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hatte Murat die Position der Janitscharen gestärkt und einige ehemalige Christen, die zum Islam übergetreten waren, zu Wesiren bestellt, um ein Gegengewicht zu schaffen zum alten türkischen Adel und zur Armee. Diese Auseinandersetzung sollte erst neun Jahre später vor den Mauern Konstantinopels ein Ende finden.

      Ali war Murats Lieblingssohn gewesen: Sein Tod erschütterte den Sultan sehr – obwohl es nicht ausgeschlossen ist, dass Murat selbst die Tötungen anordnete, nachdem er eine Verschwörung des Prinzen aufgedeckt hatte. Vielleicht wurde ihm klar, dass es nun keine andere Möglichkeit mehr gab und er den jungen Mehmet nach Edirne zurückholen und seine Erziehung selbst in die Hand nehmen musste. Zu diesem Zeitpunkt verkörperte der Elfjährige die Zukunft des Osmanischen Reiches. Murat war entsetzt, als er den Jungen wiedersah. Er war starrköpfig, eigenwillig und schwer erziehbar geworden. Mehmet hatte sich offen mit seinen früheren Tutoren angelegt, sich geweigert, Strafen anzunehmen oder den Koran auswendig zu lernen. Murat beauftragte den berühmten Mullah Ahmet Guran damit, den jungen Prinzen gefügig zu machen. Mit einem Rohrstock in der Hand begab sich der Geistliche zum Prinzen. »Dein Vater«, erklärte er, »hat mich geschickt, um dich zu unterweisen, aber auch, dich zu züchtigen, wenn du nicht gehorchst.«5 Mehmet lachte laut über diese Drohung. Da verabreichte ihm der Mullah eine gehörige Tracht Prügel, worauf sich der Junge schnell wieder seinen Studien zuwandte. Unter dem Furcht einflößenden Hauslehrer begann Mehmet, sich den Koran anzueignen, und befasste sich später auch mit anderen Wissensgebieten. Der Junge erwies sich als außerordentlich intelligent und zeigte einen eisernen Willen zum Erfolg. Er lernte mehrere Sprachen fließend zu sprechen – den Berichten zufolge beherrschte er Türkisch, Persisch und Arabisch, dazu die griechische Umgangssprache, einen slawischen Dialekt und ein wenig Latein – und entwickelte großes Interesse für Geschichte und Geographie, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Literatur. Eine herausragende Persönlichkeit begann sich zu formen.

      In den Jahren nach 1440 erlebten die Osmanen eine weitere Krisenphase. Das Reich wurde in Anatolien durch den Aufstand eines seiner türkischstämmigen Vasallen bedroht, des Beys von Karaman, während man im Westen einen neuen Kreuzzug unter Führung der Ungarn vorbereitete. Murat glaubte, er habe die christliche Bedrohung durch einen zehnjährigen Friedensvertrag entschärft, und plante, sich nach Anatolien zu begeben, um den aufsässigen Bey zu unterwerfen. Bevor er aufbrach, erklärte er überraschend seinen Thronverzicht. Er fürchtete den Ausbruch eines Bürgerkrieges und wollte Mehmet auf den Thron hieven, bevor er starb; auch ein gewisser Weltschmerz und Überdruss mag dabei eine Rolle gespielt haben. Ein osmanischer Sultan hatte zahlreiche Amtspflichten zu erfüllen, und möglicherweise war Murat auch bedrückt wegen der Ermordung seines Lieblingssohnes Ali. Mit zwölf Jahren wurde Mehmet in Edirne zum Sultan ernannt unter der Vormundschaft des vertrauenswürdigen Großwesirs Halil. Münzen wurden mit seinem Namen geprägt, und er wurde entsprechend den Vorschriften in die wöchentlichen Fürbitten aufgenommen.

      Das Experiment erwies sich als katastrophaler Fehlschlag. Ermutigt dadurch, dass er es nun mit einem unreifen Jüngling zu tun hatte, stellte der Papst unverzüglich den ungarischen König Ladislaus von seinem Friedensgelübde frei, und das Kreuzfahrerheer machte sich auf den Weg. Im September überquerten die Kreuzritter die Donau; zugleich wurde eine venezianische Flotte zu den Dardanellen entsandt, um Murats Heimkehr zu unterbinden. Die bedrohung heizte die Atmosphäre in Edirne auf. Im Jahr 1444 war ein glühender religiöser Fanatiker, der einer schiitischen Sekte angehörte, in der Stadt erschienen. Die Menschen liefen dem persischen Missionar zu, der eine Versöhnung zwischen dem Islam und dem Christentum versprach, und Mehmet, der sich von seinen Lehren angezogen fühlte, empfing ihn im Palast. Die Vertreter der Kirche waren entsetzt, auch Halil zeigte sich beunruhigt wegen des Häretikers. Man versuchte ihn zu verhaften. Als der Missionar im Palast Zuflucht suchte, musste Mehmet überredet werden, ihn auszuliefern. Schließlich wurde er zum öffentlichen Gebetsplatz gebracht und bei lebendigem Leibe verbrannt; seine Anhänger wurden getötet. Die Byzantiner versuchten, sich diesen Aufruhr zunutze zu machen. Ein osmanischer Thronprätendent, Prinz Orhan, den sie in der Stadt festhielten, wurde freigelassen, um eine Revolte zu schüren. In den europäischen Provinzen kam es zu Aufständen gegen die Osmanen. In Edirne brach Panik aus; die Stadt brannte zum großen Teil ab, und türkische Muslime flohen zurück nach Anatolien. Mehmets Herrschaft versank im Chaos.

      Murat hatte unterdessen mit dem Bey von Karaman einen Waffenstillstand geschlossen und eilte zurück nach Hause. Als er feststellte, dass die Dardanellen durch die venezianischen Schiffe blockiert waren, ließ er sich von deren Konkurrenten, den Genuesen, mit seinem Heer auf Fähren über den Bosporus bringen, wofür er den stattlichen Preis von einem Dukaten pro Kopf bezahlte. Dann rückte er weiter vor und traf am 10. November 1444 bei Varna am Schwarzen Meer auf das Kreuzfahrerheer. Die Schlacht endete mit einem überwältigenden Sieg der Osmanen. Der Kopf von Ladislaus wurde auf eine Lanze gespießt und zum Zeichen des Triumphes der Muslime in die alte osmanische Stadt Bursa geschickt. Dies war ein wichtiger Sieg der Muslime im Glaubenskrieg mit dem Christentum. Die Niederlage von Varna sorgte im Westen für ein Ende der 350 Jahre währenden Kreuzzugsbegeisterung: Die Christenheit sollte sich nie wieder zusammenschließen, um die Muslime aus Europa zu vertreiben. Dadurch festigte sich die Stellung der Osmanen auf dem Balkan, und Konstantinopel wurde zu einer isolierten christlichen Enklave in der islamischen Welt, wodurch die Wahrscheinlichkeit schwand, dass der Westen der Stadt im Falle eines osmanischen Angriffs zu Hilfe kommen würde. Zudem machte Murat die Byzantiner verantwortlich für die Turbulenzen im Jahr 1444, eine Deutung, die alsbald die Strategie der Osmanen prägen sollte.

      Kurz nach der Schlacht von Varna und trotz des frühen Scheiterns von Mehmets Sultanat kehrte Murat nach Anatolien zurück. Halil Pascha blieb zunächst Wesir, aber Mehmet wurde stärker von zwei anderen Männern beeinflusst, die ihm als Statthalter dienten: dem Obereunuchen Schihabettin Pascha, dem Gouverneur der europäischen Provinzen, und Zaganos Pascha, einem zielstrebigen, ehemals christlichen Konvertiten. Beide Männer drängten darauf, einen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten, da sie wussten, dass der Thronrivale Orhan nach wie vor in der Stadt lebte; die Eroberung sollte Mehmets Herrschaft stabilisieren, hofften sie, und das Ansehen des jungen Sultans stärken. Es ist offenkundig, dass Mehmet schon in jungen Jahren fasziniert war von der Möglichkeit, die christliche Stadt einzunehmen und sich zum Erben des Römischen Reiches aufzuschwingen. In einem Gedicht schrieb er: »Mein höchstes Trachten geht dahin, die Ungläubigen niederzuwerfen.«6 Doch Mehmets Eroberungsdrang war gleichermaßen imperial wie religiös motiviert und hatte teilweise auch einen nichtislamischen Ursprung. Er interessierte sich sehr für die Leistungen Alexanders des Großen und Julius Cäsars. Alexander war durch persische und türkische Epen im Mittelalter zu einem islamischen Helden aufgebaut worden. Mehmet war vermutlich schon von klein auf mit Alexanders Taten vertraut; er hatte sich im Palast täglich aus der Biographie des Welteroberers des römischen Autors Arrian vorlesen lassen. Unter diesen Einflüssen formte sich bei ihm eine Doppelidentität: Er sah sich als der muslimische Alexander, den seine Eroberungszüge bis ans Ende der Welt führen sollten, und als Gazi-Krieger, der den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen vorantreiben wollte. Mehmet wollte die Stoßrichtung der Weltgeschichte umkehren: Alexander war nach Osten gezogen; Mehmet wollte dem Orient und dem Islam Ruhm verschaffen, indem er den Westen eroberte. Es war eine ehrgeizige Vision, gefördert durch seine Berater, die sich durch eine Politik der Expansion persönliche Vorteile versprachen.

      Der frühreife Mehmet begann bereits 1445 mit Unterstützung seiner Tutoren einen neuen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten. Er war damals 13 Jahre alt. Halil Pascha war zutiefst beunruhigt. Er missbilligte das Vorhaben des jungen Sultans; nach dem Debakel von 1444 fürchtete er, dass ein weiterer Versuch abermals in einer Katastrophe enden würde. Trotz seiner beträchtlichen Ressourcen wäre das Osmanische Reich in der jüngeren Vergangenheit beinahe in Bürgerkriegen zerfallen, und wie viele andere fürchtete auch Halil, dass ein erneuter Angriff auf Konstantinopel zu einem entschlossenen Gegenschlag aus dem Westen führen würde. Aber auch er hatte persönliche Motive: Er fürchtete eine Schwächung seiner eigenen Macht und des traditionellen muslimisch-türkischen Adels zugunsten der kriegerischen christlichen Konvertiten. Er begann auf den Sturz Mehmets hinzuarbeiten, indem er einen Aufstand der Janitscharen anzettelte; zugleich bat er Murat, nach Edirne zurückzukehren und wieder selbst die Staatsgeschäfte zu übernehmen. Murat wurde begeistert willkommen geheißen; der hochmütige, unnahbare junge Sultan war weder

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