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die Osmanen eine vorteilhaftere Erbfolgepraxis. Im Unterschied zu anderen türkischen Fürstentümern hatten die frühen Sultane das Reich nie zwischen Nachfolgern aufgeteilt und auch nie selbst einen Nachfolger bestimmt. Alle Söhne wurden zu Herrschern herangezogen, aber nur einer konnte den Thron besteigen – eine Methode, die auf brutale Weise sicherzustellen schien, dass der am besten geeignete überlebte. Zur großen Verwunderung westlicher Beobachter legten sie auch keinen Wert darauf, die Nachfolge über eine Heirat zu sichern. Während die byzantinischen Kaiser, wie auch alle anderen europäischen Herrscherhäuser, sorgfältig darauf achteten, dass ihre Kinder nur innerhalb des eigenen Geschlechts oder Abkömmlinge einer anerkannten Adelsfamilie heirateten, interessierte dies die Osmanen kaum. Der Vater eines Sultans war natürlicherweise sein Vorgänger, aber seine Mutter konnte eine Konkubine sein oder eine Sklavin, womöglich war sie auch keine Muslima von Geburt oder entstammte einem der zahlreichen unterworfenen Völker. Diese genetische Beliebigkeit erschloss den Osmanen außergewöhnliche Ressourcen.

      Von allen Neuerungen der Osmanen war die Schaffung einer regulären Armee wahrscheinlich die bedeutendste. Die ungebärdigen Gruppen von Gazi-Kriegern waren zu undiszipliniert, um den wachsenden Ambitionen der Sultane gerecht zu werden; gut gesicherte Städte zu belagern, erforderte Geduld, methodisches Vorgehen und auch gewisse handwerkliche Fertigkeiten. Ende des 14. Jahrhunderts schuf Sultan Murat I. eine neue Streitmacht, die aus gefangenen Sklaven aus den Balkanstaaten bestand. Regelmäßig wurden christliche Jungen zwangsrekrutiert, mussten den Islam annehmen und Türkisch lernen. Fern von ihren Familien waren diese neuen Rekruten allein dem Sultan ergeben. Sie waren seine Leibgarde: die »Sklaven der Pforte«. Sie wurden in Infanterieeinheiten organisiert, den Yeni Cheri oder Janitscharen, und in Kavallerieverbänden, die zusammen die erste bezahlte Armee in Europa seit der römischen Zeit bildeten. Diesen Verbänden sollte entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des osmanischen Staates zukommen. Das Vorbild hatten die Osmanen aus ihrer eigenen Geschichte übernommen: Auch die Türken waren als Militärsklaven an den Grenzen der islamischen Welt rekrutiert worden. Das hatte ihren späteren Aufstieg ermöglicht. Doch für Christen, die diese Entwicklung aus der Ferne beobachteten, war es eine erschreckende Vorstellung: Dass gefangen genommene christliche junge Männer gegen andere Christen kämpfen sollten, erschien ihnen niederträchtig und unmenschlich. Die Zwangsrekrutierung von Christenkindern trug maßgeblich zur Entstehung des Mythos von den »barbarischen Türken« bei.

      Der Begriff »Türke« verbreitete sich rasch im Westen. Er war größtenteils ein europäisches Konstrukt, ein Ausdruck, der dem Selbstverständnis des Westens entsprach und von den Osmanen nur selten verwendet wurde. Diese betrachteten ihn vielmehr als herabsetzend. Sie bevorzugten Bezeichnungen, die weder einen ethnischen noch einen territorialen Anklang hatten und sowohl ihre nomadische Herkunft zum Ausdruck brachten, die Tatsache also, dass sie nicht an bestimmte Gebiete gebunden waren, als auch ihre multiethnische Zusammensetzung. Ihre Identität bezogen sie in erster Linie aus der Religion: Die osmanischen Sultane bezeichneten sich selbst in zunehmend blumiger werdender Sprache als »Herren des Islam« und ihr Reich als »Zuflucht der Gläubigen« oder als die »Verteidigten Länder« und ihr Volk entweder als Muslime oder als Osmanen. Das osmanische Selbstverständnis bestand aus einer einzigartigen Verbindung unterschiedlicher Elemente und Völkerschaften: aus türkischem Stammesdenken, dem sunnitischen Islam, persischem Hofzeremoniell, byzantinischen Verwaltungs- und Besteuerungsmethoden und einer zeremoniellen, hochtrabenden Hofsprache, die türkische Grammatik mit arabischem und persischem Vokabular verband. Aus diesem Konglomerat entwickelte sich eine eigenständige Identität.

      Der Aufstieg der Osmanen ging einher mit dem unaufhaltsamen Niedergang von Byzanz. Die Faktoren, die dazu führten, dass die Zeit nach 1300 in Europa als »Unglücksjahrhundert« bezeichnet wurde, waren auch im Ostreich wirksam. Zersplitterung, Bürgerkriege, Bevölkerungsschwund und Verarmung suchten Konstantinopel heim. Es gab einige bezeichnende symbolische Momente. Im Jahr 1284 traf Kaiser Andronikos die selbstmörderische Entscheidung, die kaiserliche Flotte abzuschaffen. Die arbeitslos gewordenen Seeleute liefen zu den Osmanen über und halfen diesen, eine eigene Flotte aufzubauen. Um das Jahr 1325 übernahmen die Kaiser aus dem Hause Palaiologos den Doppeladler in ihr Wappen; er symbolisierte jedoch nicht, wie häufig behauptet wurde, ein mächtiges Reich, das den Blick sowohl nach Osten als auch Westen richtete, sondern eher die Aufteilung der Autorität zwischen zwei streitsüchtigen Herrschern aus derselben Familie. Der Adler bekam eine prophetische Bedeutung. Die Jahre von 1341 bis 1371 waren geprägt von einer verheerenden Abfolge von Bürgerkriegen, Vorstößen sowohl der Osmanen als auch der mächtigen Serben, religiösen Auseinandersetzungen und einer Pestepidemie. Konstantinopel war die erste europäische Stadt, in der der Schwarze Tod wütete: Ratten, die im Schwarzmeerhafen Kaffa an Bord von Schiffen gelangt waren, wurden 1347 in die Stadt eingeschleppt. Die Bevölkerung schrumpfte auf wenig mehr als 100.000. Zudem verwüstete eine Reihe von Erdbeben Konstantinopel – die Kuppel der Hagia Sophia stürzte 1346 ein –, die Stadt »aus reinem Gold« verkam immer weiter, und ihre Bewohner verfielen in eine fatalistische Untergangsstimmung. Reisende berichteten vom erbärmlichen Erscheinungsbild der Stadt. Ibn Battutah sah keine Stadt mehr, sondern nur noch eine Ansammlung von dreizehn Dörfern, die durch Felder getrennt waren. Der Spanier Pero Tafur schrieb nach einem Besuch in Konstantinopel, dass selbst der Kaiserpalast in einem Zustand sei, »dass man daran und an der Stadt selbst ablesen [könne], welche Leiden den Menschen auferlegt wurden und noch auferlegt werden… Es gibt nur wenige Einwohner… Sie sind nicht gut gekleidet, sondern elend und arm, gezeichnet von der Härte des Schicksals«, bevor er voll christlichen Mitgefühls hinzufügte, »das jedoch nicht so schlimm ist, wie sie es verdienen, denn sie sind ein lasterhaftes Volk, das der Sünde erlegen ist«.19 Die Stadt schrumpfte in ihren Mauern wie ein alter Mann in den Kleidern seiner Jugendzeit, und auch die Kaiser mussten auf manche Annehmlichkeiten verzichten. Bei der Krönung von Kaiser Johannes VI. Cantacuzenos im Jahr 1347 bemerkten Beobachter, dass die Kronjuwelen aus Glas bestanden und die Tablette beim Bankett aus Ton und Zinn. Das goldene Geschirr war verkauft worden, um Geld für den Bürgerkrieg aufzutreiben; die Juwelen hatte man an Venedig verpfändet – sie befanden sich nun in der Schatzkammer von Sankt Markus.

      Während dieser Wirren drangen die Osmanen weiter ungehindert nach Europa vor. Im Jahr 1362 schlossen sie Konstantinopel weitgehend ein, als sie die 220 Kilometer westlich gelegene Stadt Adrianopel eroberten – im Türkischen Edirne genannt –, und verlegten die Hauptstadt ihres Reiches nach Europa. Nachdem sie 1371 die Serben besiegt hatten, war Kaiser Johannes von jeglicher christlicher Unterstützung abgeschnitten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Vasall der Sultane zu werden, der auf Geheiß Soldaten zur Verfügung stellen und bei Ernennungen um Erlaubnis nachsuchen musste. Der Vormarsch der Osmanen schien unaufhaltsam: Ende des 14. Jahrhunderts erstreckte sich ihr Gebiet bereits von der Donau bis zum Euphrat. »Die Ausdehnung der Türken oder Heiden ist wie das Meer«, schrieb der Serbe Michael »der Janitschar«, »es steht nie still, sondern ist ständig in Bewegung… Wenn man der Schlange nicht den Kopf abschlägt, wird es immer schlimmer.«20 Der Papst rief 1366 in einer Bulle zum Kreuzzug gegen die Osmanen auf und drohte den Führern der Handel treibenden Staaten in Italien und an der Adria vergeblich den Kirchenbann an, weil sie die Türken mit Waffen belieferten. In den folgenden fünfzig Jahren wurden drei Kreuzzüge gegen die Ungläubigen unternommen, allesamt unter der Führung von Ungarn, des bedrohtesten Staates in Osteuropa. Sie sollten zum Schwanengesang einer geeinten Christenheit werden. Jeder endete mit einer demütigenden Niederlage, deren Ursachen leicht ausfindig zu machen waren. Europa war gespalten, von Armut geplagt, wurde durch innere Konflikte erschüttert und vom Schwarzen Tod geschwächt. Die Heere waren schwerfällig, uneinig, undiszipliniert und taktisch unfähig im Vergleich zu den mobilen und gut organisierten Osmanen, die für eine gemeinsame Sache kämpften. Die wenigen Europäer, die sie aus der Nähe beobachten konnten, kamen nicht umhin, der »osmanische Ordnung« Bewunderung zu zollen. Der französische Reisende Bertrandon de la Brocquière berichtete um 1430:

       Sie sind fleißig und stehen gern früh auf. Sie brauchen wenig zum Leben… Es ist ihnen gleichgültig, wo sie schlafen, meistens liegen sie auf dem Boden… Ihre Pferde sind gut, sie werden, was das Futter anbelangt, kurz gehalten, und sie laufen sehr schnell und weit… Ihren Führern bringen sie bedingungslosen Gehorsam entgegen… Wenn das Zeichen

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