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Changas war zunächst etwas verwirrt, da Israt nach Details dieser barbarischen Sitte fragte.

       Kurz darauf antwortete sie ihm jedoch, ohne noch etwas von ihrer Verwunderung zu zeigen: "Laser und andere Handfeuerwaffen sind zu gefährlich."

       "Ich verstehe nicht..."

       "Sie würden zuviel Sachschaden anrichten, und man müßte Tasner nach jedem Festival zur Hälfte neu aufbauen. Das ist aber nicht der Sinn der Sache. Aus dem gleichen Grund gibt es auch gewisse Sperrzonen, zum Beispiel die Raumhäfen, die Datenbanken und ähnliches. Diese Gebäude werden vor Beginn der 'Feierlichkeiten' jeweils mit einem Festakt versiegelt und erst nach Ende des Festivals wieder geöffnet. Aber da sehen Sie die ganze Menschenverachtung, die in diesem Festival liegt: Es existieren zwar gewisse Tabus, aber die sind lediglich zum Schutz von Sachwerten errichtet: Unglaublich, nicht wahr?"

       "Ja, da haben Sie recht. Es klingt unglaublich..." Es war Israt natürlich klar, daß es unmöglich war, seine Aufgabe bis zum Beginn des Festivals erledigt zu haben. Aber wenn er wollte, konnte er eine 'Dienstreise' unternehmen.

       Vielleicht nach Centrum? – Es wäre sicher nicht uninteressant, das Gesicht von Kransom zu sehen, der ihn wahrscheinlich längst „abgeschrieben“ hatte.

       Oder nach Ikarus?

       Sowohl von dort als auch von Centrum aus hätte er Kontakt mit seinem Konzern aufnehmen können. Um beispielsweise Lester Banjo hinhalten zu können. Vielleicht auch, um ihn darauf vorzubereiten, daß bald eine größere Bestechungssumme fällig werden könnte. Es mußte dabei ja nicht erwähnt werden, daß Nutznießer davon keineswegs der Konzern SYG sein würde...

       Jedenfalls: Von hier aus hatte er bisher keinerlei Möglichkeit eröffnet bekommen, Kontakt mit außerhalb des Planeten aufzunehmen!

       LeCarré, du wirst sicherlich deine Gründe haben! dachte er zerknirscht. Vielleicht ist es sogar besser, wenn ich diese Gründe nicht kenne – wenigstens NOCH nicht?

       Noch einmal: Einen Vorwand würde er leicht finden, um Tasner zu verlassen.

       Warum in aller Welt hatte man ihn in Athen auf Alpha Centauri 2 über die besonderen Sitten der Tasnerianer nicht unterrichtet?

       Wußte man vielleicht nichts davon? Das war gut möglich. Er mußte nicht gleich annehmen, daß ihn Benjo sozusagen ins offene Messer hatte rennen lassen. Die Informationen über den Rand waren äußerst spärlich - und die, die man finden konnte, waren zumeist überaltert.

       'Saretto-Yilmaz-Gerland sollte vielleicht doch mal erfahren, was hier vor sich geht', überlegte Israt. Um seinen Vorgesetzten die Lage zu schildern, würde er auf jedenfall von „außerhalb“ einen Hyperfunkspruch absenden müssen. Und wenn schon, dann möglichst vor Beginn des Festivals.

       In jedem Fall wollte er so schnell wie möglich eine Passage buchen, denn eines stand für ihn jetzt unverrückbar fest: Wenn auf Tasner die Zeit der Barbarei begann, wollte er nicht mehr hier sein.

       Das konnte niemand von ihm erwarten.

       So wichtig konnte nichts sein, auch seine insgeheimen Planungen nicht, die er auch noch danach würde fortführen können.

       Blieb nur zu hoffen, daß er sich mit Susstu-Garlis zuvor noch über den Datentransfer einigen konnte, um wenigstens einen Teilerfolg gesichert zu haben.

       Immerhin bestand die Möglichkeit, daß die Oberste Datenkontrolleurin bei den zu erwartenden Wirren ums Leben kam und er sich mit ihrem Nachfolger vielleicht weniger leicht einigen konnte.

       An die Möglichkeit, daß man ihn vielleicht gar nicht abreisen lassen würde... Ja, an diese Möglichkeit dachte er gar nicht. Sicher, weil er es einfach verdrängte...

       *

       Israt verlor Nacini Changas wieder aus den Augen und drängte sich zwischen den illustren Gästen, hörte, wie der ihm bereits vorgestellte oberste Richter der Stadt Val-Duun, Galnak Ion Tuy, sich über irgend etwas heftig erregte - obwohl auch diese Erregung wohl einen genau definierten Zweck erfüllte -‚ schnappte einige Gesprächsfetzen auf und sah dann inmitten der Menge plötzlich die Gestalt Mings.

       Der Chinese diskutierte eifrig mit einer Frau und einem Mann, und während Israt ihn beobachtete, begann, ihn tiefe Abneigung zu erfüllen.

       Andere liefen vor dem Festival davon, aber Ming war nur seinetwegen hier: Wie konnte es so etwas geben?

       Ein leichter Kälteschauer überfiel Israt, als er daran dachte, was aus diesen so zivilisierten Menschen während der Festivalwoche werden würde.

       Später dann erfüllte sich tatsächlich LeCarrés Voraussage: Alana Susstu-Garlis sandte einen Boten zu Israt, der diesen diskret in ein Nebenzimmer führte, wo die Oberste Datenkontrolleurin bereits auf ihn wartete.

       Man wurde sich schnell einig, obwohl ihre Forderungen sehr unverschämt waren. Aber Israt hatte keine andere Wahl.

       Die einzelnen Modalitäten wurden geregelt, wobei Israt darauf bestand, daß alles so schnell wie möglich und vor Festivalbeginn vonstatten ging. Er erwähnte dabei natürlich nicht, daß die illegal freigegebenen Daten, die ein komplettes Profil der Bevölkerung ermöglichten, nicht wirklich dem Konzern zukamen, der ihn entsandt hatte, nämlich SYG...

       "Ah, wie ich sehe, scheinen Sie sich bereits etwas in unsere lokalen Verhältnisse eingearbeitet zu haben, Herr N'Gaba. Sie scheinen zu fürchten, daß ich während der Festwoche umkomme. Habe ich recht?"

       "Nun, das wäre doch möglich, oder nicht?"

       Sie trat nahe an ihn heran, und ihre Augen nahmen für einen kurzen Moment einen drohenden, gefährlichen Ausdruck an. "Ich habe gelernt, wie man mit einem Schwert umgeht, Herr N'Gaba: Sie brauchen sich nicht zu sorgen – zumindest nicht um mich."

       "Nun, dennoch wäre es mir lieber, wenn alles vorher über die Bühne gehen würde." In Gedanken fügte er hinzu: Dann kann ich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ich setzte mich mit Banjo in Verbindung und lasse SYG bezahlen, was Sussta-Garlis von mir bekommt. Ich strecke es also nur vor. Und die Daten werden gleichzeitig ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt...

       Die Oberste Datenkontrolleurin gab nach. Es brachte ihr auch keinerlei Vorteile, auf ihrem Standpunkt zu beharren und sich jetzt noch allzu großzügig Zeit zu lassen; außerdem war sie viel zu geldgierig für weitere Verzögerungen.

       *

       Hinterher hoben sie die Gläser und stießen an. "Sie scheinen ein bemerkenswerter Mann zu sein, N'Gaba", meinte Alana Susstu-Garlis, nachdem sie etwas getrunken hatte. "Xa LeCarré hat mir viel von Ihnen erzählt. Er scheint Sie zu mögen."

       Israt wußte nicht, was er darauf zu erwidern hatte. Irgendwie schien sich seine momentane Ratlosigkeit auf seinem Gesicht wiedergespiegelt zu haben, denn Alana meinte plötzlich: "Es ist schon gut, Sie brauchen nichts dazu sagen. Aber gestatten Sie mir, wenn ich Ihnen einen guten Rat gebe: Verscherzen sie sich die Sympathien LeCarrés nicht - niemals: Unter seiner Protektion werden sie es leicht haben, aber gegen ihn..."

       "Ich verstehe..."

       "Das ist gut. Ich mag Sie, und es würde mich freuen, Sie erfolgreich zu sehen."

       Dann gingen sie auseinander, verließen das Nebenzimmer und mischten sich wieder unter die Gäste.

       Im Hintergrund war jetzt Musik zu hören, leise, dumpf und einschmeichelnd, und Israt mußte an den Mann aus Alpha Centauri denken: Oswaldo Heinrichs...

       Ja, so konnte es einem ergehen, wenn man nicht den richtigen Protektor hatte.

       Das war fast überall so.

       Die Spielregeln unterschieden sich nur in Details, nicht vom Prinzip her. Israt fühlte, daß er es auf Tasner zu etwas bringen konnte - letztlich. Mit Hilfe von LeCarré jedenfalls würde es ihm nicht nur gelingen, seinen persönlichen Wohlstand noch zu vergrößern (der sowieso schon einen Umfang erreicht hatte, von dem Banjo, sein Auftraggeber von SYG, dem Konzern, den er sowieso hatte verlassen wollen, mit Sicherheit nicht einmal etwas ahnte), sondern auch - Macht.

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