Скачать книгу

sehen, er trug eine hüftlange, schwarze Jacke mit Pelzkragen. Seine schwarzen Haare standen nach allen Seiten ab, als hätten sie noch nie einen Kamm gesehen. Das schmale Gesicht war blass, sehr blass, und tiefe Ringe lagen unter seinen dunklen Augen.

      »Man sagte uns, in deinem Haus habe Licht gebrannt«, erklärte er sachlich. »Bis jetzt hat noch nie irgendwo Licht gebrannt. Das hat sie neugierig gemacht.«

      Ich starrte ihn empört an.

      »Dann ist es also meine eigene Schuld, dass ich entführt worden bin?«, giftete ich.

      Unbeteiligt zuckte er mit den Schultern.

      »Warum hast du nicht geschlafen, wie die anderen? Dann wäre das alles nicht passiert und ich müsste jetzt nicht das Kindermädchen für ein verwöhntes Gör spielen.«

      Das setzte dem Ganzen wahrlich noch die Krone auf.

      Wütend funkelte ich ihn an.

      »Ein verdammtes Licht gibt euch noch lange nicht das Recht in fremde Häuser einzudringen!«

      Ich verschränkte die Arme vor der Brust, weil ich so wütend war – vor allem aber, um die Kälte in Schach zu halten. Ich fror erbärmlich, was ich ihm auf keinen Fall zeigen wollte.

      Doch allem Anschein interessierte ihn das herzlich wenig; das wunderte mich nicht weiter, denn Mitgefühl war diesen Männern fremd, das hatte ich unlängst verstanden.

      »Du hättest schlafen sollen«, sagte er tonlos und gab mir damit zu verstehen, dass unsere Unterhaltung beendet war.

      Schnurstracks eilte er zur Tür, zog sie hinter sich zu und zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich mir selbst überlassen.

      Wenigstens brannte das Feuer nun. Hätte ich ihm vielleicht danken sollen? Nein. Dafür nicht.

      Kurzentschlossen steuerte ich den kleinen Holztisch an, packte ihn mit beiden Händen an der unteren Kante und drehte ihn um. Mit der Tischplatte zuerst, die Tischbeine nach oben, schob ich ihn anschließend so nah wie möglich an den Kamin heran.

      Von unten wirkte der Tisch zum Glück etwas sauberer. Im Schneidersitz hockte ich mich auf die Unterseite, so musste ich wenigstens nicht auf dem kalten Boden sitzen. Ich begann damit, mir die nassen Schuhe und meine durchweichten Socken auszuziehen, um sie am Feuer zu trocknen. Danach lehnte ich mich mit dem Rücken an eines der Tischbeine. Das Feuer knisterte gemütlich vor sich hin und langsam aber sicher wurde mir etwas wärmer. Meine Anspannung legte sich ein wenig, stattdessen übermannte mich eine tiefe Erschöpfung.

      Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie mir die Augen zufielen. Im Sitzen einzuschlafen war keine sehr gute Idee. Einige Male war mir das schon beim Lesen passiert, danach hatten mir stets sämtliche Knochen wehgetan. Gar nicht gut.

      Doch alles in mir sträubte sich dagegen, mich auf den dreckigen Haufen Lumpen zu legen, der wahrscheinlich auch noch feucht war – weshalb ich den umgedrehten Tisch vorzog, obwohl ich das sicher schon sehr bald bereuen würde.

      Weil mir ohnehin nichts anders übrig blieb, gab ich der Versuchung nach, schloss die Augen und alle Anspannung fiel nun endgültig von mir ab.

      Nur einen kurzen Augenblick, mahnte ich mich zur Vorsicht.

      Als ich hinter mir ein Geräusch wahrnahm, schreckte ich hoch.

      Wie lange ich tatsächlich weggedämmert war, konnte ich nicht einschätzen. Dennoch hoffte ich inständig, dass es nur kurz gewesen war.

      Da bemerkte ich unweit der Tür einen Schatten, zu weit vom Feuer entfernt, um Genaueres ausmachen zu können.

      »Wer ist da?«, fragte ich erschrocken und rappelte mich hastig auf. Beinahe im gleichen Augenblick durchzuckte mich ein stechender Schmerz. Meine Beine waren eingeschlafen und kribbelten nun, als würde ich mitten in einem Ameisenhaufen stehen.

      Ich fluchte innerlich und versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Um so viel Abstand wie irgend möglich zwischen den Schatten und mich zu bringen, humpelte ich bis zum anderen Ende der Hütte.

      »Was machst du da?«, fragte mich eine dünne Stimme.

      Wie angewurzelt blieb ich stehen.

      »Meine Beine tun weh«, gab ich zögernd Auskunft, denn diese Stimme gehörte zu keinem der Männer, die ich bis jetzt hatte kennenlernen müssen. Meine Angst legte sich sogleich.

      Die Stimme gehörte einem Kind.

      Einem Mädchen, wie sich kurz darauf herausstellte, als es zaghaft aus seinem Versteck kam.

      »Warum tun deine Beine weh?«, wollte sie wissen und kam noch ein Stückchen näher. »Bist du verletzt?«

      Die Kleine war kaum älter als sechs oder allerhöchstens sieben Sommer. Sie hatte in ihrem Leben noch nie einen reich gedeckten Tisch gesehen, so wirkte ihre zierliche Gestalt auf mich. Bleich war sie und definitiv unterernährt. Die dunklen Augen wirkten viel zu groß für das schmale Gesicht, welches von langen schwarzen Haaren umrahmt wurde, die glanzlos und strähnig ihre schmächtigen Schultern bedeckten.

      Ich versuchte mich zusammenzureißen und sie nicht merken zu lassen, dass mich ihr erbärmlicher Anblick erschreckte.

      »Körperlich bin ich nicht verletzt«, antwortete ich mit ruhiger Stimme. »Mein Stolz hingegen, der hat mächtig was abbekommen.«

      Sie schien nicht zu verstehen, was ich meinte. Ratlos schaute sie mich mit ihren großen Kulleraugen an.

      »Dein Gesicht«, hauchte sie kaum hörbar, scheinbar aus Angst mich darauf hinzuweisen.

      Kaum zu Ende gesprochen, wurde ihr zarter Körper von einem Hustenanfall gepackt. Sie hustete mit aller Anstrengung, sodass sich winzige Tränen in ihren Augen sammelten.

      Ich hielt kurz inne, die Gedanken zu meinem Gesicht erschienen mir in Gegenwart des armen kleinen Mädchens überflüssig. Doch sie sah mich erwartungsvoll an, also versuchte ich unser Gespräch aufrecht zu erhalten.

      »Mein Gesicht«, fragte ich leise. »Ist es sehr schlimm?«

      Die Kleine bewegte sich auf mich zu, ganz langsam, bis sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt stehen blieb. Langsam hob sie ihren rechten Arm und schaute dabei zu mir auf, also ging ich bereitwillig in die Hocke.

      Eine schmutzige zierliche Hand legte sich an meine Wange, strich leicht wie eine Feder über die Schwellung unter meinem Auge und verharrt kurz über dem Riss an meiner aufgeplatzten Lippe.

      »Tut das weh?«, wollte sie wissen und hustete erneut.

      Kopfschüttelnd antwortete ich: »Nicht sehr. Ist auszuhalten.«

      Sie schenkte mir ein stummes Nicken, nachdem der Hustenanfall abgeebbt war.

      Ich lächelte aufmunternd, um ihr die Scheu zu nehmen. Irgendwie erinnerte sie mich an meine kleine Schwester, obwohl sie keinerlei Ähnlichkeit mit Flo besaß. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie so klein und zierlich war. Mit Gewissheit konnte ich nicht sagen, was mich dazu veranlasste, doch ich mochte sie auf Anhieb.

      »Wie ist dein Name?«, fragte ich behutsam. Sie ließ ihre kleine Hand sinken und wich einen Schritt zurück.

      Offenbar wusste sie nicht genau, ob sie mir ihren Namen verraten sollte. Wahrscheinlich durfte sie nicht einmal mit mir sprechen.

      »Ich bin Solea«, machte ich den Anfang. »Meine Freunde nennen mich Lea.«

      »Hast du viele Freunde?«, fragte sie prompt.

      »Ja. Sehr viele.«

      Aufmerksam betrachtete sie mein Gesicht.

      »Hast du auch ...«, weiter kam sie nicht, da wurde ihr Körper abermals von einem Hustenanfall erfasst. Bei genauerem Hinhören erkannte ich das typische bellende Geräusch, welches Unheilvolles ankündigte.

      Ungewollt begann ich, mir Sorgen zu machen.

      »Das hört sich gar nicht gut an«, bemerkte ich, während ich mich aufrichtete. »Ich glaube, du hast ein Lungenleiden.«

Скачать книгу