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Thronbesteigung waren seine hochgesteckten Ziele und seine Intelligenz dem Westen noch weitgehend unbekannt. Im Abendland sah man nur einen unreifen und unerfahrenen Jüngling, dessen erste Berührung mit der Macht mit einer Demütigung geendet hatte.

      Zwei Jahre vor Mehmets Thronbesteigung hatte auch Konstantinopel einen neuen Kaiser willkommen geheißen, allerdings unter völlig anderen Umständen. Der Mann, der sich Mehmets Tatendrang entgegenstemmen sollte, trug den Namen des Stadtgründers, eine Tatsache, deren Symbolkraft die abergläubischen Byzantiner schnell zu deuten wussten. Konstantin XI. war seit 1261 das achte Mitglied der Palaiologos-Dynastie auf dem Thron. Die Familie hatte einst die Macht an sich gerissen, aber während ihrer Herrschaft war das Reich immer mehr in Anarchie und Streit versunken. In der Herkunft des neuen Kaisers mischten sich wie üblich verschiedene Einflüsse. Er sprach Griechisch, war aber eigentlich kein Grieche: Seine Mutter war Serbin, und Konstantin nahm deren Familiennamen Dragases an, sein Vater war Halbitaliener. Wie alle Byzantiner verstand er sich als Römer und schmückte sich mit dem stolzen und altehrwürdigen Titel seiner Vorgänger: »Konstantin Palaiologos, durch Christus wahrer Kaiser und Selbstherrscher der Römer.«

      Es war ein hohles Protokoll, aber typisch für die Rituale und Zeremonien, an die sich die Byzantiner im Laufe des unerbittlichen Niedergangs ihres Reiches klammerten. Das Reich besaß einen Hochadmiral, aber keine Flotte, einen Oberbefehlshaber, aber nur wenige Soldaten. In der engen Welt des Hofes rangelten und stritten die Adeligen um absurd aufgeblasene Titel wie Großer Haushofmeister, Großkanzler oder Aufseher über die Kaiserliche Garderobe. Konstantin war im Grunde ein Kaiser ohne Macht. Sein Herrschaftsgebiet war zusammengeschrumpft auf die Stadt und deren Vororte, ein paar Inseln und einige verbundene Gebiete auf der Peloponnes, welche die Griechen etwas abschätzig Morea nannten, Maulbeerblatt: Die Halbinsel war berühmt für ihre Seidenproduktion, und ihre Form erinnerte sie an die Nahrung der Seidenraupe.

      Konstantin war um seine Krone nicht zu beneiden. Er übernahm ein bankrottes Reich und eine Stadt, die gespalten war durch religiöse Zwistigkeiten. Die große Unterschicht begehrte häufig auf, und Konstantin gehörte einer Familie an, die sich gern in Bürgerkriege verstrickte. Das Reich war eine Schlangengrube familiärer Intrigen und Fehden – 1442 zog Konstantins Bruder Demetrios mit osmanischen Truppen gegen die Stadt. Konstantinopel war nur eingeschränkt selbstständig und ein Vasall des osmanischen Herrschers, der die Stadt jederzeit unter Belagerung stellen konnte. Auch Konstantins persönliche Macht war keineswegs gefestigt: Es herrschten gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Thronbesteigung. Er wurde 1449 in Mistra auf der Peloponnes inthronisiert, was sehr unüblich war für einen Kaiser, und er wurde nie in der Sophien-Kirche gekrönt. Die Byzantiner mussten die Inthronisierung durch Murat absegnen lassen, hatten dann aber nicht das Geld, um den neuen Kaiser nach Hause zu bringen. Er musste um die Überfahrt auf einem katalanischen Schiff nachsuchen.

      Von der Stadt, in die er im März 1449 zurückkehrte, gibt es keine zeitgenössischen Darstellungen. Eine etwas ältere italienische Karte zeigt Konstantinopel mit zahlreichen leeren Flächen, während die Genueser Handelskolonie Galata, auch Pera genannt, jenseits des Goldenen Horns florierte: »Eine große Stadt, die von Griechen, Juden und Genuesen bewohnt wird«,13 berichtete der Reisende Bertrandon de la Brocqière, der sie als den schönsten Hafen bezeichnete, den er je gesehen habe. Auch Konstantinopel erschien dem französischen Ritter faszinierend, aber heruntergekommen. Die Kirchen seien sehr eindrucksvoll, insbesondere die Hagia Sophia; dort sah er »den Rost, auf dem der Heilige Laurentius verbrannt wurde, und einen großen Stein in Form einer Waschbank, auf dem Abraham den Engeln Nahrung gegeben haben soll, als sie sich anschickten, Sodom und Gomorrha zu vernichten«.14 Die große Reiterstatue von Justinian, den er mit Konstantin dem Großen verwechselte, stand noch am alten Ort: »Er hält ein Szepter in der Linken und streckt die Rechte zur Türkei in Asien aus und zur Straße nach Jerusalem, als wolle er darauf hinweisen, dass all dieses Land unter seiner Herrschaft steht.« Doch die Wahrheit sah offensichtlich anders aus – der Kaiser war kaum Herr im eigenen Haus.

       Kaufleute aus allen Nationen halten sich in der Stadt auf, aber die mächtigsten sind die Venezianer, die einen eigenen Bailo besitzen, der ihre Angelegenheiten unabhängig vom Kaiser und dessen Ministern regelt. Auch die Türken haben einen Beamten, der ihre Geschäfte überwacht und ähnlich wie jener der Venezianer unabhängig vom Kaiser ist. Sie besitzen sogar das Vorrecht, dass der Kaiser auf ihre Aufforderung hin einen entlaufenen Sklaven freigeben muss, wenn dieser in der Stadt Zuflucht gesucht hat. Dieser Fürst muss dem Türken sehr weitgehend untertan sein, denn er leistet ihm, wie man mir sagte, eine jährliche Tributzahlung von zehntausend Dukaten.15

      De la Brocquière sah überall Grabinschriften, die von der vergangenen Größe des Reiches kündeten – besonders aussagekräftig waren drei anscheinend leere marmorne Grabplatten im Hippodrom: »Hier standen einst drei vergoldete Pferde, die sich jetzt in Venedig befinden«. Es erschien nur als eine Frage der Zeit, bis die Osmanen die Stadt abermals angreifen würden und die Bevölkerung ihnen die Tore öffnen würde. Sie hatte 1430 eine deutliche Warnung erhalten, als sich Thessaloniki geweigert hatte, sich Murat zu ergeben. Die Osmanen hatten nur drei Stunden gebraucht, um die Mauern zu stürmen, darauf folgten drei Tage mit Vergewaltigungen und Plünderungen; 7000 Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei gezwungen.

      Wir wissen kaum etwas über die äußere Erscheinung Konstantins. Anscheinend erbte er die ausgeprägten, regelmäßigen Gesichtszüge und die Körperhaltung seines Vaters Manuel II., doch das Reich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als Porträts des neuen Herrschers in Auftrag zu geben, und das Goldsiegel des Staates, auf dem ein schmales, falkenartiges Antlitz zu sehen ist, ist viel zu schematisiert, um aussagekräftig zu sein. Doch es herrscht Einigkeit, was seine Persönlichkeit betrifft. Von allen Söhnen Manuels war Konstantin der fähigste und vertrauenswürdigste: »Ein Menschenfreund und ein Mann ohne Hinterlist«, der durch Entschlossenheit, Mut und eine tiefe Liebe zu seinem Heimatland geprägt war. Anders als seine streitsüchtigen und undisziplinierten Brüder war Konstantin aufrichtig und geradlinig; die Menschen in seiner Umgebung empfanden anscheinend eine tiefe Verehrung für ihn. Allen Berichten zufolge war er mehr ein Mann der Tat, als ein begabter Verwalter oder tiefschürfender Denker, geschickt im Umgang mit Pferden und versiert in der Kriegskunst, mutig und unternehmungslustig. Vor allem ließ er sich durch Rückschläge nicht entmutigen. Ein starkes Verantwortungsgefühl für das Erbe von Byzanz war kennzeichnend für seinen Charakter; sein ganzes Leben lang bemühte er sich, dieses Erbe zu erhalten.

      Konstantin war 27 Jahre älter als Mehmet; er war 1405 in Konstantinopel geboren worden und machte sich wohl seit seiner frühen Jugend kaum Illusionen über die missliche Lage der Stadt. Mit 17 Jahren erlebte er die Belagerung durch Murat; im folgenden Jahr wurde er zum Regenten ernannt, während sein Bruder Johannes VIII. eine seiner nutzlosen Rundreisen durch die christlichen Staaten unternahm, um Unterstützung für Byzanz zu erheischen. Bei seiner Thronbesteigung 1449 war er 44 Jahre alt und hatte bereits zwei Jahrzehnte voller Kämpfe hinter sich. Meist war es darum gegangen, die Peloponnes für Byzanz zu halten oder zurückzuerobern, freilich mit wechselndem Erfolg. Bis 1430 hatte er die meisten kleinen ausländischen Königreiche von der Halbinsel vertrieben, und in den 1440er-Jahren dehnte er als Herrscher von Morea die Grenzen seines Reiches bis Nordgriechenland aus. Für Murat war er ein ständiges Ärgernis; ein aufmüpfiger Vasall, der in die Schranken gewiesen werden musste. Die Vergeltung erfolgte 1446 nach dem gescheiterten Kreuzzug von Varna. Ein osmanisches Heer stieß nach Morea vor, verwüstete das Land und versklavte 60.000 Griechen. Konstantin musste einen demütigenden Friedensvertrag unterzeichnen, dem Sultan den Vasalleneid leisten und einen hohen Tribut zahlen. Dadurch wurde der Versuch vereitelt, den Einfluss der Byzantiner in Griechenland wieder zu stärken, doch durch seinen Kampfgeist, sein militärisches Können und seine Zielstrebigkeit unterschied sich Konstantin deutlich von seinen drei Brüdern – Demetrios, Thomas und Theodor –, die selbstsüchtig, hinterhältig, streitlustig und unentschlossen waren und ihn daran zu hindern suchten, die Reste des Reiches zusammenzuhalten. Ihre Mutter Helena musste Konstantins Anspruch auf den Thron durchsetzen: Ihm allein konnte das Erbe anvertraut werden.

      Laut der späteren byzantinischen Überlieferung verfolgte Konstantin das Pech wie ein Fluch. Sein gut gemeintes Unternehmen

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