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den unmittelbaren Nachkriegsjahren viele sozialistische Parteien gerne mit den Kommunisten verbündet hätten, wenn diese eine Zusammenarbeit nicht abgelehnt hätten. Matteotti, der Mann, den Mussolini nach seinem »Marsch auf Rom« ermorden ließ, war denn auch nicht eine führende Figur des PCI, sondern Sozialist gewesen. Der traditionellen Rechten mag zwar das gottlose Rußland als Verkörperung allen Übels dieser Welt erschienen sein, aber der Aufstand der Generäle in Spanien 1936 richtete sich trotzdem nicht gegen die Kommunisten als solche (wohl weil sie den kleinsten Teil der Volksfront bildeten; siehe Fünftes Kapitel). Er richtete sich gegen die Rebellion eines Volkes, das bis zum Beginn des Bürgerkriegs Sozialisten und Anarchisten politisch gefördert hatte. Nur eine Rationalisierung ex post kann den Faschismus mit Lenin und Stalin entschuldigen.

      Was aber noch einer Erklärung bedarf, ist, weshalb die Rechte nach dem Ersten Weltkrieg ihren entscheidenden Sieg in Gestalt des Faschismus erringen konnte. Denn extremistische Bewegungen der Ultrarechten hatte es auch vor 1914 schon gegeben – hysterisch nationalistisch und xenophobisch, kriegsverherrlichend und gewalttätig, intolerant und den Mitteln der Gewalt verschrieben, leidenschaftlich antiliberal, antidemokratisch, antiproletarisch, antisozialistisch und antirationalistisch, in Träumen von Blut und Boden schwelgend und die Rückkehr zu Wertvorstellungen ersehnend, die die Moderne zerstört hatte. Sie hatten einen gewissen Einfluß innerhalb der politischen Rechten und in einigen intellektuellen Zirkeln, aber nirgendwo hatten sie dominieren oder die Kontrolle übernehmen können.

      Erst der Zusammenbruch der alten Regime und herrschenden Klassen und ihrer ganzen Maschinerie aus Macht, Einfluß und Hegemonie gab der radikalen Rechten nach dem Ersten Weltkrieg eine Chance. Wo die alten Strukturen weiterbestanden, dort gab es auch keinen Bedarf am Faschismus. In Großbritannien konnte er sich trotz eines kurzen, nervösen Aufflackerns nicht entwickeln. Die traditionelle konservative Rechte behielt die Kontrolle. In Frankreich konnte er sich bis zur Niederlage 1940 nicht durchsetzen. Obwohl die traditionelle radikale Rechte – die monarchistische Action Française und der Croix de Feu (Feuerkreuz-Verband) von Colonel La Rocque – absolut bereit gewesen war, sich auf die Linke zu stürzen, war sie nicht eindeutig faschistisch. Einige aus ihren Reihen sollten später sogar der Résistance beitreten.

      In den neuen unabhängigen Staaten gab es kein Bedürfnis nach dem Faschismus, wenn eine neue nationalistische Klasse oder Gruppe die Regierungsgewalt übernommen hatte. Deren Vertreter konnten zwar reaktionär sein und hätten durchaus – aus Gründen, die später beleuchtet werden sollen – für eine autoritäre Regierungsform optieren können; dennoch war es nur Rhetorik, wenn der Wechsel zur antidemokratischen Rechten im Europa der Zwischenkriegsjahre augenblicklich mit Faschismus gleichgesetzt wurde. Faschistische Bewegungen von Bedeutung gab es weder im neuen Polen, das von autoritären Militaristen regiert wurde, noch im böhmischen und im mährischen Teil der Tschechoslowakei, die demokratisch waren, noch im (überwiegend) serbischen Kernland des neuen Jugoslawien. In Staaten, wo einflußreiche faschistische oder vergleichbare Bewegungen existierten, die von Rechten oder Reaktionären alten Stils geführt wurden (wie in Ungarn, Rumänien, Finnland und im Spanien von Franco, der selbst kein Faschist war), da gab es auch kaum Schwierigkeiten, sie unter Kontrolle zu halten – es sei denn, die Deutschen hatten ihre Daumenschrauben angesetzt (wie 1944 in Ungarn). Das heißt jedoch nicht, daß nationalistische Minderheitenbewegungen in alten oder neuen Staaten den Faschismus nicht attraktiv gefunden hätten, und sei es auch nur deshalb, weil sie von Italien und nach 1933 auch von Deutschland finanzielle und politische Unterstützung erwarten konnten, wie beispielsweise das (belgische) Flandern, die Slowakei und Kroatien.

      Optimale Bedingungen für einen Triumph der besessenen Ultrarechten waren vielmehr ein alter Staat, dessen Mechanismen funktionsunfähig geworden waren; eine Masse aus desillusionierten, desorientierten und unzufriedenen Bürgern, die nicht mehr wußten, wem ihre Loyalität gehören sollte; starke sozialistische Bewegungen, die mit einer sozialen Revolution drohten oder zu drohen schienen, aber nicht wirklich in der Lage waren, sie durchzuführen; und ein nationaler Widerstand gegen die Friedensverträge von 1918–20. Unter solchen Umständen waren die hilflosen alten herrschenden Eliten versucht, bei den Ultraradikalen Zuflucht zu suchen, wie die italienischen Liberalen 1920–22 bei Mussolinis Faschisten und die deutschen Konservativen 1932–33 bei Hitlers Nationalsozialisten. Und dies waren auch die Bedingungen, unter denen sich die Bewegungen der radikalen Rechten in mächtige, wohlorganisierte und oft auch uniformierte paramilitärische Truppen (squadristi, Sturmtruppen) verwandelten – oder, wie in Deutschland während der Weltwirtschaftskrise, eben zu einem gewaltigen Heer von Wählern. Doch in keinem der beiden faschistischen Staaten konnte der Faschismus einfach »die Macht übernehmen«, auch wenn er mit seiner Rhetorik dröhnend ankündigte, »nach Rom zu marschieren«, wie in Italien, oder »die Straße zu erobern«, wie in Deutschland. In beiden Fällen kam der Faschismus durch Begünstigung oder (in Italien) sogar durch die Initiative des alten Regimes an die Macht, also auf »konstitutionelle« Weise.

      Neu am Faschismus war, daß er sich – erst einmal an die Macht gelangt – weigerte, die alten politischen Spiele weiterzuspielen, und daß er begann, die Dinge, wo er nur konnte, zu verändern. Der totale Machttransfer und die vollständige Eliminierung aller Rivalen dauerten in Italien zwar länger (1922–28) als in Deutschland (1933–34), doch sobald das erreicht war, gab es keinerlei innenpolitische Grenzen mehr für die uneingeschränkte Diktatur eines alles beherrschenden populistischen Führers (»Duce«, »Führer«).

      An dieser Stelle sollte kurz zwei völlig verfehlten Thesen entgegengetreten werden. Die erste stammt von den Faschisten, wurde aber von vielen liberalen Historikern übernommen, und die zweite war dem orthodoxen sowjetischen Marxismus lieb und wert: erstens hat niemals eine »faschistische Revolution« stattgefunden; zweitens war der Faschismus niemals Ausdruck des »Monopolkapitalismus« oder Großunternehmertums gewesen.

      Der Faschismus besaß nur insofern revolutionäre Elemente, als er von Menschen getragen wurde, die eine fundamentale Transformation der Gesellschaft herbeisehnten und dabei häufig auch antikapitalistische und antioligarchische Beweggründe hatten. Doch das Pferd des revolutionären Faschismus war entweder gar nicht erst am Start erschienen oder wurde nicht zum Rennen zugelassen. Hitler hat schnellstens alle eliminiert, die die »sozialistische« Komponente im Namen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei – im eindeutigen Gegensatz zu ihm selbst – ernst genommen hatten. Und die Utopie der Rückkehr zu einer Art Mittelalter des kleinen Mannes, das von Erbhofbauern, Künstler-Handwerksleuten wie Hans Sachs und blondbezopften Mädchen bevölkert gewesen war, war kein Programm, das in einem bedeutenden Staat des 20. Jahrhunderts realisiert werden konnte (außer in der Alptraumversion von Himmlers Plänen für eine reinrassige Gesellschaft), und am wenigsten von Regimen, die sich einer spezifischen Art von Modernisierung und technologischem Fortschritt verschrieben hatten, wie die Faschisten Italiens und Deutschlands.

      Was die Nationalsozialisten mit Sicherheit erreichten, war eine radikale Säuberung des Staates von den alten Eliten und institutionellen Strukturen des Kaiserreichs. Immerhin rekrutierte sich die einzige Gruppe, die sich jemals wirklich gegen Hitler aufgelehnt hat (Juli 1944) – und folgerichtig auch dezimiert wurde –, aus der alten aristokratischen preußischen Armee. Die völlige Zerstörung der alten Eliten und alten Rahmenbedingungen, nach Kriegsende durch die Politik der westlichen Besatzungsarmeen bestätigt, sollte es schließlich auch ermöglichen, daß die Bundesrepublik auf einem sehr viel festeren Fundament errichtet wurde als die Weimarer Republik von 1918–33, die kaum mehr gewesen war als ein geschlagenes Kaiserreich minus Kaiser. Ganz gewiß hatte der Nazismus ein soziales Programm für die Massen, das er teilweise auch realisierte, wie zum Beispiel Ferien, Sportaktivitäten oder auch den geplanten »Volkswagen« (den die Welt nach dem Krieg als »Käfer« kennenlernen sollte). Doch seine wichtigste Errungenschaft war, daß er die Weltwirtschaftskrise nachhaltiger als andere Regierungen abwickeln konnte, weil ihn sein Antiliberalismus dazu brachte, nicht a priori dem Glauben an die freie Marktwirtschaft anzuhängen. Und doch war der Nazismus eher ein aufpoliertes und revitalisiertes altes Regime als ein grundlegend neues und völlig anderes. Wie das imperiale und militaristische Japan der dreißiger Jahre (von dem niemand behauptet hätte, daß es revolutionär gewesen sei) hatte auch der Nazismus eine nichtliberale kapitalistische Wirtschaft, der es gelang, sein

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