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es war gut, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, es war mir nicht bewusst. Ich werde mir also keine Gedanken mehr um die Mieterin von Ricky machen, und ich werde auch nicht in Schweißausbrüche ausbrechen, nur weil da ein paar junge Leute Bier trinken. Pam war ja nicht einmal dabei.«

      »Und wenn es so wäre«, sagte Teresa, »was würdest du da tun? Nach Australien fliegen und unserer Kleinen die Bierdose aus der Hand nehmen?«

      Bei dieser Vorstellung musste Inge lachen. Sie unterhielt sich noch ein wenig mit ihrer Mutter, und sie hätte gern noch weiter mit ihr geplaudert, doch sie musste nach nebenan.

      Werner kam von einem Vortrag zurück, und er liebte es, wenn sie ihn mit einem schönen Essen überraschte. Und genau das wollte sie tun.

      Inge war ja so glücklich darüber, dass zwischen ihr und Werner wieder alles in Ordnung war. Der ganze Ärger wegen der Adoption hatte auch ihre Beziehung ganz schön ins Wanken gebracht, und in ihrer Hilflosigkeit hatten sie sich manchmal gezankt wie die Kesselflicker. Aber das war ja auch so etwas, woran so manche Beziehung scheiterte, nicht miteinander reden, sondern sich gegenseitig Schuldzuweisungen in die Schuhe schieben.

      Das Gewitter war zum Glück vorüber, und Inge wollte so etwas nicht noch einmal erleben, zumal man ja auch nicht davon ausgehen konnte, dass sich immer alles zum Guten wenden würde.

      »Mama, ich mache für Werner Hühnergeschnetzeltes mit Kokosmilch und Curry. Soll ich euch etwas rüberbringen?«

      Teresa von Roth freute sich.

      »Da sage ich nicht nein, dein Geschnetzeltes ist köstlich, ich koche dann für Papa und mich Reis dazu.«

      Inge umarmte ihre Mutter.

      »Musst du nicht, Mama, den liefere ich, ganz wie bei einem Partyservice, mit dazu. Ob ich nun etwas mehr oder weniger Reis koche, das ist keine Mehrarbeit.«

      »Großartig, mein Kind, dann werde ich mal genüsslich ein paar Kreuzworträtsel machen. Schließlich muss man hier und da auch mal was für sein Gehirn tun, ehe es ganz einrostet.«

      Inge lachte.

      »Mama, da musst du dir wirklich keine Sorgen machen, ich kenne niemanden, der so klar in seinem Kopf ist wie du. Du und Papa, ihr habt die Chance, die hundert Jahre und noch mehr zu erleben, so fit in jeder Hinsicht ihr seid.«

      Teresa von Roth wurde ernst.

      »Das ist etwas, worauf man nicht bauen darf, allenfalls hoffen. Leben ist nicht kalkulierbar, es kann von heute auf morgen vorbei sein.«

      Als sie Inges betroffenes Gesicht sah, sagte sie: »Es ist immer gut, im Heute glücklich zu sein, und das sind wir. Und ich bin glücklich, heute nicht kochen zu müssen. Es hat schon etwas für sich, wenn man so dicht beieinander wohnt, da muss man das Essen nicht einmal aufwärmen.«

      »Ich habe dich lieb, Mama«, sagte Inge, »selbst wenn ich schon ein ziemlich altes Mädchen bin, ist es notwendig, das manchmal auszusprechen.«

      »Ich habe dich auch lieb, meine Inge«, antwortete Teresa mit weicher Stimme. »Du warst der Sonnenschein unseres Lebens, und das bist du bis heute geblieben. Es ist keine Selbstverständlichkeit, eine so gute Tochter zu haben, wie du es bist.«

      Jetzt wurde es für Inge aber Zeit zu gehen, ehe sie vor lauter Sentimentalität noch anfing zu weinen.

      Es war schon ein wunderbares Band, das sie und ihre Eltern verband.

      Sahen ihre Kinder das auch so?

      Inge hatte keine Ahnung.

      »Bis später, Mama«, sagte sie, dann verließ sie das Haus ihrer Eltern. Jetzt hatte sie doch ein paar Tränchen der Rührung in ihren Augen.

      *

      Es käme Roberta Steinfeld niemals in den Sinn, sich während ihrer Sprechstunden durch Privates ablenken zu lassen. Im Handel sagte man ja immer – der Kunde ist König. Das würde sie glatt unterschreiben und auf ihre Patienten übertragen. Die Patienten hatten es allesamt verdient, von ihr mit voller Aufmerksamkeit behandelt zu werden, ob es nun die Kassenpatienten waren oder die Privatpatienten. Für Roberta gab es keine Unterschiede, und das wussten ihre Patienten auch sehr zu schätzen.

      Doch als die Sprechstunde vorbei war, sie sich von ihrer unglaublichen Ursel Hellenbrink verabschiedet hatte, sah sie vor ihrem geistigen Auge diesen Fremden vor sich, und das machte ihr Angst. Diese paar Minuten konnten sich bei ihr doch nicht eingebrannt haben. Oder war es überhaupt nicht der Mann, sondern seine Großzügigkeit, sie nicht in Anspruch nehmen zu wollen? Immerhin hatte sie den Verkehrsunfall ganz eindeutig verursacht.

      Roberta wusste, dass sie sich da etwas vormachte, es war der Mann, und am meisten waren es diese unglaublichen blauen Augen.

      Während des Essens mit Alma gelang es ihr, nicht mehr an ihn zu denken, denn das Essen war lecker, und Alma verstand es, sie immer wieder zum Lachen zu bringen, wenn sie ihr von dem neuesten Tratsch aus dem Sonnenwinkel erzählte. Es war schon unglaublich, wie Alma sich entwickelt hatte. Aus einem verhuschten Wesen, krank und ohne Perspektive, hatte sich eine selbstbewusste fröhliche Frau entwickelt, die eine ganz besondere Art von Humor hatte.

      So etwas passierte tatsächlich, doch glauben wollte man es nur, wenn man es auch persönlich erlebte, sonst tat man es doch meistens mit dem spöttischen Bemerken ab – »Papier ist geduldig.«

      Es war einfach nicht leicht zu glauben, dass sich für einen Menschen, der wirklich ganz unten war, tiefer ging nicht, noch einmal alles zum Guten wenden würde. Aber genauso war es mit Alma gewesen. Wer sie heute sah, käme niemals auf den Gedanken, dass diese Frau so gut wie erloschen gewesen war.

      Nach dem Abendessen traf Alma sich mit einer Freundin aus ihrem Gospelchor, und Roberta machte es sich in ihrem Wohnzimmer gemütlich mit einem Glas Rotwein, an ihren Füßen hatte sie gemütliche, sehr kuschelige Wollsocken, die eine dankbare Patientin für sie gestrickt hatte. Roberta liebte diese Haussocken über alles, und sie bewunderte wirklich jede Frau, die imstande war, solche Kunstwerke herzustellen. Sie gehörte nicht zu den Damen, und Handarbeiten war schon in der Schule ihr Angstfach gewesen. Sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern, dass ihre Handarbeitslehrerin ihr zugestanden hatte, ein Ballnetz über den eigentlichen Termin hinaus fertigzustellen, damit durch eine schlechte Note ihr Zeugnis nicht verdorben wurde. Sie hatte sich gequält, hatte dieses Ballnetz fertiggestellt, abgeliefert, und der Kommentar der Lehrerin war gewesen, dass das erste Drittel des Netzes durchaus akzeptabel war, man aber dringend über den Rest hinwegsehen musste. Ihre Note war nicht gut gewesen, aber immerhin besser, als sie sie eigentlich verdient hätte. Als die Möglichkeit bestanden hatte, Handarbeiten abzuwählen, war sie die Allererste gewesen, die das getan hatte.

      Mit einem Skalpell umzugehen, das war für Roberta sehr viel einfacher als mit Strick- oder Häkelnadel. Und man musste schließlich nicht alles können. Aber die Socken, die waren wunderschön, und wie ordentlich sie gestrickt waren. Roberta war sich sicher, dass sie sich allein schon bei dem Versuch, eine Ferse zu stricken, die Hände brechen würde.

      Sie griff nach ihrer Fernsehzeitung, vielleicht gab es ja einen spannenden Krimi oder irgendwas, was sie interessierte, bloß keine Ratesendung oder ein Casting für irgendwas.

      Es gab nichts, also würde sie lesen, diesmal einen Roman, keine Fachzeitschrift.

      Sie trank ein Schlückchen von dem köstlichen Rioja, und noch während sie überlegte, klingelte ihr Telefon.

      Es war ihre Freundin Nicki.

      »Schön, dass du anrufst«, rief Roberta, »ich habe es gar nicht erst versucht, weil ich dich noch in Paris wähnte.«

      »Wir sind einen Tag früher fertig geworden«, sagte Nicki, »früher hätte ich mich darüber gefreut, wieder nach Hause zu kommen. Derzeit würde ich mich am liebsten Tag und Nacht mit Arbeit zuschütten, um nicht an Roberto denken zu müssen. Oh Roberta, wie blöd ich doch war, mein Glück mit Füßen zu treten. Ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass Roberto verheiratet ist und dass seine Frau sogar ein Kind bekommt. Hast du mal darüber nachgedacht, dass ich diejenige hätte sein können,

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