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hatte ich mit Paris vor zehn Stunden gesprochen. Die Killer des Kartells konnten leicht vor mir hier gewesen sein. Sie brauchten nicht einmal von El Paso herfahren. Ein Anruf hätte genügt, um eine lokale Gang anzuheuern. Genauso wahrscheinlich war, dass sie schon Leute in Houston hatten, die im Wohnwagen warteten, bis ich nach Hause kam.

      Mir wurde leicht schwindlig von den keuchenden Atemzügen, seitdem ich Paris auf dem Boden gesehen hatte. Ich lief Gefahr, zu hyperventilieren. Für einen Moment kämpfte ich darum, den Atem zu kontrollieren und das Karussell im Kopf zu stoppen.

      Paris.

      Ich hatte mir nie so sehr gewünscht, mit ihm reden zu können.

      Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich wollte. Keine Zeit für Trauer. Eine Frage baumelte wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf. Würden sie zurückkommen? Wenn man uns beide nicht kannte und nur hier war, um den durchschnittlich großen Typen mit rotbraunen Haaren zu töten, der in einem Trailer lebte, glaubte man vielleicht, der Job sei erledigt. Jemand, der mich schon mal gesehen hatte, bemerkte aber möglicherweise seinen Fehler und wartete vor der Tür, bis das richtige Ziel zurückkam.

      Ich drehte mich um, knallte die Tür zu und verschloss sie dann. Ich kniete mich neben Paris. Er hatte Jeans an, aber kein Hemd. Das bedeute, er hatte keine Dienstmarke getragen, als sie durch die Tür kamen. Seine Taschen waren leer. Hatten sie nach dem Ausweis gesucht und ihn mitgenommen?

      Ich musste es wissen, bevor ich mich hier aus dem Staub machte.

      Mein Schlafzimmer war ein einziges Durcheinander. Wenig überraschend. Es war schon so, als ich gegangen war. Neben dem Bett war ein kleines Eck auf dem Nachttisch freigeräumt. Paris hatte die Bierdosen in den Müll geworfen und sein Handy eingesteckt, um es zu laden. Sein Geldbeutel war unter dem Telefon. Hätte jemand danach gesucht, hätten sie ihn hinterher nicht wieder ordentlich unter das Handy gelegt. Ich öffnete ihn. Er hatte einen Einschub zum Ausklappen, in dem seine Texas-Ranger-Dienstmarke und der Ausweis vom Department of Public Safety steckten. Ein offener Briefumschlag ohne Anschrift lag in der Schublade des Nachtkästchens. Ich warf einen Blick hinein und sah, dass auf den Papieren US Justizministerium stand. Parisʼ Pistole lag ebenfalls in der Schublade. Es war eine Automatik vom Typ Colt 1911, Kaliber .45, aus dem Zweiten Weltkrieg in einem maßgefertigten Lederholster mit einem Gürtelclip. Ein Geschenk von Buick.

      Paris war nicht das Ziel gewesen. Ich war es. Ich konnte ihm nicht mehr helfen. Vielleicht konnte ich seinen Tod nutzen, um selbst am Leben zu bleiben. Für diesen Gedanken hasste ich mich. Aber ich musste der Wahrheit ins Auge sehen.

      Ich ließ die Unterlagen aus dem großen Umschlag fallen und steckte sein Handy, das Ladegerät und den Geldbeutel hinein. Die 45er klipste ich an den Gürtel. Als ich wieder im Wohnzimmer war, verstaute ich das Paket in einer Einkaufstüte. Erneut durchwühlte ich Parisʼ Taschen. Dieses Mal suchte ich nach seinen Schlüsseln. Ich fand sie und steckte den Bund in meine Jeans.

      Was ich als Nächstes tat, fiel mir schwerer. Ich hob die Leiche an den Schultern und schleppte Paris den Flur entlang, wobei die Füße Blutspuren auf dem Teppich hinterließen. Das hätte ich nicht machen müssen. Ich wollte ihn nur nicht hier auf dem dreckigen Boden liegenlassen. Vieles von dem, was passiert war, hatte ich nicht gewollt. Also musste ich wenigstens diese Kleinigkeit tun.

      Ich legte Paris in mein Bett und deckte ihn zu. Dabei war ich so behutsam wie möglich. Meinen eigenen Geldbeutel steckte ich in seine Tasche. Das war zwar ein erbärmlicher Trick, aber es sollte nicht für immer sein. Höchstens ein paar Wochen. Mein neues Hemd mit den Druckknöpfen war blutig und ruiniert. Ich zog es aus und nahm ein frisches aus dem Schrank. Damit hatte ich fertig gepackt. Das Bargeld würde reichen, um mich tausend Jahre lang einzukleiden. Ich glaubte nicht, dass ich so lange brauchen würde.

      Auf den Nachttisch stellte ich eine Kerze. Es war eine dieser Duftkerzen, die eine Frau in der vergeblichen Hoffnung mitgebracht hatte, den Männergestank aus dem billigen gemieteten Trailer zu vertreiben. Die Kerze hatte länger durchgehalten als sie. Ich zündete sie an und stellte sie neben Paris.

      »Auf Wiedersehen«, sagte ich zu ihm und blieb kurz an der Tür stehen.

      Ich zog den Küchenherd vor, rückte ihn hin und her, bis der Schlauch sich von der Gasleitung löste. Es war nur ein kleiner Riss, kein großes Leck. Ich überlegte einen Moment, es noch zu vergrößern, aber meine Energie verließ mich langsam. Außerdem: Wenn sie meinetwegen zurückkommen wollten, wären sie schon aufgekreuzt. Auch wenn es nur ein kleines Leck war, konnte ich bereits das Propan riechen. Oder zumindest das Zeug, das sie mit hineinmischen, damit es so stinkt. Propan ist schwerer als Luft. Es ist unsichtbar, aber ich stellte mir vor, dass es auf den Boden sank und den Trailer wie Wasser füllte. Bis es bei der Kerze angelangt war, hätte sich eine ganze Menge Gas angesammelt.

      Ich stieg in Parisʼ Pick-up-Truck und fuhr ziellos davon. Als ich zu müde war, um weiterzufahren, hielt ich bei einem Motel. Es war eines von denen, die früher an den Landstraßen so beliebt waren, bevor man einfach auf den neuen Interstate Highways daran vorbeifuhr. Das Texas Lodge Motel war ein langgezogenes Gebäude, das in zehn Zimmer aufgeteilt war. Daneben standen vier einzelne kleine Hütten. Die Sonne war schon aufgegangen, aber das rote Neonschild Zimmer frei leuchtete noch.

      Ich zahlte bar und niemand stellte Fragen. Ich bat um die Hütte, die am weitesten von allen entfernt lag. Das einzige andere Auto auf dem Parkplatz war ein heruntergekommener Minivan, bei dem das gefälschte Holz an den Seiten abblätterte. Im Fenster des Vans war ein Schild, auf dem stand: »The Sweet By and By Gospel Music Hour«. Ich war nicht in der Stimmung für Musik.

      Nachdem ich den halben Tag verschlafen hatte, stand ich auf. Der Schlaf hatte meine Erschöpfung nicht wirklich vertrieben. Ich aß etwas aus einem der Automaten. Dann versuchte ich ein wenig Fernsehen zu schauen. Ich schlief bei einer Wiederholung von Law and Order ein. Etwa um vier Uhr früh wachte ich erneut auf. Es lief noch immer eine Folge Law and Order.

      Alte Fernsehwiederholungen interessierten mich nicht und ich konnte nicht mehr schlafen. Ich holte Parisʼ 45er raus. Sie war sauber und geölt und brauchte keine weitere Pflege. Ich legte sie zur Seite und fischte dann das Telefon aus der Einkaufstüte. Es war eingesteckt und lud auf, als ich es aus dem Schlafzimmer mitgenommen hatte, aber ich hatte es ausgeschaltet, bevor ich es mitnahm. Ich hatte genauso viel Angst davor, dass man mich damit tracken konnte, wie dass es klingelte. Was sollte ich sagen, wenn jemand anrief?

      Ich drückte den Power-Button und das Handy spielte den typischen Jingle beim Hochfahren. Der Bildschirm zeigte die Passworteingabe. Mist. Keine Ahnung, was das Passwort war. Und es war die Sorte von Handy, die einem nur ein paar Chancen gaben, ein Passwort korrekt einzugeben, bevor es dauerhaft gesperrt blieb.

      Ein Ratespiel, das mich ablenkte. Ich saß mit dem Handy auf dem Boden und dachte über Paris nach. Er hätte kein Passwort aus irgendeiner finsteren Assoziation gemacht. Das hieß, ich musste über ihn und all die Dinge nachdenken, von denen ich wusste, dass sie ihm lieb und teuer waren. Diese glücklichen Gedanken fühlten sich an, wie ein kleines Geschenk.

      Beim ersten Versuch hatte ich das Telefon entsperrt. NCC-1701 war die Registriernummer der Enterprise. Es stellte sich heraus, dass Paris doch nicht so tiefgründig oder komplex war, wie ich mir gern einbildete.

      Ich hätte mich fast ein wenig für ihn geschämt, wäre ich nicht gleichzeitig von einem merkwürdigen Stolz überwältigt gewesen, ihn so gut gekannt zu haben. Ich vermisste ihn.

      In den frühen Morgenstunden erforschte ich mithilfe des Handys das Leben meines Bruders. Es war ein Eindringen, eine Vergewaltigung, die ich ohne Zögern beging. Die Informationen waren wie eine Schutzschicht. Der Plan war, Paris zwischen mir und den Killern zu positionieren, die mich suchten. Vielleicht konnte ich mich darin wie in eine Decke einwickeln. Zweifellos würde jemand herausbekommen, dass die Leiche in dem Wohnwagen nicht meine war. Wenn Paris noch am Leben wäre und seinen Geschäften nachging, dauerte es länger, bis irgendwer Verdacht schöpfte.

      Ich blätterte durch die Textnachrichten. Am meisten Angst hatte ich, Nachrichten von einer Frau zu finden, mit der er eine Beziehung hatte. Das Letzte, was ich brauchte, waren irgendwelche verliebten Anrufe. Es gab keine.

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