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wusste ich nun, dass ein neuer Tag angebrochen war. Mühsam rappelte ich mich auf und wurde sogleich von meinem knurrenden Magen begrüßt. Eine für mich völlig unbekannte Situation, noch dazu äußerst unangenehm.

      Ich hatte noch nie Hunger leiden müssen.

      Zuhause stand immer ein Korb mit Obst auf dem Tisch, im Küchenschrank lag stets ein frisch gebackenes Brot und die Vorratskammer war bis unter den Giebel gefüllt mit eingelegtem Fleisch und geräuchertem Speck. Kuchen und Kekse gab es, so viel ich wollte, wann immer ich Appetit darauf hatte.

      Was würde ich jetzt für eine Scheibe Brot geben, dick mit Kräuterbutter bestrichen. Bei dem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen und mein Magen rebellierte noch lauter. Hinzu kam die unerbittliche Kälte, die sich immer weiter in der Hütte ausbreitete und mich schlottern ließ. Das Feuer musste schon vor einer Ewigkeit erloschen sein. Mit einem Blick auf den kläglichen Holzhaufen überlegte ich, ob ich es wagen sollte. Wenn ich nicht erfrieren wollte, musste ich versuchen das Feuer in Gang zu bringen, soviel stand fest.

      Da vernahm ich Schritte vor der Hütte.

      Hastig suchte ich die klägliche Behausung nach einem Unterschlupf ab. Die spärlichen Lichtstrahlen, die durch die zugenagelten Fenster eindrangen, reichten nicht ganz bis zu dem provisorischen Nachtlager aus feuchten Lumpen, weshalb ich diese Ecke auswählte, um mich zu verkriechen.

      Kaum hatte ich mein Versteck erreicht, wurde die Tür auch schon geöffnet.

      Zu meiner Erleichterung betrat eine Frau die Hütte. Ich erkannte die Vorsteherin.

      »Du kannst herauskommen«, bot sie an und schwenkte einen kleinen Korb hin und her. »Oder willst du nichts essen?«

      Essen?

      Zögernd kam ich aus meinem Versteck hervor.

      »Hilf mir mal«, forderte die Frau mit einem Kopfnicken zum Tisch und stellte ihren Korb auf dem Boden ab.

      Gemeinsam drehten wir den Tisch herum.

      Sie bückte sich, griff nach dem Korb und reichte ihn mir.

      »Danke«, sagte ich höflich, auch wenn ich bei meiner Ankunft bereits gelernt hatte, dass in diesem Dorf kaum Wert auf gute Umgangsformen gelegt wurde.

      »Nur zu«, ermunterte sie mich, als ich vorsichtig in den Korb spähte. Ich entdeckte ein Stück Fleisch, einige Beeren und einen Becher mit Wasser. Erst da wurde mir bewusst, wie durstig ich war. Gierig stürzte ich das Wasser hinunter und erschrak vor der eisigen Kälte, weshalb ich mich bekleckerte.

      »Geschmolzener Schnee«, merkte die Frau an.

      Neugierig betrachtete ich den letzten Rest Wasser im Becher, konnte aber keinen Unterschied zu unserem Quellwasser ausmachen.

      »Jetzt mach schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, drängte mich die Frau, während ich zögernd den Inhalt des Korbes inspizierte.

      Das Fleisch sah merkwürdig aus und unterschied sich im Geschmack deutlich von dem unseren. Schlecht gewürzt und sehr mager. Die Beeren waren beinahe vertrocknet und rochen leicht säuerlich. Trotzdem stopfte ich alles in mich hinein. Mein Hunger war größer als der Ekel vor dem Unbekannten.

      Während ich das Essen vertilgte, begann die Frau damit ein Feuer zu machen. Schon nach ungewöhnlich kurzer Zeit züngelten die Flammen über das Holz und bald darauf breitete sich eine wohlige Wärme in der Hütte aus. Skeptisch geworden, beäugte ich die alte Kochstelle. Nicht einmal mein Vater brachte so schnell ein gutes Feuer zustande.

      Die Frau richtete sich auf, dabei wischte sie ihre Hände an ihrer Kleidung ab. Wie schon am Vortag steckte ihr schmächtiger Körper in einem abgewetzten alten Kleid, eine Pelzweste aus grauem Fell schützte sie vor der Kälte. Ihre Haare hatte sie lieblos zusammengebunden, der lange ungepflegte Zopf reichte ihr bis auf den Rücken, erste graue Strähnen zeigten sich darin.

      Niemand würde bei uns so das Haus verlassen, schoss es mir durch den Kopf. Mutter würde bei diesem Anblick eine Ohnmacht erleiden. Der Gedanke brachte mich zum Lächeln.

      »Ich bin Solea«, startete ich einen zweiten Versuch, da der erste am gestrigen Tag kläglich gescheitert war.

      Die Frau richtete sich auf und drehte den Kopf in meine Richtung.

      »Das sagtest du bereits«, meinte sie schulterzuckend.

      »Dürfte ich Euren Namen erfahren?«, versuchte ich es weiter.

      Die Frau seufzte. »Von mir aus, wenn es dich glücklich macht. Ich heiße Estera.«

      »Freut mich«, setzte ich nach und Stolz erfüllte mich, weil ich tatsächlich etwas erreicht hatte.

      Das ließ mich mutiger werden.

      »Seid Ihr die Vorsteherin?«, mutmaßte ich.

      Anders konnte es gar nicht sein, warum sollte man ihr wohl sonst Geschenke machen wollen?

      Die Frau mit dem schönen Namen Estera betrachtete mich eine Weile mit nachdenklicher Miene. Sie schien abzuwägen, ob sie sich an dem Gespräch beteiligen, oder doch lieber gehen sollte.

      »Ich bin nicht die Vorsteherin«, antwortete sie auf meine Vermutung. »Hier bestimmen die Männer.«

      Aber sie hatte das Sagen oder zumindest eine Art von Handlungsfreiheit, davon war ich überzeugt.

      »Dann ... seid Ihr sicher die Frau eines Vorstehers«, überlegte ich laut, denn ich wollte unbedingt mehr erfahren.

      Mit einem flüchtigen Blick auf das knisternde Feuer meinte sie: »Mein Mann ist vor drei Wintern verstorben. Ich muss mir innerhalb von fünf Wintern einen neuen Gemahl suchen, damit der Posten des Vorstehers nicht unbesetzt bleibt.«

      Ich begann zu verstehen. Die Männer machten ihr Geschenke, weil sie auf den freien Platz an ihrer Seite hofften, der zweifelsohne eine Menge Privilegien mit sich brachte, sofern man bei diesen ärmlichen Verhältnissen überhaupt von Vorzügen sprechen konnte.

      Der Nordmann hatte mich also nur verschleppt, um bei Estera Eindruck zu schinden – und war damit kläglich gescheitert. Mir wurde sofort klar, dass dieser Umstand für mich nichts Gutes bedeutete. Niemand fühlte sich für mich verantwortlich und niemand wollte sich mit mir belasten, nun, da Estera das Geschenk abgelehnt hatte. Früher oder später würde jemand versuchen mich loszuwerden, ganz egal auf welche Art und Weise.

      Nachdem ich der Frau den leeren Korb übergeben hatte, schickte sie sich an zu gehen.

      »Wann kann ich nach Hause«, rief ich ihr nach, von meiner Verzweiflung angetrieben.

      Sie blieb stehen, ohne sich umzudrehen.

      »Ich weiß es nicht«, sagte sie nur, ehe sie die Tür hinter sich ins Schloss zog.

      Die Wut über meine eigene Feigheit brachte mich dazu, dass ich mehrmals gegen den Tisch trat.

      Die Tür war nicht verschlossen, von Anfang an war sie es nicht gewesen. In einem unbeobachteten Augenblick könnte ich einfach hinaus spazieren und die Flucht ergreifen. Von wegen.

      Ich würde nichts dergleichen tun, obgleich der Tod hier auf mich wartete. Viel zu sehr beherrschte mich die Angst vor der klirrenden Kälte, vor den Wölfen, die in den Wäldern lungerten und allem voran die Gewissheit, dass ich niemals den richtigen Weg nach Hause finden würde.

      Ich war nicht in dieser Hütte gefangen. Meine eigene Unfähigkeit fesselte mich an diesen trostlosen Ort.

      Irgendwann drehte ich den Tisch wieder herum und kauerte mich vor dem Kamin auf die Tischplatte. Aufmerksam betrachtete ich meine Hände im Schein des Feuers. Sie erschienen mir schmutzig und ungepflegt, eine Tatsache, die ich mit einem leisen Seufzer quittierte.

      Mein morgendliches Ritual bestand darin, dass ich mir zuerst warmes Wasser aus der Küche holte, auf dem Herd stand dafür immer ein Kessel bereit. Dann wusch ich mir Gesicht und Hände, reinigte meine Zähne mit Minzpaste, kämmte danach meine Haare, band sie ordentlich zusammen und widmete mich anschließend der Hautpflege. Dafür gab es mehrere Tiegel

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