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Stadtrat wirkte wie ein Politiker, der gezwungen ist, sich einen rassistischen Witz anzuhören, ohne zu wissen, wer zuhört. »Die Stadtverwaltung bleibt so lange in den Händen des Stadtrates, bis … äh … bis eine neue Wahl organisiert werden kann.« Er nickte, anscheinend zufrieden mit der Erklärung, und wiederholte: »Ja, organisiert.«

      »Sind Sie gekommen, um mir das zu sagen?«

      »Was?« Er trat einen Schritt von der Schwelle zurück, als hätte ich an seine Tür geklopft und ihm einen Wachturm unter die Nase gehalten. »Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht. Das ist nur ein Willkommensbesuch.«

      Wenn er nervös war, wiederholte er sich offenbar. Auf jeden Fall ein Politiker, im wahrsten Wortsinn doppelzüngig. Aber mir wurde etwas klar. Ich redete eigentlich gar nicht mit ihm.

      »Wen haben Sie da dabei?«, fragte ich.

      Der Mann im Hintergrund steckte sich genau in diesem Moment eine Zigarre in den Mund. Er zündete sie mit einem altmodischen Feuerzeug an – eines von denen, die eine große flackernde Flamme haben und sich mit einem satten metallischen Schnappen schließen. Nachdem er es zugemacht hatte, war der gelbe Schein verschwunden, der die untere Hälfte seines Gesichts beleuchtet hatte. Ich sah nur das Kinn und den Mund. Zusammen mit den Schlangenlederstiefeln, dem cremefarbenen Western-Anzug und himmelblauen Seidenhemd, verriet mir das genug, um zu wissen, dass er mexikanische Vorfahren hatte. Er stieß eine dicke Wolke Zigarrenrauch aus, bevor er zur Treppe ging. Hinter ihm blieb der Rauch in der Luft hängen und verbreitete das Aroma von San Andrés Black Leaf.

      Mr. Bascom Wood sah ihm nach und wandte sich dann wieder an mich. Er war Mexikaner oder Hispanic und nicht erst vor Kurzem eingewandert. Sein Englisch war durch und durch texanisch. Abgesehen von einem gemeinsamen Erbe teilten sie die Vorliebe für Westernklamotten, wenn nicht den kompletten Kleidungsstil. Sein Anzug war aus Jeansstoff, die Stiefel aus abgenutztem, groben Leder. Er trug keinen Hut. Ich vermutete, er war auf die nach hinten gegelten Haare stolz. Auf den Schnurrbart mit den hängenden Spitzen vermutlich genauso.

      »Entschuldigen Sie meinen Freund, Chief Tindall. Die Beziehungen mit der Polizei sind ein wenig angespannt in Lansdale bei all dem Wachstum.« Bascom breitete beim Wort Wachstum beide Hände aus. Ich zählte fünf Goldringe an seinen Wurstfingern. Drei an einer Hand, zwei an der anderen.

      »Ich bin nicht hier, um die Lage zu verkomplizieren«, sagte ich. Ich wusste nicht genau, wofür ich hier war. Es war jedoch nicht schwer zu erraten, dass die Lage nicht verkomplizieren weit oben auf Bascom Woods Prioritätenliste stand.

      Ich hatte recht. Er grinste breit und entspannte sich. Dann sagte er: »Gut. Gut. Alle werden sich freuen, das zu hören.« Er sah mich weiter an.

      »Sonst noch was?«

      »Es ist nicht nur das Haar, wissen Sie.« Wood zeigte mit einem dicken Finger auf meine Brust. »Sie haben auch abgenommen.«

      Mein Rückgrat versteifte sich.

      »Und Ihre Stimme …«

      »Es war eine schwere Zeit für mich«, unterbrach ich ihn und versuchte genervt und nicht verzweifelt zu klingen. »Wir hatten einen Todesfall in der Familie.«

      Er nickte und sagte dann: »Davon habe ich gehört. Es tut mir leid.«

      Den ersten Satz nahm ich ihm ab, aber nicht den zweiten.

      »Chief«, wieder sprach er das Wort mit merkwürdigem Nachdruck aus. »Ich kann gar nicht erwarten, dass Sie Ihren Job antreten.«

      »Dann sollte ich vielleicht eine Mütze Schlaf nehmen.«

      »Oh ja. Natürlich. Natürlich. Wenn Sie etwas brauchen – egal was – zögern Sie nicht, mich anzurufen, mein Freund.«

      »Schlaf«, sagte ich. »Ich brauche Schlaf.« Ich schloss die Tür, bevor er noch etwas sagen konnte. Ich war nicht immer absichtlich unhöflich. Die Tatsache, dass er Paris getroffen hatte, bereitete mir Kopfzerbrechen. Ich wollte ihn nicht häufiger als nötig treffen. Und noch etwas machte mir Sorgen: der schick gekleidete Kerl hinter Bascom. Ich merke, wenn mich jemand einschüchtern sollte. So leicht knicke ich aber nicht ein.

      Schlaf. Ich hatte gesagt, ich wollte schlafen. Keine Chance. Ich war hellwach und die Nervosität sorgte dafür, dass es so blieb. Vielleicht war es an der Zeit, mich einzurichten.

      Ich steckte die SIM-Karte wieder ins Handy und schaltete es ein, während ich aufs Klo ging. Bevor ich gespült hatte, klingelte es. Milo.

      »Sie haben das Telefon ausgeschaltet«, sagte er.

      »Ihnen auch einen guten Tag.«

      »Scheiß drauf. Ich will, dass Sie mit mir in Kontakt bleiben. Ich will, dass Sie sich umdrehen und mir einen Gutenachtkuss geben, bevor Sie die Augen schließen, und mir morgens ins hübsche Gesicht lächeln. Verstehen Sie?«

      Ich schaltete das Handy aus und ließ es eine Weile liegen, während ich das Hemd mit den Druckknöpfen anlegte. Westernkaro – ich passte mich an. Ich steckte das Hemd in die Hose und rollte die Ärmel hoch. Beim Blick auf meine nackten Arme war ich froh, dass ich immer gewartet hatte, bis ich wieder nüchtern war, bevor ich mir ein Tattoo stechen ließ. Und nüchtern hatte ich kein Bedürfnis danach. Das einzige Tattoo, das ich hatte, war weiter oben auf der Schulter und wurde auch von kurzen Ärmeln verdeckt. Es lautete Airborne.

      Ich hatte das Telefon wieder einschalten und hören wollen, was Milo zu sagen hatte, doch als ich die Stiefel angezogen hatte, knurrte mir der Magen. Das Handy blieb auf dem Nachttisch, während ich mich nach einer Mahlzeit umsah.

      Bei der Suche konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Direkt neben einem Tacoladen war ein Friseur. Er war gerade beim Zusammenfegen und wollte schließen, bis ich ihm sagte, wer ich war. Er deutete auf einen Stuhl und lächelte dabei so gekünstelt, dass ich Sorge hatte, er würde sich den Kiefer ausrenken. Es wurde auch nicht besser, als ich ihm sagte, was ich wollte. Mein Haar war bis über die Ohren gewachsen und strähnig. Fünf Minuten später war es eine Beinaheglatze-Stoppelfrisur. Ich zahlte bar und gab ihm genug Trinkgeld, um einen neuen Freund gewonnen zu haben. Er lächelte herzlich, als ich ihm das Geld gab. Bevor ich an der Tür war, sagte er etwas auf Spanisch zu mir. Ich kann zwar den meisten Unterhaltungen folgen, aber mein Vokabular war nicht so gut, wie es sein sollte. Ein Großteil der Gespräche waren entweder Drohungen oder hatten mit Drogen zu tun gehabt.

      Als ich verständnislos den Kopf schüttelte, hielt der Friseur die Hände wie eine Schüssel vor sich und gab mir zu verstehen, ich solle dasselbe tun. Als ich mit ausgestreckten Händen dastand, holte er eine Flasche von einem Regal hinter dem Friseurstuhl. Er hielt sie hoch, damit ich die verschnörkelte Schrift darauf sehen konnte. Es sah aus, wie eine Flasche Jack Daniels, aber roch nach Wildblumen, Sandelholz und Zeder. Er goss einen großzügigen Schwall davon in meine Hände und führte sich seine an die Wangen, als würde er das Aftershave verreiben.

      Ich benetzte das Gesicht und massierte auch ein wenig davon in den Nacken. Er gab mir ein Handtuch. Als ich den Laden verließ, roch ich, als hätte ich gerade einen Monat in einem Puff in irgendeinem Hinterwäldlerkaff verbracht. Ich hätte mich daran gewöhnen können. Der Geruch verflüchtigte sich, als ich in das Restaurant nebenan ging. Er wurde ersetzt durch den göttlichen Duft gegrillten Fleisches und von Maiskolben, die in heißem Öl frittiert wurden. Und das Bier. Es musste hier seit Generationen in den Planken des Hartholzbodens versickert sein. Das alte Holz sah aus wie Gusseisen und an manchen Stellen war der Boden so abgewetzt, dass sich Trampelpfade um die Bar und in Richtung Küche gebildet hatten. Während ich noch die Atmosphäre in mich aufsog und mich bereits heimisch fühlte, rief jemand: »Chief.«

      Lenore hatte an einem der Tische die Hand gehoben. »Chief Paris«, sagte sie erneut und winkte mich heran. Sie war allein mit einem Bier und einer Schüssel Chips vor sich. Alles schien zu leuchten. Ihr Lächeln. Das glänzende Bierglas. Selbst die Chips waren mit schimmerndem Öl überzogen. Es war, als wäre ich gestorben und in Tex-Mex-Walhalla gelandet.

      »Schicht zu Ende?«, fragte ich, als ich an ihren Tisch trat.

      Lenore schob einen Stuhl mit dem Fuß

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