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wurde ich auf die Beine gezerrt.

      »Beweg dich«, kommandierte der Schläger, indem er mich an der Schulter packte und vorwärtsdrängte.

      Mühevoll versuchte ich, nicht gleich wieder umzukippen, was sich jedoch als ziemlich schwierig erwies. Meine Knie zitterten und ich wankte.

      »Die macht uns nur Probleme«, brummte ein weiterer Mann, der zu uns aufholte.

      Anhand der unzähligen Falten um seine Augen herum, schätzte ich ihn auf sechzig bis siebzig Sommer.

      »Lass sie hier«, murrte er und schob sich an uns vorbei. »Das ist unnötiger Ballast, so kommen wir nie an.«

      Vor Schreck blieb mir fast die Luft weg. Mich hierlassen? Alleine in der Wildnis? Großer Lichtgott, das durfte nicht geschehen, dann wäre ich verloren!

      »Wenn es nach mir geht, kann sie hier verrecken«, gab mein Peiniger zurück und machte Anstalten, mich stehenzulassen.

      »Es geht aber nicht nach dir«, mischte sich der ältere Nordmann ein, dem ich meine allererste Ohrfeige verdankte.

      »Sie kommt mit uns. Ende der Diskussion.«

      Ich wurde angetrieben, vorwärts geschoben und unsanft in Richtung Wald dirigiert.

      Der Weg durch den kniehohen Schnee war beschwerlich, ich stolperte immer wieder und fiel hin. Meine Halbschuhe boten wenig Schutz gegen den Schnee, nach wenigen Schritten waren meine Socken triefend nass. Doch die Männer hatten kein Erbarmen mit mir. Ungeduldig zerrten sie mich jedes Mal wieder auf die Füße. Inzwischen zitterte ich am ganzen Leib. Die eisige Kälte, die sich durch meine Sachen wühlte, wurde von Atemzug zu Atemzug schlimmer. Meine Zähne schlugen schmerzhaft aufeinander, während ich versuchte mit den anderen Schritt zu halten. Meine Beine wurden schwer wie Blei.

      Dann, nach einem Fußmarsch, der wahrscheinlich nur wenige Zeit angedauert hatte, mir aber wie eine Ewigkeit vorgekommen war, erreichten wir endlich den Wald. Dunkel und bedrohlich ragten die Bäume vor mir in den Himmel.

      »Nicht stehen bleiben«, kommandierte einer der Nordmänner und schubste mich.

      Nur sehr widerwillig folgte ich der Gruppe in den Wald, was mir einen weiteren, diesmal viel kräftigeren Stoß einbrachte. Ich kam ins straucheln und landete bäuchlings im Schnee. Mühsam rappelte ich mich auf und stolperte vorwärts.

      Zwischen den Bäumen lag der Schnee nicht einmal annähernd so hoch wie auf der Lichtung. Trotzdem hatte ich noch immer Mühe, schnell genug zu folgen. Immer wieder stolperte ich oder kam ins Rutschen.

      »Verdammt noch mal«, beschwerte sich der alte Nordmann, der sich in meine Richtung drehte. »In dem Tempo sind wir in drei Monden noch immer nicht Zuhause.«

      Trotz seines vorangeschrittenen Alters schien er sehr kräftig zu sein, er bewältigte die Strecke mit sichern Schritten, ohne dabei aus der Puste zu kommen.

      Das brachte mich ins Grübeln.

      Mein Vater war mindestens zwanzig Sommer jünger und nicht annähernd so gut in Form, obgleich er täglich schwere körperliche Arbeit auf unserem Hof verrichtete. Scheinbar waren die Männer an ein hartes Leben in der rauen Natur gewöhnt, anders konnte ich mir die Kondition des alten Mannes nicht erklären.

      Nach einiger Zeit endete der Wald und wir erreichten eine noch größere Lichtung als jene, auf der unser Vieh abgeschlachtet worden war. Kurz darauf kamen die ersten Häuser in Sicht.

      »Na endlich«, murrte einer der Männer vor mir.

      Sogleich wurde die Gruppe schneller. Die Traube finsterer Gestalten, die sich zwischen den Häusern versammelt hatte, bemerkte ich erst, als wir das Dorf fast erreicht hatten.

      Die anfänglichen Begeisterungsrufe verstummten jedoch, sobald sie mich erblickten. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie mich an. Männer. Frauen. Kinder. Ihre Mienen wirkten wie erstarrt.

      Ich versuchte ihren eindringlichen Blicken auszuweichen, indem ich mir die Umgebung etwas genauer anschaute, während ich weiter Richtung Marktplatz gedrängt wurde.

      Die Häuser schienen allesamt in einem erbärmlichen Zustand zu sein, an vielen Gebäuden bröckelte der Putz von den Wänden. Stellenweise entdeckte ich Fenster, die einfach mit Brettern vernagelt worden waren, anstatt sie zu reparieren. Auf einigen Dächern gab es Löcher, so groß wie mein Kleiderschrank, notdürftig mit Stroh abgedeckt.

      Die Straße, der wir folgten, war nicht einmal als eine solche zu bezeichnen, es handelte sich eher um festgetretenen Lehmboden, überzogen mit einer schmierigen Masse aus Schnee und Schlamm.

      Das ganze Dorf wirkte auf mich, als wäre hier schon seit unzähligen Sommern nichts mehr vernünftig repariert worden.

      Da blieb die Gruppe ruckartig stehen. Ich stolperte kurz, konnte mich aber glücklicherweise abfangen, sodass ich nicht in den Schlamm fiel.

      Wir standen vor einem Haus, unmerklich größer als die anderen Gebäude, jedoch nicht weniger sanierungsbedürftig.

      »Was soll das?«, donnerte eine aufgebrachte Frauenstimme über die Straße.

      Neugierig geworden hob ich den Kopf und lugte zwischen zwei breiten Rücken hindurch, um einen Blick auf die Person zu erhaschen, die ihre Stimme erhob.

      Eine Frau mittleren Alters, mit rabenschwarzen langen Haaren und tiefdunklen Augen, beide Hände in die Hüfte gestemmt, verharrte auf der obersten Stufe einer alten Holztreppe. Ihr schwarzer Rock wirkte alt und zerschlissen. Über ihren schmalen Schultern lag ein graues Fell, wahrscheinlich zum Schutz gegen die Kälte.

      Scheinbar hatten alle Bewohner diese beinahe schwarzen Augen. Man erkannte erst, dass sie eigentlich dunkelbraun waren, sobald man direkt vor ihnen stand. Eine außergewöhnliche Augenfarbe, die man beim Südvolk vergeblich suchte.

      »Ich habe ein kleines Geschenk für dich«, beantwortete einer der Nordmänner ihre Frage.

      Wie auf Kommando wurde ich vorwärts geschoben, durch die Gruppe hindurch, sodass ich schlussendlich direkt am Fuße der Treppe stand.

      Der stechende Blick dieser Frau heftete sich auf mein Gesicht. Langsam kam sie die Treppe herunter.

      »Und was soll ich deiner Meinung nach mit ihr anstellen?«, empörte sie sich, nachdem sie mich gründlich von Kopf bis Fuß gemustert hatte.

      Bei ihrem Anblick keimte in mir ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Diese Frau war eindeutig die Vorsteherin des Dorfes – ganz egal, wie ärmlich ihre Bekleidung auch wirkte, oder wie ungepflegt ihre Haare aussahen, die sie lose zusammengebunden zu einem Zopf über ihrer rechten Schulter trug. Zumindest schien sie hier das Sagen zu haben, überlegte ich. Warum sonst sollte man ihr ein Geschenk machen wollen?

      Etwas Besseres hätte mir in meiner Situation gar nicht passieren können. Nur sie konnte mir helfen. Sie war in der Lage den Männern zu befehlen, mich zurückzubringen.

      Also nahm ich all meinen Mut zusammen, machte einen Knicks, wie es die Höflichkeit gebot, und ergriff das Wort.

      »Mein Name ist Solea. Ich bin die Tochter einer Vorsteherin und wurde von euren Männern verschleppt. Voller Ehrfurcht erbitte ich um die Gnade in mein Dorf zurückkehren zu dürfen.«

      Ich hatte so viel Respekt in meine Stimme gelegt, wie ich unter diesen Umständen aufbringen konnte. Ich zitterte am ganzen Leib und meine Zähne klapperten so laut, dass es bestimmt jeder hören konnte. Nichtsdestotrotz lag nun all meine Hoffnung in ihren Händen.

      Aufmerksam betrachtete ich ihr wettergegerbtes Gesicht und hoffte auf ihren Zuspruch. Ihre Augen wurden zunehmend größer. Entgeistert starrte sie mich an.

      »Wie redest du denn?«, fragte sie und ehe ich etwas darauf erwidern konnte, lachte sie lauthals los.

      Das gesamte Dorf stimmte in ihr Gelächter ein, alle lachten aus vollem Herzen. Sogar die Männer, die mich eben noch finster angeschaut hatten, grinsten breit.

      Was war nur los mit diesen Leuten? Gab es denn in diesem verdammten

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