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geschorenen Köpfe auf. Wenn Israt länger hier blieb, würde er die rituellen Raubfischjagden dieser Leute miterleben können.

       Es war seltsam, aber er hatte sich in seinem Innersten bereits darauf eingestellt, für länger hierzubleiben.

       Natürlich würde er für die Festival-Woche Tasner verlassen; das stand fest.

       Aber danach...

       Er hatte unbestreitbar gute Karten, wenn auch nicht, was die Erledigung seines Auftrages für Saretto-Yilmaz-Gerland anging.

       Ja, er hatte gute Karten, aber sie waren ihm zugesteckt worden, und das machte die ganze Sache noch komplizierter als sie ohnehin schon war.

       Er trieb sich am Strand herum, in der Stadt, überall.

       Er ließ sich einfach im Menschenmeer von Val-Duun treiben und versuchte vergeblich, die Vorstellung abzuschütteln, wie aus all diesen friedlichen und zivilisierten Menschen Bestien wurden.

       'Es scheint, als hätte ich das besondere Wesen der tasnerianischen Gesellschaft noch nicht verstanden', dachte er.

       Zurückgekehrt in sein Quartier bei LeCarré, sah er sich Video-Aufzeichnungen verschiedener früherer Festivals an und wunderte sich dabei nicht, wie leicht es ihm diesmal gefallen war, überhaupt daran zu kommen. Wenn er bedachte, daß man ihm noch vor kurzem jeglichen Zugang geschickt verwehrt hatte...

       Er war zutiefst entsetzt. Unter anderem erkannte Israt die Gestalt seines Gastgebers wieder, wie sie an der Spitze einer mit Hieb- und Stichwaffen bewaffneten Horde von Männern und Frauen auf Angehörige einer anderen, ebenfalls bewaffneten Gruppe, eindrosch.

       Mehrmals hielt Israt dabei die Bildfolge der Videobänder an, um sich ganz sicher sein zu können. Aber es konnte da keine Zweifel geben - es war LeCarré! Alles Zivilisierte war auf diesen Bildern von ihm abgefallen, sein Gesicht war grotesk verzerrt und ein wildes Tier schien von ihm Besitz ergriffen zu haben.

       *

       Die Tage schleppten sich in gewohnter Zähflüssigkeit dahin. Einmal wurden ihm einige Datenspeicher gebracht: Mindestens siebzig Prozent der in den Dateien von Tasner gespeicherten Fakten. Von allgemeinen Strukturdaten bis hin zu detaillierten Angaben über die Gewohnheiten jedes einzelnen Bürgers war alles vorhanden.

       Das war ein Vielfaches von dem, was er überhaupt erwartet – und zunächst auch nur bekommen hatte.

       Als er den wertvollen Handkoffer bekam, strich Israt fast zärtlich über den grauen Kunststoff. Hier hielt er den Schlüssel zur ökonomischen Eroberung einer Welt in den Händen: Seine Karten waren jetzt wirklich sehr gut - aber unweigerlich kehrten seine Gedanken immer wieder zu seinem Mentor zurück, zu LeCarré, in dessen Händen unbestrittenermaßen die Macht lag.

       Ab und zu traf er Nacini Changas in den Salons, und sie unterhielten sich ein wenig. Meistens sprach sie von den religiösen Erfahrungen, die man auf Am-Abgrund machen könne.

       Sie erzählte ihm immer und immer wieder dieselben Dinge, und er begriff sie jedesmal gleich wenig.

       Aber er spürte die Faszination, mit der Changas von ihrer Heimatwelt sprach, und etwas davon übertrug sich auch auf ihn, so daß er sich vornahm, irgendwann, wenn er dies alles hinter sich hätte, diesen Planeten am Rande des intergalaktischen Nichts zu besuchen.

       "Haben Sie bereits eine Passage gebucht, N'Gaba?"

       "Ja, nach Ikarus." Ikarus umkreiste dieselbe Sonne wie Tasner, die Passage war kurz.

       Sie lächelte etwas geringschätzig. "Ikarus ist eine unbedeutende und uninteressante Welt."

       "Schon möglich, aber ich kann es mir nicht leisten, mich zu weit von Tasner zu entfernen."

       "Wenn Sie mit mir nach Am-Abgrund gehen würden..." Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

       "Ich werde sicherlich einmal dorthin kommen. Aber zunächst einmal habe ich eine Aufgabe..."

       "Eine Aufgabe? Die einzige Aufgabe ist das Leben selbst, ist Erfahrung, wissen Sie?"

       Israt verstand schon - oder glaubte es zumindest -, aber er war an der Art Erfahrung, die Changas meinte, nicht interessiert. Das gehörte alles zu den Dingen, die er hinter sich lassen wollte.

       „Für wen erfüllen Sie diese Aufgabe?", fragte sie dann plötzlich.

       Beinahe hätte sich Israt versprochen und gesagt: „Für mich! Für wen denn sonst?“ Aber er bekam rechtzeitig die Kurve und log: "Für wen? Für Saretto-Yulmaz-Gerland!"

       „Aha, dachte ich es mir doch!“ Es klang nachdenklich.

       Er runzelte die Stirn. Woher wußte sie diesen Namen? Hatte er ihn ihr gegenüber erwähnt? Er erinnerte sich nicht mehr genau.

       "Oder für LeCarré?" fügte sie unvermittelt hinzu.

       "Alles, was ich tu, tu ich für mich selbst", rutschte es ihm heraus. Jetzt war es nicht mehr zurückzunehmen. Auch als er relativierend nachschob: „Gewissermaßen...“ Und noch etwas leiser: "Ich möchte etwas werden, verstehen Sie?" Man konnte nicht sagen, ob sie verstand. Ihr Gesicht war entspannt wie immer; es war jedenfalls keinerlei Veränderung feststellbar.

       "Sind Sie nicht genug?" fragte sie dann schließlich in die entstandene Stille hinein.

       Israt schüttelte leicht den Kopf.

       "Nein. Ich möchte mehr sein, als ich bin." Es fiel ihm einfach nichts Besseres ein, auch wenn er es noch so sehr verfluchte.

       "Sie möchten Macht..." Es war eine Feststellung, die da über die Lippen der Frau von Am-Abgrund ging, keine Frage.

       Israt schwieg.

       Changas sah das Erstaunen in seinem Gesicht und lächelte. "Sie können es ruhig zugeben. In ihrem Innersten wissen Sie, daß ich recht habe."

       "Woher...?"

       "Ich weiß es eben. Und LeCarré weiß es eben auch."

       "LeCarré?"

       "Ja. Durch ihren Machthunger sind Sie käuflich, N'Gaba. LeCarré weiß das. Das ist der Grund für ihn, Ihnen das entgegenzubringen, was er 'Freundschaft' nennt. Sie wollen Macht, wissen aber, daß sie nur aufsteigen können, wenn LeCarré seine starken Arme über Ihr Haupt hält - darum sind Sie ihm hörig und werden es so lange bleiben, wie diese Abhängigkeit besteht." Sie seufzte, strich mit der Hand über ihr Kinn und lächelte dann erneut. "Vielleicht ist das das Geheimnis von LeCarrés Erfolg: Er hat eine phänomenale Gabe, die Schwachpunkte von Menschen auszumachen. Ich glaube, es gibt niemanden, den er nicht kaufen könnte..."

       "Ich bin etwas verwirrt", behauptete Israt. In Wahrheit jagten sich seine Gedanken, aber keineswegs als Ausdruck von Verwirrung. Er dachte darüber nach, was er soeben gehört hatte – und fragte sich am Ende: Wer nutzt hier wen aus? LeCarré mich – oder ich LeCarré? Nun, so lange wir beide unseren Vorteil davon haben, ist es in Ordnung...

       Er konzentrierte sich wieder auf die Frau von Am-Abgrund.

       "Das kann ich verstehen", meinte sie gerade.

       "Ich jedenfalls verstehe zum Beispiel nicht, weshalb er mich - und damit die Company so fördert", sagte Israt und beobachtete sie dabei genau. Es war unglaublich schwer, in ihrem Gesicht zu lesen, wenn nicht unmöglich. Er versuchte es trotzdem. Was dachte sie wirklich? Warum sagte sie dies alles?

       "Sie stellen Konsumgüter her, nicht wahr?"

       Israt unterdrückte ein Nicken. „Mein Konzern, abgekürzt nennt er sich SYG, macht Terraforming. Allerdings nicht nur...“ Er brach ab. Es war schon ziemlich viel, was er damit sagte. Sie sollte nur soviel hören, daß sie weiter redete. Vielleicht würde Israt von ihr etwas erfahren, was von Wichtigkeit war? Er konnte es sich zwar nur schwer vorstellen, bei all den Belanglosigkeiten, die sie bislang von sich gegeben hatte, aber hier und heute hatte sich das schlagartig geändert, und es war für Israt zumindest nicht uninteressant, mehr davon zu hören.

       "Sehen Sie, wenn LeCarré dafür sorgt, daß es endlich ein billiges Konsumgüterangebot

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