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das harte Aufreiben im Kampfe um Erwerb fehlt bei ihm vollständig. Gerade diese Szenen gehören aber zu den packendsten Eingebungen des französischen Dichters, der mit unerbittlicher Realistik jede Phase des ertötenden Ringens um des Lebens Unterhalt – sicherlich aus eigener Erfahrung – schildert. Wenn Schiff alle diese wesentlichen Einzelheiten fortläßt, versündigt er sich aufs schwerste an dem festgefügten Bau der Novelle Balzacs. Aber in dieser Form war sie ihm zu unheimlich wahr: daß man infolge des Mangels an dem Nötigsten zugrunde gehen könne, wollte er den an verlogene deutsche Romane, in denen Geldnot immer durch einen deus ex machina beseitigt wird, gewöhnten Lesern nicht erzählen. So bleibt also von der erschütternden sozialen Tragödie, in der zwei arbeitsfreudige Menschen, die nicht wie Gerstenbergs Ugolino in einen Hungerturm gesperrt sind, Hungers sterben, nichts übrig als eine in larmoyanter Empfindelei aufgehende Familiengeschichte. Ginevra und Luigi verspüren bei Schiff nicht des Lebens Grausamkeit: sie stirbt im Wochenbette. Daß Luigi, gerade als die Not am höchsten ist, zu Gelde kommt und jetzt seine Frau vor dem Hungertode erretten könnte – eine unheimlich tragische Szene voll unwiderstehlicher Kraft – kann Schiff natürlich nicht erzählen, wie er auch Luigi nicht vor Ginevras Eltern zusammenbrechen, sondern weiterleben läßt. In einer Hinsicht geht er weiter als Balzac; bei diesem wünscht Ginevra kurz vor ihrem Hinscheiden, daß ihr Gatte ihr Haar den Eltern überbringen möge. Bei Schiff wird dieser Wunsch der Sterbenden wirklich erfüllt, eine Szene, die der Verfasser sentimental ausspinnt.

      Diese Gegenüberstellung von Balzacs Novellen mit den Überarbeitungen durch Schiff lehrt deutlich, daß man es bei diesem nur mit sehr schwachen Anlehnungen an die Originale zu tun habe. Aber es wäre verfehlt, Goedekes Behauptung zu wiederholen, daß Schiff diese Novellen unterschoben habe, um ihnen durch widerrechtliche Benützung von Balzacs Namen in Deutschland leichter Eingang zu verschaffen. Einmal war dieser – wie gezeigt wurde – in Deutschland nicht so bekannt, als daß sich daraus ein sicherer Erfolg ergeben hätte. Dann aber mußte Schiff, seiner ganzen Veranlagung zufolge, so verfahren, wie er es tat. Ihn leitete nur eine Absicht. Mit seinen schwachen Kräften wollte er dem Einbruche der aufkeimenden literarisch-realistischen Flut steuern. Rückkehr zur Romantik! tönt es unaufhörlich aus seinen Dichtungen. Der Romantik, die in Deutschland im sichtlichen Absterben begriffen war, mußte die neue Dichtung, die sich in Frankreich Boden bereitet hatte und von der mit Recht zu befürchten war, daß ihr dasselbe in Deutschland gelingen werde, den Todesstoß versetzen. Aufzuhalten war das Unheil vielleicht durch den frommen Betrug, den sich Schiff gestattete. Auf alles Ausländische horchte man ja in den Dreißigerjahren voll gespanntester Aufmerksamkeit. Und wenn ein französischer Dichter predigte, daß in den Werken der deutschen Romantiker alle künstlerische Freihelt und Schönheit vergraben liege, nach denen man in deutschen Landen dürstete, dann stand zu hoffen, daß die entblätterte Romantik doch wieder neue Blüten und Früchte treiben würde. Noch lebte ja ihr vollwertigstes dichterisches Talent, Schiffs heiß verehrter Meister Ludwig, und auch sein ergebenster Jünger – eben Schiff – stand bereit, im echt romantischen Sinne seine Stimme zu erheben. Es war eine Spekulation, die Schiff mit Balzacs Werken – weniger mit seinem Namen – trieb; aber sie entsprang durchaus ideellen Motiven, der entthronten Romantik wieder den Platz an der Sonne zu sichern. –

      Die Spekulation mißlang völlig. Man schritt achtlos an den poetischen Forderungen des einsamen Schwärmers vorbei und ergötzte sich nur an dem rein Stofflichen, das man bei Balzac entdeckt hatte. Aus keiner Besprechung ersieht man, daß Schiffs klar ausgesprochene Gedanken erfaßt worden wären. Die »Jenaische Literaturzeitung« (1832, Nr. 235) z. B. schob die eingestreuten Reflexionen im »Elendsfell« verächtlich beiseite und berauschte sich nur an dem nackten Handlungsgerüste. – »Stets am Stoff klebt unsere Seele« – die verbitterte Klage des einsamen Lyrikers Platen könnte beinahe auch auf die allmählich einsetzende Wertung Balzacs in Deutschland Anwendung finden. Was Schiff aus und mit ihm gemacht hatte, ging fast spurlos vorüber. Zum Bekämpfer seiner eigenen Anschauungen eignete sich Balzac wohl am allerwenigsten.

      Wenn er im »Chagrinleder« einen Hoffmann abgelauschten Zug anbrachte, so war er dennoch gewiß kein Nachfolger deutscher romantischen Tradition, von der ihn in seinem Dichten so gut wie alles trennte. Deshalb war Schiffs gut gemeinter Betrug durchaus fehl am Orte. Was er bekämpfen wollte, dem öffnete er unfreiwillig Tür und Tor. Sein Eintreten für die Romantik war kaum ein Eintagserfolg; man kümmerte sich weiter nicht darum, hielt sich bloß an die effektvollen Begebenheiten, die der Franzose schilderte, und begehrte stets mehr davon.

      Balzacs Sieg wurde in Deutschland nach Schiffs Verfälschungen vollständig. Die große Übersetzungsflut brach nach des begeisterten Romantikers Verkünstelungen herein und bewirkte, daß die guten Deutschen, ohne durch unangebrachte literarische Forderungen und Theorien, wie sie Schiff hinemverflochten hatte, behelligt zu werden, ihren Balzac, wie er war, verdeutscht erhielten. Nun rückten sie alle an, die gewerbsmäßigen Übersetzer, die froh genug waren, wenn sie einen französischen Autor in ein schlechtes deutsches Gewand stecken konnten, die oft nur recht mühsam eine wirkliche Übertragung zustande brachten, selten bis zu den tieferen Gedankengängen des Ausländers vordrangen und gewiß diesen niemals umzuarbeiten versuchten. Von solchen Ideologien, wie sie nur ein romantischer Phantast vom Schlage Schiffs wagen konnte, hielten sich die phantasielosen (und oft ach! so geistlosen) Übersetzer alle fern. Sie waren trockene Pedanten, die am Worte klebten, wie Theodor Hell, der schon 1833 den »Grafen Chabert« in ein mühseliges Deutsch übertrug, wofür ihm Laube in der »Zeitung für die elegante Welt« (1833, Nr. 148) in der ungestümen Weise seiner draufgängerischen Jugend mit Recht den Text las [*1836 übertrug Hell »Seraphita«; dasselbe Werk in demselben Jahre ein F. von R. (Stuttgart)] : der Vielschreiber O.L. B. Wolff und die Vlelschreiberin Fanny Tarnow durften nicht zurückstehen und ließen «Neue Erzählungen« (Leipzig 1833) und »Eugenie« (»Ein Genrebild« schrieb sie geschmackvoll darunter; Leipzig 1835) erscheinen. »Vater Goriot« wurde von einem Friedrich von R. »ein Familiengemälde aus der höheren (!) Pariser Welt« genannt (Stuttgart 1835), dem «Israeliten« pfropfte ein Or...n (Leipzig 1840) ein gedankenloses Nachwort auf, »Le Médicin de campagne« erschien (Berlin 1837) in einer durch Karl von Lützowbewerkstelligten Form, in der man das Original kaum wiedererkennen kann« [* Nicht besser ist eine Übersetzung von Alexander Gonzaga (?), 1836, Seite 283 ff. in der Prager Zeitschrift »Erinnerungen«.] »Balzacs erzählende Schriften, teutsch bearbeitet von Friedrich Seybold (Stuttgart und Leipzig 1836) sind unkünstlerische, mechanische, von Gallizismen strotzende, jedem feineren deutschen Sprachgefühle hohnlachende wörtliche Wiedergaben, denen nur das eine nachzurühmen ist, daß sie darauf verzichten, Balzac willkürlich umzuarbeiten. Dieses Urteil trifft auch die bei Gottfried Basse (Quedlinburg und Leipzig 1845) erschienene Ausgabe von »Honoré de Balzacs sämtlichen Werken«, die nur eine bescheidene Auslese alles dessen, was wir von Balzac besitzen, enthält.

      Außer diesen Buchübertragungen (von anderen, wie »Die alte Jungfer«von L. Frey, Breslau 1838, »Beatrix«, anonym. Wesel 1840, »Der Gewürzkrämer« und «Die Musterdame«, beide anonym, Stuttgart 1839, unter dem Gesamttitel »Die Franzosen der neuesten Zeit«, spricht man am besten gar nicht), gibt es viele in Zeitungen erschienene, die meistens nur arge Versündigungen am Werke Balzacs bedeuten. In der Zeit der ungeschützten Übersetzerbefugnis machte sich eben jeder halbwegs des Französischen Mächtige daran, den wundervollen Stilkünstler Balzac barbarisch, ohne jedes tiefere Eingehen auf seine nuancierten Eigenheiten dem deutschen Publikum vorzuführen. So entstanden Übersetzungen, wie die in den von schamlosestem Nachdrucke und widerrechtlichen Ubersetzungen lebenden »Lesefrüchten«, die Dr. Pappe in Hamburg durch mehr als 30 Jahre herausgab. Hier findet man »Ein grausames Geschick« (1841, III. Band, Seite 241 ff.), den famosen »Gobseck« (von Schiff ausgezeichnet mit »Trockenschling« in dem Lebensbild »Der Geizhals« übersetzt), der den urbanalen Titel »Die Gefahren einer schlechten Aufführung«, womit die triviale Mache dieser Übersetzung genügsam charakterisiert ist, bekommt (1841, III. Band, Seite 241 ff.) und »Zwei Träume« (1843, IV. Band, Seite 209 ff.). All diese jämmerlichen Übertragungen Balzacs konnten den Deutschen, die den großen Romandichter nicht in seiner Sprache lasen, nur schwache Begriffe seiner machtvollen Kunst eröffnen. Aber sie waren, so unerträglich sie samt und sonders heute anmuten, noch immer erträglicher als die kritischen Beurteilungen, denen Balzac in Deutschland ausgesetzt war. Was die »Blätter für literarische Unterhaltung« zweimal sagten (1835, Seite 27 ff. und

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