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die das 1. Vatikanische Konzil 1870 konsekriert hatte, zwar zutiefst und unerschütterlich reaktionär, aber nicht faschistisch. Im Gegenteil, ihre Ablehnung von stark säkular ausgerichteten Staaten mit totalitären Bestrebungen machte sie sogar notwendigerweise zum Gegner des Faschismus. Und doch war die Doktrin des »korporativistischen Staates« am stärksten in katholischen Ländern vertreten und weitgehend von (italienischen) Faschistenkreisen ausgearbeitet worden, die sich natürlich unter anderem auf die Tradition des Katholizismus berufen konnten. Solche Regime wurden nicht umsonst auch »Klerikalfaschisten« genannt. Manche Faschisten in katholischen Ländern hatten sich unmittelbar aus dem integrativen Katholizismus entwickeln können, wie beispielsweise die »Rex-Bewegung« des Belgiers Léon Degrelle. Die zwiespältige Haltung der Kirche gegenüber Hitlers Rassismus ist schon oft zur Kenntnis genommen worden; viel weniger häufig aber wird die beträchtliche Hilfe erwähnt, die Nazis oder Faschisten aller Art – darunter auch viele, denen schreckliche Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden – auf ihrer Flucht nach dem Krieg von Kirchenleuten in oft hohen Positionen erhielten. Was die Kirche nicht nur mit den Reaktionären alten Typs, sondern auch mit den Faschisten verband, war der gemeinsame Haß auf die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, auf die Französische Revolution und auf alles, was aus ihnen entstanden war: Demokratie, Liberalismus und der »gottlose Kommunismus«, dem natürlich der stärkste Abscheu galt.

      Die faschistische Ära war in der Tat ein Wendepunkt in der Geschichte des Katholizismus, vor allem weil die Identifikation der Kirche mit der Rechten, deren international führende Fahnenträger inzwischen Hitler und Mussolini geworden waren, schwerwiegende moralische Probleme bei den sozial gesinnten Katholiken aufwarf – gar nicht zu reden von den ernsten politischen Problemen, die sich für die zu einer antifaschistischen Haltung unfähigen Hierarchie ergaben, als sich der Faschismus geschlagen geben mußte. Andererseits aber verschaffte der Antifaschismus (vielleicht war es aber auch nur eine Art von patriotischem Widerstand gegen den fremden Eroberer) zum erstenmal einem demokratischen Katholizismus (Christdemokratie) innerhalb der Kirche Legitimität. Politische Parteien, die die römisch-katholischen Wähler für sich mobilisierten, hatten sich schon früher aus ganz pragmatischen Gründen in Ländern entwickelt, in denen Katholiken eine zahlenmäßig bedeutende Minderheit bildeten, meist um die Interessen der Kirche gegen den säkularen Staat zu verteidigen, wie z.B. in Deutschland und den Niederlanden. In offiziell katholischen Staaten widersetzte sich die Kirche derartigen Konzessionen an die Politik der Demokratie und des Liberalismus, auch wenn sie 1891 so bestürzt über das Erwachen des gottlosen Sozialismus gewesen war, daß sie selbst – eine radikale Innovation – eine Sozialpolitik formulierte, mit der sie den Arbeitern Rechte zusprach und gleichzeitig die Unversehrtheit der Familie und des Privateigentums festschrieb, aber nicht unbedingt auch vom Kapitalismus als solchem.5 Damit konnten zum erstenmal nicht nur sozial eingestellte Katholiken Tritt fassen, die bereit waren, in katholischen Gewerkschaften die Interessen der Arbeiter zu organisieren, sondern auch solche, die sich bei ihren Aktivitäten eher der liberaleren Seite des Katholizismus zuneigten. Die Ausnahme war Italien, wo Papst Benedikt XV. (1914–22) nach dem Ersten Weltkrieg die Gründung einer großen (katholischen) Volkspartei gestattet hatte, die kurz darauf von den Faschisten wieder zerschlagen wurde. Ansonsten blieben sozial und demokratisch gesinnte Katholiken politisch unbedeutende Minderheiten. Es war der Vormarsch des Faschismus in den dreißiger Jahren, der sie ans Licht brachte. Doch selbst in dieser Zeit waren Katholiken, die der Spanischen Republik ihre Unterstützung anboten, noch immer nur eine kleine, wenn auch intellektuell hervorragende Gruppe. Die Unterstützung der Katholiken galt in überwältigendem Maß dem Franco-Regime. Nur der Widerstand, den sie mehr mit patriotischen als ideologischen Gründen rechtfertigen konnten, hatte ihnen überhaupt erst eine andere Chance gegeben; und es war der Sieg, der ihnen dazu verhalf, diese Chance auch zu ergreifen. Doch die Siegeszüge der Christdemokratie in Europa und ein paar Jahrzehnte später auch in Teilen von Lateinamerika gehören einer späteren Periode an. In der Zeit, als der Liberalismus unterging, frohlockte die Kirche mit nur wenigen Ausnahmen über seinen Untergang.

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      Es bleiben noch die Bewegungen, die wirklich faschistisch genannt werden können. Zuerst gab es die italienische, die dem Phänomen auch seinen Namen gab6 und die eine Schöpfung des Journalisten und abtrünnigen Sozialisten Benito Mussolini war, dessen Vorname ein Tribut an den antiklerikalen mexikanischen Präsidenten Benito Juárez war und das leidenschaftliche Antipapsttum seiner Heimatregion, der Romagna, symbolisieren sollte. Adolf Hitler zollte Mussolini auch dann noch seinen Respekt – und betonte, wieviel er ihm zu verdanken habe –, als er und das faschistische Italien im Zweiten Weltkrieg schon längst ihre Schwächen und Inkompetenzen offenbart hatten. Mussolini wiederum übernahm von Hitler den Antisemitismus – spät, aber doch –, der vor 1938 nicht nur seiner Bewegung, sondern auch der Geschichte Italiens seit seiner nationalen Einheit vollkommen fremd gewesen war.7 Der italienische Faschismus allein konnte nicht viel internationale Anerkennung auf sich ziehen, obwohl er versuchte, ähnliche Bewegungen andernorts zu inspirieren und zu finanzieren, und auch manchmal an ganz unerwarteter Stelle Einfluß gewinnen konnte: etwa auf Vladimir Jabotinsky, den Gründer des zionistischen »Revisionismus«, welcher in den siebziger Jahren unter Menachem Begin die Regierung Israels dominieren sollte.

      Ohne den Triumph Hitlers in den frühen dreißiger Jahren in Deutschland wäre aus dem Faschismus wohl auch kaum eine größere Bewegung geworden. Tatsächlich wurden außerhalb Italiens alle faschistischen Bewegungen von Bedeutung erst nach Hitlers Machtergreifung gegründet: die ungarischen Pfeilkreuzler, die bei den ersten geheimen Wahlen, die bis dahin jemals in Ungarn stattgefunden hatten (1939), 25 Prozent der Stimmen für sich buchen konnten; und die Eiserne Garde in Rumänien, die sogar noch größeren Zulauf fand. Sogar Bewegungen, die vollständig von Mussolini finanziert wurden, wie die kroatischen »Ustascha«-Terroristen von Ante Pavelić, hatten nicht viel an Boden gewinnen können und wurden erst in den dreißiger Jahren, als sich einige von ihnen zur Unterstützung und Finanzierung nach Deutschland wandten, faschistisch ideologisiert. Ohne Hitlers Triumph in Deutschland hätte sich auch die Idee des Faschismus als universale Bewegung, als eine Art rechtsextremes Äquivalent zum internationalen Kommunismus, mit Berlin als seinem Moskau, nicht entwickeln können. Doch auch durch ihn konnte noch keine große Bewegung motiviert werden, höchstens ideologisch angepaßte Kollaborateure im von Deutschland besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs. Denn just zu dieser Zeit verweigerten viele, vor allem in Frankreich, die der traditionell ultrarechten Seite angehörten und zutiefst reaktionär waren, den Faschisten die Gefolgschaft: Sie waren und blieben Nationalisten des eigenen Landes. Einige von ihnen schlossen sich sogar der Résistance an. Überdies hätte der Faschismus ohne den internationalen Status Deutschlands als offensichtlich erfolgreicher und im Aufstieg befindlicher Weltmacht auch außerhalb Europas kaum an Einfluß gewinnen können; und die nichtfaschistischen reaktionären Herrscher hätten sich sonst wohl auch kaum bemüht, sich als Sympathisanten des Faschismus zu gerieren, wie Portugals Salazar, der 1940 behauptete, er sei mit Hitler »durch dieselbe Ideologie verbunden«.8

      Was die verschiedenen Strömungen des Faschismus miteinander verband – die Überzeugung von der deutschen Vorrangstellung nach 1933 einmal beiseite gelassen –, ist nicht so einfach auszumachen. Theorie war nicht die Stärke von Bewegungen, die auf die Unzulänglichkeiten von Vernunft und Rationalität eingeschworen waren und sich dem Primat von Instinkt und Willen verschrieben hatten. In Ländern mit einem aktiven konservativ-intellektuellen Leben konnte der Faschismus zwar alle möglichen Arten von reaktionären Theorien auf sich ziehen – wie ja ganz offensichtlich in Deutschland –, aber das gehörte eher zu seinen dekorativen als zu seinen strukturellen Elementen. Mussolini hätte ebensogut ohne seinen Hausphilosophen Giovanni Gentile auskommen können; und Hitler war die Unterstützung durch den Philosophen Heidegger wahrscheinlich völlig egal, wenn er überhaupt davon gewußt hat. Faschismus war auch nicht einer spezifischen Form von Staatsorganisation vergleichbar, wie beispielsweise dem korporativen Staat. Nazideutschland hatte schnell das Interesse an solchen Ideen verloren, vor allem weil sie mit der Vorstellung von einer einzigen, ungeteilten und totalen »Volksgemeinschaft« in Konflikt gerieten. Selbst ein so offensichtlich zentrales Element wie Rassismus hatte dem italienischen Faschismus ursprünglich völlig gefehlt. Umgekehrt aber hatte der Faschismus natürlich mit nichtfaschistischen Elementen der Rechten einiges gemein, wie zum Beispiel den Nationalismus,

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