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ich mein Unverständnis zur Sprache. »Um Euch mit dem nötigen Respekt zu begegnen, habe ich meine Worte mit Bedacht gewählt. So benimmt man sich, wenn man auch nur einen Funken Anstand im Leib hat.«

      Das Lachen der Bewohner verstummte genauso schnell, wie es zuvor eingesetzt hatte. Urplötzlich herrschte eine unangenehme Stille auf dem Marktplatz.

      »Ist das so?«, fragte mich die Frau, die nun unmittelbar vor mir stand. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. »Willst du damit sagen, wir haben keinen einzigen Funken Anstand im Leib?«

      Zuerst wollte ich ihre Frage verneinen. Doch meine Erziehung gebot mir stets die Wahrheit zu sagen, sei sie auch noch so unangenehm. »Ja, das will ich damit sagen«, antwortete ich mit klarer Stimme.

      Die Frau schwieg einen Moment, dann hob sie ihren rechten Arm. Erschrocken kniff ich beide Augen zusammen und wappnete mich innerlich gegen den Schmerz, der auf ihre Ohrfeige folgen würde, ausgelöst von meiner ehrlichen, aber nicht sehr klugen Antwort.

      Als nichts dergleichen passierte, blinzelte ich verwirrt.

      Im nächsten Moment spürte ich ihre kalten Finger an meinem Kinn. Mit einem groben Handgriff drückte sie meinen Kopf nach oben und betrachtete aufmerksam meine Verletzungen.

      »Wer war das?«, hörte ich sie kurz darauf fragen.

      Zunächst erhielt sie keine Antwort.

      »Sie hat unser Volk beleidigt«, verteidigte sich der Mann, der für meine aufgeplatzte Lippe verantwortlich war. »Sie hat verdient, was sie bekommen hat.«

      Die Frau ließ mich los, reckte den Hals und schaute an mir vorbei in die Richtung, aus der die Stimme kam.

      Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Wie erstarrt blieb ich stehen, schlotternd vor Kälte, und lauschte auf ihre Worte.

      »Wir unterhalten uns später«, sagte sie an den Mann gewandt. Sie machte auf dem Absatz kehrt und begann die Treppe hochzusteigen. »Bringt sie in das Haus von Ragol und Iwara. Gebt ihr Feuerholz, ich will nicht, dass unser Gast erfriert.«

      Gast?

      »So wird hier also ein Gast behandelt«, rief ich hinterher und riss meine gefesselten Hände in die Höhe, als sie sich zu mir umdrehte. »Das nennt Ihr Gastfreundschaft?«

      Ein Lächeln umspielte ihre fahlen Lippen.

      »Was erwartest du von einer Horde Wilder, ohne einen Funken Anstand im Leib?«

      Ehe ich etwas erwidern konnte, verschwand sie in dem Haus mit den kaputten Fensterläden. Jemand trat von hinten an mich heran.

      »Folgt mir, verehrte Dame.« Seine Stimme triefte vor Spott. »Ich begleite Euch in Eure Gemächer.« Dabei packte er mich an der Schulter und stieß mich vorwärts.

      Die Menge löste sich allmählich auf, einer nach dem anderen verschwand in den umliegenden Häusern. Nur ein paar wenige blieben, um den Männern beim Abladen der gestohlenen Vorräte zu helfen.

      Aus dem Augenwinkel bemerkte ich ein altes Mütterchen, das, gestützt auf einem krummen Stock, hinter mir herschaute. Ihr faltiges, wettergegerbtes Gesicht war blass und eingefallen, beinahe schon ausgemergelt. Ihre grauen Haare wirkten fettig, sie waren schon eine Ewigkeit nicht mehr gewaschen worden. Doch ihre dunklen Augen schauten klar und wachsam.

      Noch während ich darüber nachdachte, warum die alte Frau stehengeblieben war, um mich zu beobachten, erreichten wir unser Ziel. Eine Hütte, so winzig, dass dort drinnen unmöglich zwei Personen leben konnten. Ich musste beim Durchschreiten der Tür den Kopf einziehen.

      Innen war es kühl, die Luft roch alt und abgestanden. Im Kamin brannte kein Feuer. Die einzigen Fenster in der Hütte, waren beide von außen vernagelt worden. Ein winziger Holztisch mit zwei Stühlen stand mitten im Raum. In einer Nische, unweit vom Kamin entfernt, entdeckte ich einen Berg alter Lumpen, angehäuft auf einem zusammengenagelten Bretterverschlag.

      »Ihr Schlafgemach«, erklärte der Nordmann und deutete dabei mit einem Kopfnicken auf die Lumpen. »Holz findest du dort hinten in der Ecke, falls dir kalt ist.«

      Ich hatte genug von angeschwollenen Augen und aufgeplatzten Lippen, weshalb ich meine bissige Bemerkung hinunterschluckte. Stattdessen fragte ich: »Wo sind die Bewohner? Ragol und Iwara, wenn ich mich recht erinnere. Hieß es nicht, das wäre ihr Haus?«

      Ohne auf meine Frage einzugehen, schnitt mir der Mann mit einem Messer die Fesseln durch und schlug danach den Weg zur Tür ein.

      »Du kannst gerne versuchen abzuhauen, wenn dir danach ist«, sagte er beim Hinausgehen. »Ich bin schon darauf gespannt, wie weit du kommst.«

      Dann fiel die Tür ins Schloss und ich stand mutterseelenallein in der fremden kleinen Hütte.

      4

      Unsicher scharrte ich mit der Spitze meines rechten Schuhs auf dem festgetretenen Lehmboden herum, während ich mich vorsichtig umschaute.

      Das war kein Haus, sondern eine Hütte. Schäbig. Verkommen.

      Der Tisch wirkte schmutzig, die Stühle abgenutzt. Von den Lumpen, die als Nachtlager dienten, wollte ich lieber gar nicht wissen, welches Ungeziefer dort hauste. Die Holzwände waren alt und an einigen Stellen bereits durchgefault. Das Dach war gleich an mehreren Stellen undicht, hier und da rieselte Schnee in die Hütte.

      Ein eisiger Wind fegte durch das löchrige Gebälk und verstärkte mein Kältegefühl. Lediglich der Kamin machte einen recht soliden Eindruck, sodass ich versuchen wollte ein Feuer zu entzünden, um die elende Kälte endlich aus meinen klammen Sachen zu vertreiben.

      Wie es aussah, würde ich hier eine Weile feststecken, da konnte ich genauso gut versuchen den Kamin in Gang zu bringen. Mit wenig Begeisterung machte ich mich daran und sammelte einige der dürren Zweige auf, die ganz offensichtlich als Feuerholz dienten.

      Das Material war feucht und roch modrig.

      Wie sollte man damit ein anständiges Feuer zustande bringen?

      Glücklicherweise entdeckte ich gleich neben der spärlichen Ausbeute die Zunderbüchse, darin wurden Baumrinde und bestimmte Teile von Baumpilzen trocken aufbewahrt, um damit ein Feuer zu entfachen, besaß man keine Zündhölzer.

      Erleichtert atmete ich auf, als ich etwas trockene Rinde und einen kleinen Pilzschwamm in der Büchse fand. Leider konnte ich keine Zündhölzer entdecken, dafür jedoch gleich oben auf dem Kaminsims die Zundersteine.

      Eilig legte ich ein paar Holzscheite in die Feuerstelle, drapierte die Baumrinde zusammen mit dem getrockneten Pilzschwamm mittig und schlug darüber anschließend beide Zundersteine aneinander. Einige Versuche brauchte ich, bis die ersten winzigen Funken entstanden.

      Bei Mutter sah das immer so einfach aus, wenn sie in der Küche Feuer machte. Doch in Wirklichkeit war es sogar ziemlich anstrengend, bis sich endlich ein Glutnest entwickelte.

      Ungeduldig pustete ich in die Funken und wartete darauf, dass die winzigen Flammen größer wurden. Das feuchte Holz tat sich schwer und schon nach einiger Zeit qualmte es fürchterlich. Binnen weniger Augenblicke schlängelte sich dichter Rauch durch die Hütte und ich begann zu husten. Zu meinem Leidwesen konnte ich nicht einmal die Fenster öffnen, da beide fest vernagelt waren.

      Während der Rauch immer dichter wurde und mir schon die Augen tränten, wurde plötzlich die Tür aufgerissen.

      Ein Mann stürmte laut fluchend ins Zimmer, schubste mich grob zur Seite und stocherte in dem qualmenden Gluthaufen herum, so lange, bis erste größere Flammen sichtbar wurden.

      Eiskalte Luft drang durch die geöffnete Tür in die Hütte und vertrieb ganz allmählich den beißenden Rauch.

      Mein Herzschlag beschleunigte sich rasant als mein Blick an der offenen Tür hängen blieb.

      »Nur zu«, sagte der Mann, ohne mich anzusehen. »Geh, wenn du gehen willst. Ich halte dich ganz bestimmt nicht auf.«

      »Deine Leute sind in mein Haus eingedrungen«, sagte ich und gab mir keinerlei Mühe, meinen Hass zu verbergen.

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