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dieerste eingehendere, die überhaupt in Deutschland erschien, und die deshalb ihren historischen Wert besitzt) oder im »Literaturblatte des Morgenblattes« (1836, Nr. 76). Dort meinte W. von Lüdemann von Balzac: »Balzac mit seiner sinnlich-tiefen, philosophisch-phantastischen, erschütternd-lehrreichen Erfindungsgabe! Balzac gehört wie Sue zu den Verzweifelnden, die die menschliche Gesellschaft für rettungslos halten, während V. Hugo, Janin und andere zu den Triumphierenden gehören. Nirgends ist Ruhe, Trost – Wut, Erschöpfung, Haß teilt sich in seinen Empfindungen. Nirgends Menschen, überall Wahnsinnige! So tritt er in seinen »Contes philosophiques« hervor – diese höchste Steigerung aller Seelenkräfte erfüllt uns mit Ekel, aber mit einem solchen, der nahe an Bewunderung streift ...« Im »Literaturblatte« holte Menzel weit derber aus: er warf Balzac Schriftstellereitelkeit vor; unklar und verwässert sei alles, was er geschrieben habe; er hätte ein ausgezeichneter Romanschriftsteller werden können, wenn er statt Studium und Fleiß zu üben, nicht 37 Bände in sieben Jahren geschrieben hätte. Und nur eines freute Menzel, daß Balzac trotz seiner Unsittlichkeit und das Herz empörenden Schilderungen nicht so arg sei wie die Sand, Janin und andere; denn er stelle das Schlechte als schlecht, das Gemeine als gemein dar, und er stelle nur deshalb dem Laster keine Tugend gegenüber, um die Wahrheit desto eindringlicher zu machen, daß die Verdorbenheit wirklich herrsche und nicht bloß drohe ...

      Gegen derartige kleinliche, uneinsichtsvolle Urteile heute, da sich Balzac völlig durchgesetzt hat, nur ein Wort der Erwiderung oder der Erklärung vorzubringen, wäre wohl gänzlich unangebracht. Diese oberflächlichen, den Gedankengang Balzacs so schwer verkennenden »Verdammungen« beweisen ebenso wie Schiffs Verfälschungen nur eines, daß man nämlich in den Dreißigerjahren kaum ahnte, worin die überragende Bedeutung des kraftvollen Realisten liege, und daß man damals in sentimentalen Schwärmereien noch viel zu sehr befangen war, um eine Kunst zu verstehen, die sich auf neuen Bahnen bewegte, die Schminke und Retusche gründlich verachtete, die sich von jeder lügenhaften Konvenienz freizuhalten wußte. Damit konnte man in Deutschland nichts beginnen und nicht fertig werden. Aus der Welt schaffen ließ sich dieses »Übel« nicht; so gingen die einen daran, Balzac dem Tagesgeschmack der großen Menge gefügig zu machen, die anderen, ihn totzulästern. Vergeblich war eines wie das andere – Balzac war stark genug, selbst deutsche Schwerfälligkeit zu überwinden und den Boden urbar zu machen, auf dem nach ihm die Größten unserer Zeit ackerten. Wenn Emil Zola in der großen Genealogie der »Rougon-Macquart« im Rahmen einer Familienentwicklung die politische und soziale Geschichte seines Zeitalters darzustellen suchte, so dankte er die Idee seiner Konzeption niemand anderem als Balzac, der ihm mit der Zusammenfügung aller seiner Novellen in das große Gebäude der »Comédie humaine« Mut für sein gewaltiges Beginnen gemacht hatte. Wie Balzac für Zola oft bis auf die einzelne Phrase herunter in Stil und Vortrag von weitestreichendem Einflusse wurde, so lebte der Grundgedanke seines kühn ausholenden, leider nicht zu Ende geführten Unterfangens in dem Werke des Größeren machtvoll wieder auf. So ward aber auch seine dichterische Tat dem Los des Vergessenwerdens entrissen. Balzacs Werk und Ruhm besteht – die Minierarbeit der Kleinen, die sich daran zu erproben versucht hatte, ward zuschanden.

      Man braucht deshalb Hermann Schiffs Unterfangen, so erfolglos es war, nicht verächtlich zur Seite zu schieben. Es war ein Versuch mit untauglichen Mitteln, zu unrichtiger Zeit, an einem unrichtigen Objekte. Aber die Balzacverfälschungen Schiffs waren getragen und beeinflußt von deutschem Idealismus, der, wie so oft vorher und nachher, die nächstliegenden Realitäten übersah, der völlig verkannte, daß einer mächtig einsetzenden neuen literarischen Richtung durch die kleinlichen Mittel des Betruges nicht beizukommen sei. Nur zu kurze Zeit konnte der deutsche Pseudobalzac dem echten die Wege verrammeln. Dieser vernichtete mit heißer Jugendkraft die vor ihm aufgetürmten Barrikaden und trat auch in Deutschland seine Siegeslaufbahn an.

      Übrigens: Schiff scheint nicht der einzige gewesen zu sein, der Balzacs Namen widerrechtlich usurpiere. In Brüssel ward Ähnliches unternommen, wovon die »Grenzboten« (1843, II. Band, Seite 1499) zu erzählen wissen. Im »Tagebuch« (Rubrik: Aus Berlin. II) heißt es: »Eine hübsche literarische Anekdote ist folgende, um so hübscher, als sie nicht erfunden, sondern wirkliches Faktum ist. – Der letzthin in Berlin anwesende Balzac machte Tieck einen Besuch. Letzterer sprach mit ihm von seinen Schriften und lobte als ganz vorzüglich › Le vicaire des Ardennes‹ und › Annette et le Criminel‹. ›Sie haben wahrscheinlich meine Schriften im Brüsseler Nachdruck gelesen?‹ fragte Balzac. ›Ich glaube, ja!‹ antwortete Tieck. ›Es muß wohl sein,‹ erwiderte jener, ›denn die beiden Romane sind gar nicht von mir, und die Brüsseler Nachdrucker [*Die Schamlosigkeit des Brüsseler Nachdruckes ging ins Ungeheuerliche. 1829 wiesen die Pariser Buchhändler in einer Bittschrift darauf hin, daß ein Brüsseler Nachdrucker von 1825 bis 1827 allein 318615 Bände im Werte von 1183515 Franken nachgedruckt habe (»Morgenblatt« 1829, Nr. 234)] haben bloß auf meinen Namen spekuliert und sie unter demselben herausgegeben, um Absatz zu finden [* Beide Werke gehen noch immer – vgl. die »Édition du Centenaire«, bei Calman Lévy – unter Balzacs Namen und sollen aus den Jahren 1822 und 1824 stammen] . Ich habe die Sache für unbedeutend gefunden, um dagegen zu reklamieren. Jetzt, da ein berühmter deutscher Autor sie als meine besten Werke erklärt, werde ich wohl öffentlich protestieren müssen.«

      Balzac hat den angekündigten Protest niemals erhoben, wie er auch gegen Schiffs Verfälschungen niemals etwas unternahm. Ob er sie jemals zu Gesichte bekam, ob sie ihm mißfielen, ist nicht bekannt geworden. Sie waren ein literarisches Kuriosum, das, anders erdacht als es wirkte, jedenfalls den historischen Vorzug hat, Balzacs Dichtung, wenn auch in gründlich veränderter Form, in Deutschland zum ersten Male zur Geltung gebracht zu haben.

      Hermann Schiff

      Zu Eckermann äußerte sich Goethe einmal: »Der persönliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publikum hervor, nicht die Künste seines Talentes. Napoleon sagte von Corneille: ›S'il vivait, je le ferais Prince‹ – und er las ihn nicht. Den Racine las er; aber von diesem sagte er es nicht. Deshalb steht auch der Lafontaine bei den Franzosen in so hoher Achtung, nicht seines poetischen Verdienstes wegen, sondern wegen der Großheit seines Charakters, der aus seinen Schriften hervorgeht.« – Damit hat Goethe allen Literaten, deren Charaktere anfechtbare Züge aufweisen, das Todesurteil gesprochen. In dieser Allgemeinheit trifft indes die Behauptung nicht zu, und Goethe selbst hat ja dem unglücklichen Johann Christian Günther, dem sein Leben wie sein Dichten zerrann, nachdem er schon als Leipziger Student Günthers dichterischen Spuren gefolgt war, ein Erinnerungszeichen gewidmet, das den Unglücklichen, in seinem Leben sicher nicht ganz Einwandfreien keineswegs in Grund und Boden verdammt. Aber mit kleinen Einschränkungen trifft Goethes Anschauung zweifellos das Richtige; der persönliche Charakter der Schriftsteller entscheidet sehr oft die Bewertung nicht nur bei der Kritik, sondern auch bei der Menge. Heine und Grabbe leiden unter dieser moralisierenden Einschätzung beträchtlich, und ihr völliges Durchdringen ist in Deutschland noch immer durch die Tatsache erschwert, daß ihr Lebenswandel nicht allgemein gültigen Sittlichkeitsbegriffen entspricht. Die Einbeziehung des moralischen Wertes eines Schriftstellers bei seiner ästhetischen Beurteilung ist unschwer verständlich; da die große Menge ein Buch nicht nur als Bildungs-, sondern auch als Erziehungsmittel betrachtet, erwählt sie zur Lektüre immer lieber das eines gefesteten, einwandfreien als das eines anrüchigen oder auch nur verdächtigen Charakters. Daß dabei nur allzuoft blasphemisches Spießbürgertum das maßgebendste Urteil spricht, mag bedauerlich sein; verkennen und übersehen läßt sich diese Wahrheit nicht.

      Sie ist die stichhaltigste Erklärung für die völlige Ignorierung des Balzacumdichters Hermann Schiff, der vielleicht von den tragischesten Verhängnissen heimgesuchten dichterischen Persönlichkeit Deutschlands. Soviel Elend hat das Schicksal selten über einen deutschen Dichter gebracht, von denen ja auch sonst viele nicht gerade Schoßkinder des Glückes waren und sind. Aber im Erdulden des fast kettenartig geschlossen über ihn hereinbrechenden Ungemachs übertrifft Schiff sie alle, wie bös den andern auch Mühsal und Jammer mitgespielt haben mögen. Im Leben wie nach dem Tode blieb ihm nichts erspart von all dem Leid, das Menschen treffen kann. Gewiß schloß sich auch für andere Dichter die Pandorabüchse nicht früher, als bis sie alles über sie geschüttet hatte, was jenen an Not und Qual zugedacht war. Jedoch die meisten führten wenigstens ein glücklicheres Leben nach dem Tode,

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