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Balzacs nach »Lebensbildern« forschen; weder ein Jugendwerk, noch eines aus der Reifezeit, noch eines der für die »Comédie humaine« geplanten, aber unausgeführt gebliebenen führt diesen oder einen ähnlichen Titel. Er rührt vielmehr von dem angeblichen Übersetzer her, der vielleicht eine ganz kurz vorher erschienene Novellensammlung von G.Reinbeck (Essen bei Baedeker) vor Augen hatte, die «Lebensbilder« hieß. Aber die gemeinsame Etikette, die Dr. Schiff den sieben Novellen, die er als »Lebensbilder« vereinigte, aufklebte, hat ihre besondere Bedeutung, weil sie erkennen läßt, daß sich der Herausgeber dessen bewußt war, wie sehr Balzac nach dem Leben male, das unverfälscht und unverhüllt darzustellen, er sich vorgesetzt hatte. Eine tiefere Vertrautheit mit den Absichten des französischen Dichters muß also bei Schiff vorausgesetzt werden, der wohl der erste in Deutschland war, der sich intensiv mit allem, was bis dahin von Balzac bekannt war, beschäftigte.

      Wenn er nicht auch der einzige war! Nur so ist es nämllch zu erklären, daß er den Mut aufbrachte, unter Balzacs Namen Novellen herauszugeben, die in dieser Form niemals von Balzac waren. Denn nicht nur der Gesamttitel des zweiteiligen Novellenbandes rührt von Schiff her, sondern auch ein wesentlicher Teil des Inhaltes. Er operierte nur mit Balzacs Namen und den Äußerlichkeiten seiner Dichtung. Er hat sie nicht übersetzt, wie er auf dem Titelblatte vorgab, sondern neugestaltet und ihres Wesens Kern gründlich abgeändert. Der einzige, aber sehr flüchtige Biograph Schiffs. Karl Goedeke (in der 1. Auflage seines »Grundrisses« III. Band, Seite 747), war sogar geneigt, diese Novellen als freie Erfindungen und Balzac unterschoben hinzustellen. Diese Behauptung geht etwas zu weit. Richtig ist nur, daß Schiff Balzac nicht übersetzt, sondern frei bearbeitet hat. Das Wesentliche dieser «Lebensbilder« rührt von dem Deutschen her, die Folie von dem Franzosen. Damit ist freilich dessen Werk gewaltsam geändert, wenn nicht zerstört. Denn Balzacs kühne Schilderungen auch nur abzuschwächen, heißt, diesen Dichter des Besten, was er besitzt, berauben. Aber Schiff gestattete sich noch viel mehr, indem er nicht nur manches abschwächte, sondern fast alles willkürlich umgestaltete, kürzte und erweiterte, Situationen änderte, steigerte und milderte, Charaktere umwandelte und die meisten krasseren Effekte tilgte. So ist er gewiß nicht Balzacs Übersetzer, sondern Neugestalter seiner Themen gewesen. Es wird noch näher gezeigt werden, wie weit Schiff darin ging. Vorläufig soll nur gesagt werden, daß er der ganzen literarischen Kritik Deutschlands mit seinem Unternehmen einreden konnte, er habe Balzac unverändert übersetzt. Die »Jenaische Literaturzeitung« (1832, Nr. 72, Seite 93) lobte überschwenglich, die »Hallesche Literaturzeitung« (1831, III. Band, Seite 384) pries Balzac als eine der bemerkenswertesten Erscheinungen in der neuere»französischen Literatur. »Wahrheit, Erfindungskraft und Freiheit sind die Vorzüge seines schönen Darstellertalentes, welches sich unter den vielen gleichartigen Erscheinungen seines Vaterlandes zwar nicht originell, doch vorteilhaft auszeichnet.« Es war gewissenhaft von dem Rezensenten, daß er eine Beurteilung der Übersetzung (die sich »leicht liest«) unterließ, weil er das Original nicht zur Hand hatte. So gewissenhaft waren die »Blätter für literarische Unterhaltung« (1830, Nr. 357, Seite 1428) nicht. Balzac habe lebensvolle Gemälde geliefert, die ein bedeutendes Darstellungstalent verraten. »Wir sind selten in der neueren französischen Romanliteratur so gediegenen, stoffhaltigen und von aller larmoyanten Sentimentalität entfernten Darstellungen begegnet.« Nur mit der Einleitung, die Balzac und der »Übersetzer« dem Werke voranschickten, waren die «Blätter« nicht einverstanden. Sie nennen die Vorrede nüchtern und einfältig und wenden sich gegen die »moralischen« Absichten des Dichters ebenso wie gegen die Behauptung des Übersetzers, daß die »Lebensbilder« keinen poetischen, sondern einen praktischen Zweck hätten.

      Des Franzosen Erfolg war nach diesen maßgebendsten Anerkennungen in der damaligen deutschen Publizistik vollkommen: niemand hatte erkannt, daß nicht der unverfälschte Balzac zu Worte gekommen war, sondern ein armer deutscher Dichter, der keinen anderen Weg sah, um zum Publikum zu sprechen, als indem er sich maskierte und Leser und Kritik düpierte. Da es ihm gelungen war, ohne daß jemand seine Täuschung durchschaut hätte, – was die damalige deutsche Kritik immerhin scharf charakterisiert! – konnte er ein Jahr später noch kühner seine literarische Fälscherkunst fortsetzen. Unter demselben Haupttitel »Lebensbilder« gab er zunächst in Gubitz'»Gesellschafter« (1831, Nr. 192 – 201) den ersten Teil von »La Peau de chagrin«. »Das Elendsfell« hat Schiff sehr glücklich die Originalbezeichnung umschrieben. Er zerfällt die französische Novelle in drei scheinbar unzusammenhängende Novellen, von denen die erste (»Das Elendsfell«) 1831 in der Berliner Zeitschrift erschien, während die beiden anderen erst 1832 im «Gesellschafter« (Nr. 1 – 18 und 28 – 35) und dann, mit der ersten vereint, in demselben Jahre auch in Buchform an die Öffentlichkeit traten. (»Das Elendsfell. Drei Novellen nach Balzac. Berlin 1832.«) Im »Gesellschafter« konnte Schiff seiner Novelle folgende Bemerkungen voranschicken: »Die Übersetzung der ›Lebensbilder‹ von Balzac wurde in Deutschland allgemein gut aufgenommen. Die Rezensionen darüber fielen sehr günstig aus. Die ›Blätter für literarische Unterhaltung‹ nahmen keinen Anstand, Balzac den ersten Meistern der Novelle gleichzustellen: sie rühmten seine schöne, poetisch-leidenschaftliche Sprache und sinnreiche Charakteristik. – Die ›Jenaer Literaturzeitung‹ glaubte, ihn auf ganz andere Weise den Damen zur Lektüre empfehlen zu dürfen – kurz, jedermann wunderte sich über diesen französischen Romantiker, und der Übersetzer, indem er ein neues Lebensbild Balzacs unter dem alten Titel (la peau dee chagrin) hingibt, hofft,dieselbe Zufriedenheit des Lesers zu erwerben mit seiner Arbeit .....«

      Über »diesen französischen Romantiker«, wie ihn Schiff vorführt, kann man sich in der Tat verwundern, und zwar über das »Elendsfell« noch weit mehr als über die »Lebensbilder«. Denn während er in dem letztgenannten Werke noch einigermaßen zaghaft mit seiner Vorlage umgegangen war, ließ er in dem erstgenannten nicht einmal das Gerippe unangetastet, sondern verkehrte Balzacs Ansichten in ein völlig entgegengesetztes Extrem. Es ist erst später (1835) bekannt geworden, welche Pläne Schiff eigentlich bei seinem Tun leiteten. Er hat nicht, wie Goedeke behauptet, selbst bekannt [* Goedeke zitiert nicht, wo Schiff dieses Selbstbekenntnis abgelegt haben soll. Es findet sich auch nirgends ein diesbezüglicher Hinweis] , daß er sich gestattet habe, ganz Deutschland zu düpieren, sondern WillibaldAlexis war es, der in seinem »Freimüthigen« (1835, Nr. 220 – 222) die überraschende Mitteilung machte, daß es Schiffs Vorsatz gewesen sei, Balzac zu parodieren. Dieser Aufsatz wird noch in der Biographie Schiffs, die, um den Zusammenhang dieser Erörterung nicht zu stören, gesondert mitgeteilt wird, seinen Platz finden müssen. Er ist nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen seines Verfassers von der größten Bedeutung. Denn da gerade Alexis von Schiffs tieferen Absichten, die Balzacumdichtung betreffend, Mitteilung machte, liegt die Annahme sehr nahe, daß zwischen den beiden Freunden diese Düpierung verabredet wurde. Alexis konnte den jungen Literaten ja aus eigener Erfahrung darauf verweisen, wieviel Glück man mit eigenen Arbeiten machen könne, wenn man sie in Deutschland unter dem Aushängeschild berühmter ausländischen Autoren erscheinen lasse.

      Literarische Unterschiebungen sind bei allen Völkern anzutreffen. Entweder man annektierte einen berühmten Namen eines Dichters und gab ein in seinem Geiste geschaffenes Werk heraus, oder man ging noch um den bedeutsamen Schritt weiter, unter dem Namen irgendeines vielgelesenen Schriftstellers eine Parodie seiner Schriften erscheinen zu lassen, oder man bediente sich einer Zelebrität nur als des Deckmantels, um irgendein beliebiges Buch, das mit der Eigenart des um seinen Namen betrogenen Schriftstellers gar nichts zu tun hat, leichter abzusetzen. So gibt es z. B. ein Buch von A. von Chammisso »Die Gauner oder Galerie der pfiffigsten Schliche und Kniffe berüchtigter Menschen« (Sondershausen 1836). Die Verdoppelung des m in Chammisso hat weiter nichts zu sagen; der Verfasser dieser Verbrechergalerie beabsichtigte lediglich eine Spekulation mit dem berühmten Namen des Dichters.

      Spekulative Interessen waren es ja immer, die zu solchen Irreführungen den Anlaß gaben. Wenn der junge Thomas Chatterton an Horace Walpole ein »Verzeichnis alter Maler«, das aus dem Jahre 1469 stammen sollte, und ein Gedicht auf Richard Löwenherz, vorgeblich von einem Abte John herrührend, einsandte (die diesbezügliche Korrespondenz in Rüttmans Chattertonausgabe), so hatte er bloß die Absicht, seinen eigenen Werken, unter der Fiktion, sie stammten aus vergangenen Iahrhunderten, den altertumsfreundlichen Walpole zugänglich zu machen. Die vortreffliche Beherrschung der alten sächsischen Sprache durch den halbreifen Knaben verbürgte das Gelingen dieser Täuschung, bis er, in einem

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