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und »Liebeszauber« von Tieck, »Melusine« von Goethe [* »Die neue Melusine« erschien im »Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1817.« ] Eine »Runenburg« wird man unter Tiecks Werken vergeblich suchen; Schiff meint den 1802 entstandenen »Runenberg.« (In unserem Abdruck war kein Anlaß, diesen Flüchtigkeitsfehler Schiffs, der für seine saloppe Art charakteristisch ist, zu tilgen. Tiecks »Runenberg« erschien im 3. Jahrgang des in Köln bei Haas & Sohn verlegten »Taschenbuches für Kunst und Laune«, später im »Phantasus«, Band I, Seite 239–272 und in den »Gesammelten Schriften«, Band IV, Seite 214 ff.)

      Diese rein romantischen, phantastischen Kunstwerke sollen nach Schiffs Wunsch den in Mode gekommenen Realismus verdrängen. Das ist für ihn eine Herzenssache, für die er in seinem »Elendsfell« warm eintritt. Er gibt vor, daß Raphael diese romantischen Märchen in Übersetzungen den Franzosen zugänglich mache, wobei ihn auch die Absicht leitet, die »Contes phantastiques« Hoffmanns, die inLoeve-Weimars Übersetzung ein großes Publikum fanden, (vgl. darüber den Bericht in der »Wiener Zeitschrift« vom Mai 1830, Nr. 58) aus dem Felde zu schlagen [* Vielleicht schwebte Schiff dabei Gerard de Nerval vor, der als Jüngling den »Faust« übersetzte und in seinen eigenen Werken den Einfluß Goethes, Uhlands, Bürgers und Tiecks wiederspiegelt.] Natürlich dachte Schiff weniger daran, den Franzosen den Geschmack an diesen Märchen beizubringen, als die deutschen Leser eindringlich darauf aufmerksam zu machen. Und so schwelgt er in geradezu dithyrambischen Verherrlichungen dieser wundersamen, blütenzarten Märchengebilde. Aber das nüchterne Publikum, dem Raphael sie vorliest, findet keinen Gefallen daran: die kleine Pauline und die große Feodora. zwischen denen ihn sein Liebesgefühl hinund hertreibt, lehnen – jede aus anderen Motiven – diese Märchennaivität ab. Ein materieller Erfolg ist für den schwer enttäuschten Vermittler deutscher Poesie in dem realistischen Zeitalter ebensowenig zu erreichen wie ein ideeller, er muß, wie es Mode war, Memoiren fabrizieren, die für echt gelten und um hohe Summen von den Verlegern gekauft werden. (Damals wurde gerade – woran wohl auch Balzac denkt – mit unterschobenen Memoiren viel Unfug getrieben: der Betrug mit den «Denkwürdigkeiten einer Frau vom Stande« und den »Memoirs d'un Pair de France et ex-Senateur« wurde eben aufgehellt.)

      Erst als Raphael reich geworden ist, kann er wieder daran denken, seinen dichterischen Neigungen zu folgen. Goethes »Faust«fragment ist es diesmal, das er seinen Landsleuten in einer Übersetzung zugänglich macht. Aber auch jetzt bleibt ihm der Erfolg versagt: sogar seine Frau Pauline – die übrigens bei Schiff ihr verlorenes Vermögen nicht zurückgewonnen hat, sondern arm geblieben ist, wodurch sich eine recht deutsch-sentimentale Vereinigung eines reichen Mannes mit einem armen Mädchen ergibt – lehnt die Dichtung kühl ab [* Bei Balzac interessiert sich Raphael für russische Proklamationen und den Zaren Nikolaus, ein zweifellos realistischerer Zug als die Beschäftigung mit einer Dichtung. – Daß Schiff die uneheliche Verbindung Raphaels und Paulinens in eine eheliche verwandelt, zeigt, wie entscheidend er den Realismus Balzacs abschwächte.] Sie verweist ihn darauf, daß für ihn aus der Vertiefung in Dichtungen nie das Heil kommen könne, das ihm vielmehr nur aus der unbegrenzten Hingabe an das Christentum erblühen werde. Mit diesem begeisterten Preis der Lehre Christi schließt Schiffs Dichtung im Grunde genommen ab. Es ist ein wundersam versonnener Ausblick, den der jüdische Schriftsteller Schiff als echter Bekenner der romantischen religiösen Anschauungen eröffnet. Tiefstinnerliche Gläubigkeit spricht aus dieser Apostrophe, die zu zeigen bestimmt ist, daß alle Dichtung – vor allem ist selbstredend die realistische Balzacs gemeint – vor dem großen Werke Christi verblassen müsse. »Das Christentum ist im höchsten Sinne des Wortes die Poesie der Poesien, die Religion der Religionen, denn Religion und Poesie sind Glaube«. –

      Mit diesem Bekenntnisse, das einem echten Gefühle Schiffs entsprang, – er hat es oft genug in anderen Dichtungen wiederholt – ist natürlich Balzacs Tendenz in das gerade Gegenteil verkehrt. Dieser läßt seinen Helden verzweifelt sterben, der deutsche Umdichter aber weist ihm den Weg zur Befreiung und Läuterung. Heine mag schuld daran sein, daß Schiff es sich mit diesem durchaus reinen und erhebenden Schlusse nicht genug sein ließ, sondern noch den zweiten anfügte, worin er sehr bizarr den Helden wieder zum Leben erweckte. Damit wollte er nur seine parodistischen Absichten verdeutlichen, die in vielen Einzelheiten der Novelle unverkennbar sind. So interessiert sich bei Balzac eine Episodenfigur für Bücher über Wasserbau; bei Schiff schwärmt sie für Hydraulik, aber nur insofern, als sie bei jeder Gelegenheit Tränen vergießt.

      Wie Schiff Balzacs Tendenzen in der schroffsten Weise abändert, so verfährt er auch mit den Charakteren und der dichterischen Form seiner Vorlage. Bei ihm ist Raphael kein melancholischer Träumer, der das Liebesweh, das ihm Feodora bereitet, geduldig hinnimmt, sondern er ist ein brutal polternder Rächer seines gekränkten Mannesstolzes. In einer großen Gesellschaft zieht er die verräterische Geliebte zur Rechenschaft, indem er eine Analogiegeschichte vorträgt, aus der jedermann erkennen soll, daß sie einen Parallelismuszu seinem eigenen Lebensmißgeschicke enthalte. Schiff verkapselt in den Rahmen des »Elendsfell« Balzacs Novelle »Sarrasine«, der er den Titel »Zambinella« gibt – die Geschichte von dem unglücklichen Kastraten, in den sich ein junger Maler (bei Balzac ein Bildhauer) verliebt, den deshalb ein Gönner des Sängers, der Kardinal Cicognara, den Schiff Cicogna nennt, ermorden läßt. Nur recht gewaltsam läßt sich ein Zusammenhang zwischen den beiden Liebesabenteuern herausfinden, und Schiff mußte, um verstanden zu werden, eine lange Erklärung anführen, die indessen seinen Gedankengang nicht gerade klarer erscheinen läßt. –

      Verbreiterte er «Das Elendsfell« durch diese Einschaltung beträchtlich, so war er andererseits geneigt, die schwersten Verkürzungen an Balzacs Darstellungen vorzunehmen. Dabei verfuhr Schiff rücksichtslos; er übersah die Feinheiten der psychologischen Ausmalung, die so sehr subtilster Strichelkunst gleichen, kümmerte sich nicht um die bis ins Kleinste vorschreitende Beobachtung der zartesten Einzelheiten und verstand es namentlich nicht, – was Balzac so meisterhaft konnte – aus Kleinigkeiten, die der Franzose seinen Frauengestalten absah, eine Welt von Wundern aufzubauen, aus denen diese zusammengesetzt sind. Schiff stand bei der Porträtierung von Frauen noch immer auf der Stufe, wie etwa die Scudery, die Schönheiten auf Schönheiten häufte, wenn sie ein weibliches Wesen beschrieb. Diese Methode kannte Balzac nicht, dem selbst kleine Monstrositäten, wenn sie nur pikant und apart wirkten. nicht ungeeignet erschienen, eine Frau im ganzen als schön erscheinen zu lassen. Solche extravagante Details verbannte Schiff regelmäßig: Frauen mußten bei ihm einem vulgären Romanschönheitsbegriffe entsprechen, um sein dichterisches Gefallen zu finden. Dies ist wieder nicht realistisch, sondern romantisch und bedeutet eine arge Verkennung der ihreWege gehendenSchilderungskunst Balzacs. –

      In den »Lebensbildern« macht sich allenthalben diese schrankenlose Willkür geltend. Sie soll nicht an allen Erzählungen aufgezeigt werden – die den »Anhang« des Bandes bildende »Das Abenteuer« ist übrigens gar nicht Balzac nachgebildet – ein Beispiel wird Schiffs Verfahren genügend veranschaulichen. »Die Blutrache« (»La Vendetta«) sei zu diesem Zwecke herangezogen. Das Thema war Schiff außer durch Balzac von anderer Seite nahe gebracht. Er wird kaum des älteren Stefanie fünfaktiges Drama »Die Liebe in Korsika oder welch ein Ausgang« (Wien 1770) gekannt haben, sicherlich aber Chamissos Gedicht »Maleo Falcone« und das im »Morgenblatt« (1830. Nr. 61 – 64) veröffentlichte »korsische Sittengemälde« »Mateo Falcone«, möglicherweise Prosper Mérimées Novelle »Mateo Falcone« und dessen »Colomba«, die ein ähnliches Motiv wie Balzacs »Vendetta« enthält. Mit seiner Vorlage verfuhr Schiff in freiester Weise. Er machte aus dem brutalen, atemlos dem tragischen Ende zustrebenden Charakterdrama Balzacs eine rührselige deutsche Famllienkomödie, in der er alles nicht durchaus Stoffliche sorglos beiseite schob. Es mag hingehen, daß er von Luigi Portas Jugendtagen im Hause Colonnas nichts mitteilt. Aber charakteristisch ist es schon, daß Ginevra in der Nachdichtung nicht erst im Hause der Frau Servin Zuflucht sucht und dort eine arge Demütigung erfährt. Dieses Detail, dem Balzac sicherlich Bedeutung beimaß, erschien Schiff wohl als unnötige Kränkung des Mädchens. Dafür läßt er über dieses von dem Vater einen gräßlichen Fluch sprechen, während dieser bei Balzac nicht die Kraft zu einem Fluche aufbringt. Dieses Motiv war ältestes Gut der larmoyantesten Familienromanschreiber, erschien also Schiff für seine daran gewohnten deutschen Leser als kein unwirksames Rührmittel. Die Hochzeitsfeierlichkeit, die im Original wiederholt zu den peinlichsten

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