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und dass er nicht völlig verlässt, die ihn in Wahrheit anrufen, mögen wir auch wegen unserer Sünden auf kurze Zeit gezüchtigt werden«.12

      Dass es dem Islam 717 nicht gelang, die Stadt einzunehmen, hatte weitreichende Folgen. Der Zusammenbruch Konstantinopels hätte den Weg geebnet für einen muslimischen Vorstoß nach Europa, der die künftige Entwicklung des Abendlandes maßgeblich beeinflusst hätte; dies bleibt eine der großen »Was wäre gewesen, wenn«-Fragen der Geschichte. Somit wurde der erste entschlossene Angriff des islamischen Dschihad abgewehrt, der fünfzehn Jahre später auf der anderen Seite des Mittelmeers einen Höhepunkt erreichte: Eine muslimische Streitmacht stand 250 Kilometer südlich von Paris, doch sie wurde am Ufer der Loire geschlagen.

      Für den Islam hatte die Niederlage vor Konstantinopel mehr eine theologische als eine militärische Bedeutung. In den ersten Jahrzehnten nach seiner Entstehung besaß der Islam wenig Grund, daran zu zweifeln, dass der wahre Glauben am Ende den Sieg davontragen werde. Das Gesetz des Heiligen Krieges erzwang die fortgesetzte Expansion. Doch vor den Mauern Konstantinopels war der Islam von einem Spiegelbild seiner selbst zurückgeworfen worden; das Christentum war eine konkurrierende monotheistische Religion mit einem ähnlichen Sendungsbewusstsein und demselben Drang, Andersgläubige zu bekehren. Konstantinopel hatte die Frontlinie festgelegt in einem langwierigen Kampf zwischen zwei nahe verwandten Ausprägungen der Wahrheit, der noch mehrere Jahrhunderte fortgeführt werden sollte. Vorerst jedoch mussten die muslimischen Denker anerkennen, dass sich eine Veränderung im Verhältnis zwischen dem Haus des Islam und dem Haus des Krieges vollzogen hatte; die endgültige Unterwerfung der nichtislamischen Welt musste verschoben werden, vielleicht bis ans Ende der Zeiten. Einige Rechtsgelehrte konstruierten einen dritten Bereich, das Haus des Waffenstillstands, um eine Bezeichnung zu finden für die Verschiebung des Endsieges auf unbestimmt Zeit. Die Epoche der Glaubenskriege schien vorüber zu sein.

      Byzanz hatte sich als bislang hartnäckigster Gegner erwiesen, und Konstantinopel blieb für die Muslime eine schwärende Wunde wie auch weiterhin ein Ziel tiefer Sehnsucht. Viele Märtyrer waren vor seinen Mauern gestorben, darunter auch Ajjub, der Bannerträger des Propheten, der 669 im Gefecht fiel. Durch ihren Tod wurde die Stadt zu einem heiligen Ort für den Islam, und ihrer Eroberung wurde fürderhin eine geradezu messianische Bedeutung beigemessen. Durch die Belagerungen entstand ein reicher Schatz an Mythen und Legenden, der über Jahrhunderte weitergegeben wurde. Dazu gehörten auch die Hadithe, eine Sammlung von Überlieferungen über Mohammed, und die Prophezeiungen, die von Niederlagen und Tod kündeten, denen schließlich der Sieg der Glaubenskrieger folgen werde: »Im heiligen Krieg gegen Konstantinopel wird sich ein Drittel der Muslime ergeben, was Allah nicht verzeihen kann; ein Drittel wird in der Schlacht getötet werden, was sie zu wundersamen Märtyrern machen wird; und das letzte Drittel wird den Sieg erringen.«13 Es war ein Kampf, der in historischen Dimensionen ausgetragen werden sollte. Die Architektur des Konflikts zwischen dem Islam und Byzanz war so weitgespannt, dass in den folgenden 650 Jahren keine muslimischen Banner mehr vor den Stadtmauern aufgezogen werden sollten – eine längere Zeitspanne als jene, die uns heute von 1453 trennt –, doch die Prophezeiung hatte verheißen, dass sie eines Tages zurückkehren würden.

      Konstantinopel, erbaut an jener Stelle, wo der sagenumwobene thrakische König Byzas bereits tausend Jahre vorher eine Siedlung gegründet hatte, war schon 400 Jahre eine christliche Stadt, als Maslamas Truppen den Rückzug antraten. Der Ort, den Kaiser Konstantin im Jahr 324 zu seiner neuen Hauptstadt bestimmte, verfügte über beträchtliche natürliche Vorteile. Nach dem Bau der Landmauer im 5. Jahrhundert war die Stadt praktisch unverwundbar, solange sich die Belagerungstechnik auf den Einsatz von Katapulten beschränkte. Innerhalb der Mauern, die eine Länge von neunzehn Kilometern hatten, entwickelte sich Konstantinopel auf mehreren steilen Hängen, die natürliche Aussichtspunkte über die umgebenden Gewässer darstellten, während an der Ostseite die Bucht des Goldenen Horns, die wie ein gebogenes Geweih aussieht, einen sicheren Hochseehafen bot. Den einzigen Nachteil bildete die Trockenheit des Vorgebirges, ein Problem, das die römischen Wasserbauingenieure mittels eines ausgeklügelten Systems von Aquädukten und Zisternen zu beheben suchten.

      Der Ort lag ideal am Schnittpunkt von Handelswegen und Militärstraßen; auch die Geschichte der früheren Siedlung hallte wider vom Klang marschierender Stiefel und ins Wasser eintauchender Ruder: Jason und die Argonauten fuhren hier vorüber auf ihrer Suche nach dem Goldenen Vlies; der persische König Darios marschierte im Krieg gegen die Skythen mit 700.000 Soldaten über eine Brücke aus Booten; der römische Dichter Ovid blickte auf seinem Weg in die Verbannung am Schwarzen Meer wehmütig auf »das mächtige Tor zwischen dem doppelten Meer«.14 An diesem Knotenpunkt schöpfte die christliche Stadt Reichtum aus einem ausgedehnten Hinterland. Im Osten konnten die Schätze Zentralasiens über den Bosporus zur Kaiserstadt geschafft werden: das Gold der Barbaren, Pelze und Sklaven aus Russland, Kaviar vom Schwarzen Meer, Wachs und Salz, Gewürze, Elfenbein, Bernstein und Perlen aus dem Fernen Osten. Im Süden führten Straßen zu den Städten des Mittleren Ostens – Damaskus, Aleppo und Bagdad –, und im Westen erschlossen die Schifffahrtsstraßen durch die Dardanellen das gesamte Mittelmeer: Ägypten und das Nildelta, die reichen Inseln Sizilien und Kreta, die italienische Halbinsel und alles, was jenseits der Straße von Gibraltar lag. Näher waren das Holz, der Kalkstein und der Marmor, die zum Bau einer herrschaftlichen Stadt verwendet werden konnten, und all die Mittel, die zu ihrer Erhaltung benötigt wurden. Die Meeresströmungen im Bosporus boten reiche Fischgründe, während auf den Feldern des europäischen Thrakien und im fruchtbaren Tiefland der anatolischen Hochebene Olivenöl, Getreide und Wein im Überfluss erzeugt wurden.

      Die wohlhabende Stadt, die an diesem Ort entstand, war ein Ausdruck imperialer Größe, regiert von einem römischen Kaiser und bewohnt von griechischsprachigen Menschen. Konstantin ließ ein Netz von Straßen anlegen, die mit Kolonnaden versehen waren, flankiert von öffentlichen Gebäuden mit Säulenvorhallen, großen Plätzen, Gärten, Säulen und Triumphbögen sowohl heidnischer als auch christlicher Herkunft. Es gab Statuen und Denkmale, die von den klassischen Stätten geraubt worden waren (darunter die legendären Bronzepferde, die der griechische Bildhauer Lysippos wahrscheinlich für Alexander den Großen angefertigt hatte und die heute ein Wahrzeichen Venedigs sind), ein Hippodrom, das jenem in Rom nicht nachstand, kaiserliche Paläste und Kirchen »zahlreicher als die Tage eines Jahres«.15 Konstantinopel wurde eine Stadt des Marmors und des Porphyr, des geschlagenen Goldes und der prunkvollen Mosaiken, und es zählte in seiner Glanzzeit 500.000 Einwohner. Konstantinopel verblüffte die Besucher, die hierher kamen, um Handel zu treiben oder den oströmischen Kaisern ihre Referenz zu erweisen. Die Barbaren aus dem finsteren Europa bestaunten offenen Mundes »die Stadt, von der alle Welt träumt«.16 Der Bericht des Chronisten Fulcher von Chartres, der im 11. Jahrhundert nach Konstantinopel kam, drückt aus, was viele Besucher im Lauf der Jahrhunderte empfunden haben: »O was für eine herrliche Stadt, wie majestätisch, wie schön! Wie groß ist die Zahl ihrer Klöster, die sie birgt, wie viele Paläste sind an ihren Hauptstraßen und Gassen in lauter Arbeit errichtet worden, wie viele wunderbare Kunstwerke gibt es da zu schauen! Es wäre ermüdend, die Fülle all der guten Dinge aufzuzählen, die Werke aus Gold und Silber, der mannigfachen Gewänder und heiligen Reliquien. Unablässig laufen Schiffe im Hafen ein, und es gibt nichts, was Menschen begehren, das nicht dahin gebracht würde.«17

      Byzanz war nicht nur die letzte Erbin des Römischen Reiches, sondern auch die erste christliche Nation. Von ihrer Gründung an wurde die Hauptstadt als eine Nachbildung des Himmels verstanden, als eine Manifestation des Triumphes Christi, und der Kaiser galt als Gottes Stellvertreter auf Erden. Der christliche Glaube war überall sichtbar und spürbar: in den erhabenen Kuppeln der Kirchen, dem Glockenläuten und dem Schlagen der hölzernen Gongs, in den Klöstern, der großen Zahl von Mönchen und Nonnen, der endlosen Aneinanderreihung von Heiligenbildern an den Straßen und Mauern, den unablässigen Andachten und christlichen Zeremonien, an denen die frommen Bürger und der Kaiser teilnahmen. Fastenzeiten, kirchliche Festtage und Nachtwachen bestimmten den Kalender, den Zeitablauf und den Rhythmus des Lebens. Die Stadt wurde zum Sammelplatz der Reliquien der Christenheit, die man aus dem Heiligen Land herbeischaffte, und sie wurde neidvoll beäugt von den Christen im Abendland. Hier befanden sich das Haupt von Johannes dem Täufer, die Dornenkrone, die Nägel vom Kreuz Christi und der

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