wir uns nicht verstecken, weil sie keinen ausreichenden Platz bietet und von See her einsehbar ist. Also verschwinden wir und empfehlen uns mit den besten Grüßen an Don Julio. Seit er gemerkt hat, daß der Konvoi verschwunden ist, wird sich seine Laune kaum gebessert haben.“

      „Er dürfte sich in einem Zustand der Raserei befinden“, entgegnete von Hutten, „und auf alles ballern, was seinen Kurs kreuzt.“

      Als hätten sie alle Zeit der Welt, griff Ribault noch einmal nach dem Spektiv. Er warf nur einen kurzen Blick hindurch und drehte sich um, als der Profos neben ihn trat. Er, Batuti, Matt Davies, Paddy Rogers, Jack Finnegan und der Ire Mac O’Higgins, genannt Higgy, waren auf die „Isabella“ abkommandiert worden.

      „Die Rübenschweine haben was abgekriegt“, sagte Carberry, „und das nicht zu knapp. Die Galeone ist beschädigt und kann nicht so schnell segeln wie sonst. Offenbar haben sie sich mit den Portus angelegt. Auf welchen Kurs gehen wir, Jean?“

      „Wir klüsen erst nach Norden und drehen dann aufs offene Meer ab, um unseren Vorsprung zu halten.“

      „Schade um die schöne Bucht“, meinte der Profos bedauernd. „Die einzige Abwechslung an dieser öden Küste, und wir müssen jetzt verschwinden, wirklich bedauerlich.“

      „Wir kehren später ja wieder zurück.“

      Carberry warf einen bedauernden Blick in die Bucht. Sie hatte einen langen Strand mit einer Baumgruppe und ein felsiges Kap, an dem sich die Brandung gischtend und donnernd brach. Edwin Carberry hatte schon ein Bad in dieser Brandung in Betracht gezogen, sobald die Sklaven ausgeschifft waren, aber daraus wurde jetzt leider nichts.

      Die Segel waren gesetzt. Der Bug der „Isabella“ schwang langsam herum. Der Bugspriet deutete auf die offene See.

      Da geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte.

      Der Harmattan briste auf, bösartig und ganz plötzlich. Es war ein wilder Windstoß, der in die Segel fuhr und die Galeone hart überkrängen ließ. Die Bö reichte aus, um die „Isabella“ hart nach Backbord zu versetzen. Der Franzose Grand Couteau kriegte sie jedoch schnell wieder in den Griff und fluchte lauthals.

      „Mehr Steuerbord!“ rief Jean Ribault.

      Langsam glitt die „Isabella“ aus der malerischen Bucht mit dem vorspringenden Kap und der Landzunge. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und ließ es wie flüssiges Silber erscheinen.

      Im Süden wurde die „Casco de la Cruz“ merklich größer. Sie pflügte mit ausgerannten Geschützen durch die See und schob einen milchigen Bart vor sich her. Das große Schiff schien in allen Verbänden zu zittern, wenn es in Bewegung war.

      Der riesenhafte Neger Dogon erschien wie ein Wilder an Deck. Seine schwarze Haut glänzte, er war ziemlich aufgeregt.

      Carberry ging gleich auf ihn zu, in der Annahme, der schwarze Bursche würde wieder mit neuem Ärger beginnen. Sie hatten sich zwar zusammengerauft, doch so ganz war dem Anführer der Schwarzen noch nicht zu trauen, weil immer noch ein kleiner Rest Mißtrauen in ihm steckte.

      „Reg dich wieder ab“, sagte der Profos trocken. Dogon verstand die Sprache der Spanier und beherrschte sie selbst ganz gut.

      „Untiefen!“ schrie er, ohne den Profos zu beachten. „Dort vorn sind Sandbänke, viele Stellen!“

      Er gestikulierte dabei wild mit den Armen und zeigte immer wieder ins gleißende Wasser.

      Keiner sah etwas, weder eine Sandbank noch andere Untiefen.

      „Hart Steuerbord!“ brüllte Ribault und hoffte, die wilden Handzeichen des Schwarzen richtig zu deuten.

      Grand Couteau gab auch sein Bestes und wirbelte das Rad herum. Doch es war bereits zu spät.

      Unter dem Bug knirschte es leise und kaum hörbar. Der Ruck war ebenfalls sehr sanft, doch die „Isabella“ saß übergangslos fest. Das Vorschiff hob sich unmerklich an, die Galeone legte sich nach Steuerbord über.

      Jean Ribault sah sich ernüchtert um und blickte in ratlose und verstörte Gesichter. Sie konnten es nicht glauben, aber sie saßen wahrhaftig auf einer Sandbank fest.

      Die „Casco de la Cruz“ näherte sich schnell mit ihren zweiundneunzig ausgerannten Rohren.

      „Das sieht nach einem verdammt unrühmlichen Ende aus“, sagte der Franzose mit jener schnoddrigen Lässigkeit, die ihm eigen war. „Der gute Don Julio wird uns wohl kaum Absolution erteilen, wenn er merkt, mit wem er es zu tun hat. Spätestens dann wird ihm eine riesige Hecklaterne aufgehen.“

      „Mir ist sehr wunderlich“, sagte Matt Davies unbehaglich. „Wir sollten nicht allzulange auf die Flut warten. Die läßt sich wesentlich mehr Zeit als der gute Don Julio.“

      „Der wird sich wundern“, tönte Carberry herum, „wenn er uns sieht. Ich wette, er kann sich die ganze Geschichte nicht zusammenreimen. Möglicherweise ist das unsere Chance, weil er keinen Durchblick hat.“

      „Du glaubst, er hat das Wild gestellt und wird erst lange Fragen stellen?“ fragte Jean. „Der weiß doch genau, wer wir sind.“

      „Er kennt nur Hasard und Juan, und die sind nicht an Bord. Also dürfte er erst mal nachforschen, weil wir ihm ohnehin nicht mehr entwischen können. Erst dann wird er ballern, und ob wir ihn ein zweites Mal wieder so leimen können, ist sehr fraglich.“

      „Ich verlasse mich lieber auf Tatsachen und auf das, was ich vor mir sehe“, entgegnete der Franzose. „Nehmt die Haken und versucht, das Schiff abzudrücken. Wir sitzen nicht fest auf, wir sind nur über Sand geschrammt und haben eine gute Chance. An die Arbeit! Und behaltet vor allem die Ruhe, nichts überstürzen.“

      Die Schwarzen hatten die Gefahr ebenfalls längst erkannt. Außerdem führte Batuti sie ihnen ganz drastisch vor Augen.

      Aber selbst Dogon zögerte nicht länger. Er sah das stark armierte Schiff, und er und seine Freunde kannten die Spanier zur Genüge. Für die genügte oftmals schon ihr Anblick, um wild zu reagieren. In seiner Sprache rief er ein paar Worte und erklärte den anderen, was sie zu tun hatten.

      Lange Stangen und Bootshaken wurden geholt. Auch lange Spieren aus dem Laderaum wurden eiligst nach oben gebracht.

      Hände krampften sich um Haken und Stangen. Sie legten ihr Gewicht mit der Schulter dagegen und gaben alles an Kräften her, was sie hatten.

      Für die malerische Bucht hatte keiner mehr einen Blick übrig. Es ging um ihr Leben. Nur hin und wieder blickten sie flüchtig nach Süden.

      Dort war die schwimmende Festung inzwischen zu einem monströsen Gebilde aus Segeln, Masten und Kanonen angeschwollen und füllte gut sichtbar einen Teil des Horizontes aus.

      Der

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