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wandernde heilige Männer, die sowohl den Glaubenskrieg predigten als auch eine mystische Heiligenverehrung, die bei den christlichen Völkern Anklang fand. Zwanzig Jahre nach der Schlacht von Mantzikert hatten die Türken die Küsten des Mittelmeers erreicht. Eine ethnisch zersplitterte christliche Bevölkerung setzte ihnen kaum Widerstand entgegen; einige Christen traten zum Islam über, andere waren froh, der Besteuerung und Unterjochung durch Konstantinopel zu entrinnen. Der Islam betrachtete die Christen als »Menschen des Buches«; daher standen sie unter dem Schutz der Gesetze und durften ihre Religion frei ausüben. Abtrünnige christliche Sekten hießen die türkische Herrschaft sogar offen willkommen: »Aufgrund ihres Rechtswesens und ihrer guten Regierung lebten sie lieber unter deren Verwaltung«, schrieb Michael der Syrer. »Da die Türken nichts wussten von heiligen Mysterien…, waren sie es nicht gewöhnt, sich mit Glaubensbekenntnissen auseinanderzusetzen oder andere deswegen zu verfolgen, im Unterschied zu den Griechen«, fuhr er fort, die »ein verschlagenes und ketzerisches Volk«5 sind. Innere Auseinandersetzungen im byzantinischen Staat stärkten die Türken; bald wurden sie gebeten, in die Bürgerkriege einzugreifen, die Byzanz zerrissen. Die Eroberung von Kleinasien verlief so reibungslos und traf auf so geringen Widerstand, dass nach einer abermaligen Niederlage eines byzantinischen Heeres 1176 keine Möglichkeit mehr bestand, die Eindringlinge wieder zu vertreiben. Die Folgen von Mantzikert waren nun nicht mehr rückgängig zu machen. Bereits ab 1220 bezeichneten westliche Autoren Kleinasien als Turchia. Byzanz hatte sein Hinterland eingebüßt, das ihm Nahrung und Soldaten geliefert hatte. Und fast zur selben Zeit brach aus einer völlig unerwarteten Richtung eine weitere Katastrophe über Konstantinopel herein, und sie nahte aus dem christlichen Westen.

      Die Kreuzzüge sollten dem militärischen Vormarsch des türkischen Islam Einhalt gebieten. Sie richteten sich gegen die Seldschuken, »ein verfluchtes Volk, ein Volk, das völlig fern ist von Gott«.6 Papst Urban II. rief 1095 in seinem berühmten Appell auf der Synode in Clermont dazu auf, »dieses heidnische Volk aus unseren Ländern zu vertreiben«, was den Auftakt bildete zu einer 350 Jahre währenden Epoche westlicher Eroberungszüge im Zeichen des Kreuzes. Obwohl ihnen ihre christlichen Brüder aus dem Westen eigentlich helfen wollten, sollte sich dieses Unternehmen zu einer dauerhaften Belastung für die Byzantiner entwickeln. Ab 1090 wurden sie immer wieder heimgesucht von marodierenden Rittern, die Unterstützung, Verpflegung und Dank erwarteten von ihren orthodoxen Brüdern, während sie plündernd in Richtung Jerusalem nach Süden zogen. Durch dieses Zusammentreffen wuchsen das wechselseitige Unverständnis und das Misstrauen. Beide Seiten konnten die Unterschiede in den Bräuchen und den Formen des Gottesdienstes studieren. Die Griechen betrachteten ihre in schweren Kettenhemden daherkommenden westlichen Glaubensbrüder als ungeschliffene barbarische Abenteurer; ein Kreuzzug war für sie nur der heuchlerische Versuch, Eroberungsgelüste mit dem Mantel der Frömmigkeit zu tarnen: »Sie tragen ihren Kopf hoch im Nacken, und ihr Sinn ist unbeugsam, ihr Blutdurst groß… sie hegen auch unablässig Übelwollen gegen die Rhomäer«,7 klagte Niketas Chroniates. Tatsächlich kamen die Byzantiner mit ihren sesshaften muslimischen Nachbarn besser aus, da sich durch den Umgang mit ihnen im Lauf der Jahrhunderte nach dem ersten Ausbruch des Heiligen Krieges eine gewisse Vertrautheit und Respekt entwickelt hatten: »Wir müssen als Brüder zusammenleben, auch wenn wir uns in unseren Bräuchen, Sitten und der Religion unterscheiden«,8 schrieb einmal ein Patriarch von Konstantinopel an den Kalifen von Bagdad. Den Kreuzfahrern dagegen erschienen die Byzantiner als verdorbene Ketzer, die obendrein bedrohlich orientalisch wirkten. Seldschukische und türkische Soldaten kämpften häufig für die Byzantiner; zudem entdeckten die Kreuzritter empört, dass es in der Stadt, die der Jungfrau Maria geweiht war, eine Moschee gab. »Konstantinopel ist anmaßend in seinem Wohlstand und verkommen in seinem Glauben«,9 verkündete der Kreuzfahrer Odo de Deuil. Darüber hinaus sorgten der Reichtum Konstantinopels und seine berühmten juwelenbesetzten Reliquien unter den Kreuzfahrer für großes Erstaunen und Verwunderung. In den Berichten, die in die kleinen Städte in der Normandie und am Rhein geschickt wurden, klangen unterschwellig Neid und Eifersucht an: »Seit Anbeginn der Welt«, schrieb der Marschall der Champagne, »hat man noch niemals so viele Reichtümer gesehen, die in einer einzigen Stadt angehäuft sind.«10 Das war eine unwiderstehliche Versuchung.

      Schon seit Langem hatte der Westen das Byzantinische Reich militärisch, politisch und wirtschaftlich unter Druck gesetzt, doch Ende des 12. Jahrhunderts wurde dies vor allem in Konstantinopel sichtbar. In der Stadt war eine große Gemeinde italienischer Kaufleute entstanden, und da den Venezianern und den Genuesen besondere Vorrechte eingeräumt worden waren, ging es ihnen sehr gut. Die nach Gewinn strebenden, materialistischen Italiener waren nicht sonderlich beliebt: Die Genuesen hatten eine eigene Kolonie in Galata, einer mit Mauern geschützten Stadt jenseits des Goldenen Horns; die Kolonie der Venezianer galt »als so unverschämt reich und wohlhabend…, dass sie sogar auf die kaiserliche Macht verächtlich herabsehen könnten«.11 Immer wieder erfassten Wellen der Fremdenfeindlichkeit die Stadt; 1171 wurde Galata von den Griechen angegriffen und zerstört. Im Jahr 1183 wurde die gesamte italienische Gemeinde massakriert unter den Augen des byzantinischen Generals Andronikos »des Schrecklichen«.

      Im Jahr 1204 führten dieser lange aufgestaute Argwohn und die Gewaltbereitschaft zu einer Katastrophe, welche die Griechen dem katholischen Westen nie verziehen haben. In einer der groteskesten Episoden in der Geschichte des Christentums wurde der Vierte Kreuzzug, der auf venezianischen Schiffen aufgebrochen war und eigentlich nach Ägypten fahren sollte, umgelenkt und griff Konstantinopel an. Drahtzieher dieses Unternehmens war Enrico Dandolo, der wahrscheinlich blinde 80-jährige Doge von Venedig, ein arglistiger und fintenreicher Politiker, der das Unternehmen persönlich leitete. Mit einem Anwärter auf den kaiserlichen Thron an Bord erreichte die gewaltige Flotte im Juni 1203 das Marmarameer; die Kreuzfahrer waren vielleicht selbst verblüfft, als sie anstatt der Küsten Ägyptens Konstantinopel vor dem Bug auftauchen sahen, eine Stadt, die für das Christentum von großer Bedeutung war. Nachdem die venezianischen Schiffe die Kette überwunden hatten, die das Goldene Horn schützte, nahmen sie Kurs auf den Strand und versuchten die Seewälle zu durchbrechen; als der Angriff scheiterte, sprang der alte Doge mit der Fahne des Heiligen Markus ans Ufer und forderte die Venezianer auf, ihren Kampfesmut unter Beweis zu stellen. Die Mauern wurden gestürmt, und Alexios, der Prätendent, wurde inthronisiert.

      Im darauffolgenden April, nach einem Winter interner Auseinandersetzungen und Intrigen, in dem die Ungeduld der Kreuzfahrer wuchs, wurde Konstantinopel erobert und geplündert. Es kam zu einem grauenhaften Massaker, und große Teile der Stadt wurden durch einen Brand vernichtet: »Es wurden mehr Häuser zerstört, als es in den drei größten Städten des Königreiches Frankreich gibt«, verkündete der französische Ritter Gottfried von Villehardouin. Die großen Kunstwerke der Stadt wurden zerstört und die Sophienkirche entweiht und geplündert: »Als sie… die allerheiligsten Geräte und Gefäße von unübertrefflicher Kunst und Schönheit und aus seltenen Stoffen, das gediegene, mit Gold bezogene Silber…und noch vieles andere fortschaffen wollten, führten sie Maulesel und Packtiere bis zum Allerheiligsten vor und beluden sie schwer«, berichtete der Chronist Niketas. »Als einige der Tiere auf dem blinkenden Steinboden ausglitten, zogen sie die Schwerter und erstachen sie, sodass die heilige Stätte nicht nur mit dem Kot der Tiere, sondern auch mit dem vergossenen Blut befleckt wurde.«12 Die Venezianer raubten eine große Zahl von Statuen, Reliquien und wertvollen Gegenständen, um damit ihre Markuskirche auszustatten, unter anderem die vier Bronzepferde, die seit der Zeit Konstantins des Großen im Hippodrom gestanden waren. Konstantinopel glich einem rauchenden Trümmerhaufen. »O du Stadt, du Stadt aller Städte«, klagte der Chronist Niketas, »du hast den Kelch des Zorns des Herrn bis auf den Grund geleert.«13 Dies war eine typische Reaktion der Byzantiner; doch unabhängig davon, ob die Katastrophe menschlichen oder göttlichen Ursprungs war, die Konsequenzen waren dieselben: Konstantinopel schrumpfte zu einem Schatten seiner einstigen Größe. Fast sechzig Jahre lang war die Stadt nun das »Lateinische Kaiserreich von Konstantinopel«, das vom Herzog von Flandern und dessen Nachfolgern regiert wurde. Das Byzantinische Reich wurde aufgeteilt in eine Reihe von fränkischen Staaten und italienischen Kolonien, während ein großer Teil seiner Bevölkerung nach Griechenland floh. Die Byzantiner errichteten in Nikäa in Anatolien ein Exilkönigreich und konnten sich weiterer türkischer Vorstöße ziemlich erfolgreich erwehren. Als sie 1261 Konstantinopel zurückeroberten,

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