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auch war, ich wollte nicht, dass er jeden Schritt verfolgte, den ich tat. Ich wusste noch etwas. Es abzuschalten hatte nicht immer die erwünschte Wirkung.

      Während der Fahrt war das nicht so leicht. Wenn ich vernünftig gewesen wäre, hätte ich kurz angehalten. Tat ich nicht. Ich steuerte mit den Knien und Ellbogen und schaffte es, den hinteren Deckel des Handys anzuheben und die SIM-Karte herauszunehmen.

      Nachdem das Handy wirklich tot war, entspannte ich mich ein wenig und trat aufs Gas. Die grüne Landschaft, die vorbeizog, verwandelte sich langsam in trockenes Braun.

      Kapitel 4

      In der Nacht zu fahren, wäre eine gute Idee gewesen. Es fiel mir allerdings erst auf, als ich in der blendenden Hitze der Sonne von West-Texas zu viele Stunden gefahren war. Bis dahin hatte sich das Tageslicht zu einem Farbschmierer am dunkler werdenden Horizont verflüchtigt. Ich hatte wieder Hunger und dachte über ein kleines Nickerchen nach.

      Das war nicht mein üblicher Tagesrhythmus. Mein ganzes Erwachsenenleben lang war ich stets der Typ gewesen, der weiterfuhr, bis es nicht mehr ging. Dann nahm ich eine Mütze Schlaf in einem Truckstopp oder auf einem Parkplatz. Weiterzufahren fühlte sich immer so an, als hätte man etwas geleistet.

      Auf diesem Trip aber nicht.

      Je weiter ich fuhr, desto mehr hatte ich das Gefühl, gegen einen heftigen Wind anzukämpfen. Natürlich herrschte da draußen gar kein Gegenwind. Das wusste ich. Er war in mir. Blies in meinem Geist. Ein merkwürdiges Gefühl. Normalerweise ließ ich mich vom Wind einfach treiben. Sich ihm zu widersetzen, war mir völlig neu.

      Am Morgen stand ich später auf, als ich gedacht hätte und fuhr nicht gleich weiter. Als ich mich auf den Weg machte, war die Sonne noch im Osten, aber schon hoch am Himmel. Sie jagte mich wie eine Katze eine verängstigte Maus. Von ihrer Position am Morgenhimmel wanderte sie über meinen Kopf hinweg, trieb mich mit dem harschen Licht voran, das ich mein ganzes Leben lang vermieden hatte. Jede Meile dieser Fahrt fühlte sich wie eine Läuterung an – die Sorte, die alle Ideen ausbrannte, die man über sich gehegt hat, und nichts weiter als das nackte Selbst zurückließ. Ich habe nie einen Mann getroffen, der gut mit dem zurechtkam, was er in diesem Licht sah.

      Vielleicht Paris.

      Wahrscheinlich fuhr ich deswegen so langsam und fühlte mich derart ausgeliefert. Als ich beschlossen hatte, mein Halbbruder zu werden, hatte ich mich kein einziges Mal gefragt, ob ich der Anforderung gewachsen – ob ich ihm gewachsen war? Selbst, wenn ich den erbärmlichen Selbstzweifel in dieser Frage ignorierte, musste ich zugeben, dass ich nichts darüber wusste, wie es ist, ein Cop zu sein. Was tat ich hier? Ich hatte mich mit mehr Geld aus dem Staub gemacht, als ein Mann wie ich sich je erträumen konnte. Niemand suchte nach mir. Ich hatte einen gepflegten Pick-up und war nur ein paar Stunden von Mexiko entfernt. Wieso den steinigeren Pfad wählen?

      Ich blinzelte ins grelle Licht, als die Sonne vor mir war. Sie hatte sich behutsam angeschlichen, wie eine Katze auf leisen Pfoten, die mich in die Enge treiben wollte. Und der einzige Ausweg war, ihr ins Maul zu klettern. An der nächsten Tankstelle tankte ich und kaufte mir eine verspiegelte Sonnenbrille, wie sie Cops gern tragen.

      Lansdale hatte sich verändert, seitdem ich das letzte Mal da war. Der Ort war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Die Ortsschilder waren mindestens eine halbe Meile weiter nach außen gerückt. Ein Großteil des erweiterten Stadtgebiets wurde von neu errichteten Trailerparks in Anspruch genommen. Die flachen und gleichförmigen Schuhkartons sahen aus, wie die Zähne im Gebiss eines Kinds reicher Eltern – gerade Linien und perfekt ausgerichtet. Einige davon, die am Stadtrand, schienen mit weniger Sorgfalt aufgestellt worden zu sein, als hätte die Stadt keine Zeit mehr für den Besuch beim Kieferorthopäden gehabt.

      Ich fuhr auf der Hauptstraße von Osten her in die Stadt und am selben alten Motel vorbei, in dem ich schon vorher gewesen war. Sogar das Gebäude hatte einen neuen Anstrich bekommen.

      Ich fuhr weiter auf der Main Street, um mich ein wenig umzusehen. Im ältesten Teil der Stadt standen immer noch Reihen klassischer Ziegelhäuser. Alle hatten Ecksteine mit Maurersiegeln, die man auf die letzte Jahrhundertwende datieren konnte. Hinter diesem Stadtkern aus Steinbauten waren in jeder Richtung neue Gebäude mit Gips- oder Blechwänden, die größtenteils Ein-Dollar-Produkte verkauften oder Kredite anboten. Weiter im Westen, wo früher der Asphaltbelag der Straße geendet hatte – und einem Schild am Rand der unbefestigten Staubpiste dahinter, auf dem »Stadtgrenze« stand –, war heute ein Neubaugebiet. Im Norden eine Wohnsiedlung mit hübschen Häusern. Angesichts der Wasserversorgung in der Gegend überraschend, besaßen einige davon üppigen grünen Rasen. Im Süden, näher am Fluss, waren ein paar Fast-Food-Restaurants, ein Laden für Tierpräparation, ein Gebrauchtwagenhändler und zwei Geschäfte, vollgestopft mit altem Schrott. Auf den Schildern über den Türen stand »Antiquitäten«. Es sah alles wie eine normale wachsende Stadt aus, bis ich zu dem neuen und schöneren Stadtgrenzschild kam.

      Dort sah man die wirklichen Veränderungen. Die Straßen mit frischem Asphaltbelag schlängelten sich zwischen Hügel, die durch künstliche Bewässerung grün waren. Ein Golfplatz war das Letzte, was ich in dieser Gegend erwartet hätte. Hinter dem Platz war eine weitere neue Straße. Sie wurde von zwei steinernen Pfosten bewacht. Einer war hohl und in ihm saß ein Wachmann. Der andere war massiv, und zwischen den beiden Pfeilern befand sich ein fünf Meter hohes Eisentor mit speerförmigen Spitzen. Sie sahen ein wenig schärfer aus, als für dekorative Zwecke nötig. Am Wachhäuschen war ein glänzendes Schild angebracht, auf dem in schicker, schwarzer Schrift stand: »Gun Hills Jagdhaus und Privatklub«. Das Einzige, was mir noch merkwürdiger vorkam, lag weiter die Straße hinab und näher am Fluss. Dort wurden einige Gebäude errichtet. Der Großteil der Bauarbeiten wurde hinter Planen durchgeführt. Ich konnte nicht viel erkennen, sah aber genug, um zu wissen, dass es keine alltägliche Baustelle war. Man hatte dicke Fundamente aus Beton in dichte Nester aus Stahlarmierung gegossen. Eine Menge Handwerkertrucks parkten vor der Baustelle. Die meisten Berufe waren vertreten, aber es schien ein Übermaß an Elektrotechnikern und EDV-Spezialisten zu geben.

      In dem ganzen Chaos sah nur ein Geschäft so aus, als wäre es schon fertig gebaut und offen. Eine Bank, und zwar eine große. Ich erkannte es allein daran, dass sie aussah wie jede andere Bank des Landes. Es waren noch keine Schilder angebracht worden, nicht mal ein Große-Eröffnung-Banner, aber es war das einzige Gebäude, das fertiggestellt aussah und vor dem Autos geparkt waren.

      Neben der gewaltigen Baustelle lag eine Bar, die eher nach einer billigen Absteige mit ebenso billigem Bier aussah. Einer von den Schuppen mit jeder Menge Neonschildern an der Fassade. Sie verfügte über einen großen Kiesparkplatz für Motorräder und Lastwagen. Dahinter waren einige kleine Wohnwagen abgestellt. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass nach Einbruch der Dunkelheit hier bei schummriger Beleuchtung eifriges Kommen und Gehen herrschte. Die Wohnwagen dienten als Behausungen für die Frauen, die hier arbeiteten.

      Jemand besitzt also Tausende Quadratmeilen Nichts und baut die Erste Nationalbank des Arsches der Welt ausgerechnet neben einem Puff.

      Hier herrschte ein regelrechter Boom, und das alles schien erst hinter der Stadtgrenze anzufangen. Ein Boom hieß, dass etwas explodiert war. In diesem Teil des Landes bedeutete das normalerweise Öl. Ich hatte nichts gesehen, was auf Ölförderung hingedeutet hätte. Genauso wenig hatte ich etwas entdeckt, das mich länger von meinem Bett fernhalten konnte. Ich wendete den Pick-up und fuhr zurück in die Stadt. Als ich beim Desert Drop Inn ankam, fragte ich mich, wieso es bei all dieser Bautätigkeit immer noch der einzige Ort zum Übernachten war. Dann parkte ich und vergaß die Sache.

      Die frische Farbe war eine Kombination aus hell glänzendem Weiß und blassgrünen Rändern. Der Anstrich wirkte altmodisch, dem halbrunden zweistöckigen Gebäude und dem nierenförmigen Pool in der Mitte angemessen. Ich hatte fast damit gerechnet, Autos mit Heckflossen zu sehen, als ich aus dem Pick-up stieg. Es standen aber sowieso nicht viele Wagen auf dem Parkplatz.

      Die Frau an der Rezeption hieß Lenore. Der Name schien auf merkwürdige Weise passend. Sie hatte rabenschwarzes Haar und einen Teint, der die Hautfarben vieler verschiedener Ethnien zu einem völlig neuen Ton sanfter

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