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Stimmung in die andere; eine reelle Absicht leitet ihn niemals und konnte ihn nicht leiten. Denn seine ganze Natur, die sich an den Schöpfungen der deutschen Romantiker vollgesogen und berauscht hatte, konnte für den extremen Realismus Balzacs nichts übrig haben. Der französische Dichter war ihm gerade recht als Sprungbrett, um sich von diesem abzuschnellen und dann seine eigenen tollen Kapriolen auszuführen. In Deutschland nahm man freilich – wie die mitgeteilten Referate zeigten – Schiffs »Übersetzungen« ernst und beurteilte nach ihnen einen der größten französischen Realisten ....

      Ja, ein Kritiker, Wolfgang Menzel, nahm das »Elendsfell« sogar zum Anlasse, um dem unschuldigen Balzac gehörig den Text zu lesen. (Literaturblatt zum Morgenblatt 1833, Nr. 19.) Er meinte, daß die vernünftigen, gescheiten und praktischen Franzosen auf dem Wege seien, recht fade und albern zu werden. Die Romantik habe den Franzosen den Kopf verwirrt, und es sei zum Lachen, wenn sie Hoffmann und den Satan in den Mund nähmen. – »Eine hagere Gestalt, ein blasses Gesicht, langstarrendes Haar, ein glühendes Auge, ein Spieltisch, perdu, ein versuchter Selbstmord, eine Engelsschönheit, eine Entführung, die Blasphemie – das sind die Farben, womit sie einen Teufel an die Wand malen. Das sind ihre Vorstudien der Hölle. Besäßen sie nicht im Stil ihre bewundernswerte Leichtigkeit und das Talent, aus jeder Kleinigkeit etwas Anziehendes zu bilden, sie würden mit ihrer ästhetischen Desperation, mit ihren Bizarrerien und ihren Nachtstücken eine klägliche Rolle spielen. Balzac will in jeder Beziehung der französische Hoffmann sein. Er ist unerschöpflich in Erfindungen, die auch er die Nachtseite des französischen Lebens nennt. Balzac schildert keine Menschen, sondern nur Schatten. Was die Tiefe ihres Charakters sein soll, sind Widersinnigkeiten, mit denen man sich nicht befreunden kann.« Nun erzählt Menzel den Inhalt des »Elendsfell« genau nach Schiff und schließt: »Raphael wäre jetzt tot, wenn Herr von Balzac jetzt nicht zu lachen anfinge, das ganze für einen Spuk erklärte und Raphael reich und zufrieden mit seiner Pauline leben ließe.« –

      Man darf sich noch hinterher freuen, daß Schiff sein Betrug so vorzüglich gelang und er den allwissenden lilerarischen Papst Deutschlands so betören konnte. Denn was Menzel an Balzacs Erzählung nicht gefallen wollte, hatte dieser gar nicht geschrieben. Es war vielmehr Schiffs bizarrer Einfall, der ganzen logischen Aufeinanderfolge der Ereignisse die Spitze abzubrechen, dem durch den grausigen Schluß zu tiefst ergriffenen Leser plötzlich jovial auf die Achsel zu klopfen und zu sagen, daß das Ganze nicht erlebt sei, sondern nur eine Novelle, die der Held des »Elendsfell« eben geschrieben habe. Solche romantische Ironien standen Schiff gut an; er, der letzte Bekenner der allmählich sanft ausklingenden romantischen Doktrin, hatte bei Tieck und Heine oft gesehen, wie schlichte Märchen durch einen jähen Stimmungsumschlag der Dichter um ihre tiefsten Wirkungen kamen, wie die Erschütterung dem befreienden Lachen wich. Der Schlußeffekt von Heines »Seegespenst« ist von ihm glücklich in novellistisches Gebiet übertragen worden. Balzac hat mit dieser überraschenden, von Menzel getadelten Schlußwendung nichts zu tun! –

      Wie Schiff Balzac umgestaltete oder sogar neu gestaltete, soll hier nur an zweien der mitgeteilten »Lebensbilder« gezeigt werden. (»Das Elendsfell« erschien zwar in der ersten Buchausgabe nicht unter dem gemeinsamen Titel »Lebensbilder«. Da aber Schiff bei der Veröffentlichung im »Gesellschafter« auch über diese Novelle »Lebensbilder von Balzac« schrieb, ist die Vereinigung aller Balzacunterschiebungen Schiffs unter der einen Bezeichnung in dieser Ausgabe wohl gerechtfertigt.) Am schwerstwiegenden sind die Überarbeitungen von »La Peau de chagrin«. Schon äußerlich schneidet Schiff aus Balzacs, zwar auch in drei Abteilungen mit einem Epilog gegliedertem, Werke drei fast selbständige Novellen, die nur durch den Helden Raphael verknüpft sind. Schiff setzt ganz ernsthaft ein: er folgt Balzacs Introduktionsszenen getreu: Der Spielverlust Raphaels, die Selbstmordabsicht, die Erwerbung des Chagrinleders bei dem Antiquitätenhändler, dessen Hinweis auf die mysteriöse Kraft, die in dem Felle stecke, die rasche Erfüllung der ersten Wünsche auf durchaus natürlichem Wege (Begegnung mit den Freunden, die Raphael zu einem opulenten Diner führen) – all das ist, zwar wesentlich verkürzt und der subtileren Kunst der Detailmalerei Balzacs beraubt, auch in Schiffs Buch übergegangen. Aber doch nur ganz äußerlich, denn Schiff stört die Illusion des Lesers, der voll frommen Märchenglaubens der Allmacht des Chagrinleders traut, indem er gleich anfangs sagt, daß sich alle Wünsche Raphaels erfüllen würden, ohne daß Wunder geschehen. So entkleidet er das gespenstische Märchen sofort seines Zaubers: er ist hier durchaus nicht Romantiker, sondern Realist, etwa wie der junge Tieck im Dienste Nikolais die «Straußfederngeschichten« am Schlusse immer auf den nüchternen Boden der Wirklichkeit stellte. In dieser Tonart fährt Schiff auch fort: er benützt die Bankettszene, die Balzac in breitester Umständlichkeit als raffinierte Orgie ausmalt, zum Vortrage seiner literarischen Gesinnungen, die der französischen Romantik durchaus abhold sind. Er beklagt die Entthronung Racines und des »geistvollen Popanzes« Voltaire, an deren Stelle de la Vigne, Lamartine und Chateaubriand getreten seien, die der Ruin von Frankreichs Ehre seien! Nur von der Bändigung des ungezügelten Journalismus erwartet er das Heil; der Geist müsse in Frankreich erwachen, damit dieses seine geschichtlichen Aufgaben erfülle.

      Diese zweite Hälfte der ersten Novelle des »Elendsfell« zeigt schon, daß Schiff anderes vorhatte, als ein Übersetzer Balzacs zu sein. Er verliert ihn denn auch immer mehr aus dem Auge, und in der zweiten Novelle »Die Herzlose« offenbart er bald, was er im Grunde mit der Bearbeitung bezweckte. Er hat wohl erkannt, daß Raphael im wesentlichen nur ein Abbild Balzacs sei, des in seiner Jugend ruhelos Gequälten, der sich im Kampf um den Erwerb aufrieb, der stets in literarische und finanzielle Spekulationen verstrickt war, die ihn an der Oberfläche halten sollten. Als dann der große Wurf gelungen war, konnte Balzac mit breitem Behagen von dem entnervenden Kampf um das Glück erzählen, wie er es im »Chagrinleder« tut; er macht es sehr deutlich, daß er Raphael sei, wenn er z. B. diesen, wie er es selbst getan hatte, sich mit einer Abhandlung über den Willen (Traité de la volonté) abplagen laßt. Schiff folgt Balzac; aber Raphael ist in seiner Novelle nicht ein Abbild Balzacs, sondern Schiffs. –

      Schon äußerlich weicht er völlig von der französischen Vorlage ab. Raphael erzählt im »Chagrinleder« seine Jugenderlebnisse, die ihn endlich bis zur Selbstmordabsicht trieben, bei der nächtlichen Orgie einem Freunde. Diese Erzählung ist so breit ausgesponnen, daß sie kaum während des Zeitraumes einer Nacht hätte vorgetragen werden können. Schiff verschmäht das Kunstmittel der Binnenerzahlung (später hat er es freilich bis zum Überdrusse häufig angewendet) und teilt Raphaels Geschick in Form eines Tagebuchs mit. Zu diesem Auskunftsmittel mußte er greifen, weil er in die Erzählung der Jugenderlebnisse des Helden eine von diesem (richtiger gesagt von Balzac) verfaßte Novelle verflocht. Die Form dieser zweiten Abteilung des »Elendsfell« ist also recht verkünstelt: der Inhalt freilich noch in höherem Maße. Raphael ist Verehrer der deutschen Romantik und Klassik; denn «auch die Klassizität war zu ihrer Zeit eine Romantik«. Er haßt Lord Byron, berauscht sich an Shakespeare und vergöttert Goethe. Darin ist er ein vollkommenes Abbild Schiffs, der in der Zeit der heftigsten Goethegegnerschaften treu an diesem hing und wiederholt nachdrücklich für ihn eintrat. Auch an Tieck erfreut sich der französische Enthusiast: »man träumt, schwärmt, phantasiert, lächelt, lacht und faselt bei ihm und stets mit Vernunft und Weise.«

      Ganz anders denkt er über die französischen Dichter, von denen er niemanden gelten läßt, nicht einmal – Balzac. Mit dessen Erwähnung zeigt Schiff schon, daß er den Franzosen nicht übersetzt hatte. Aber man verstand ihn nicht, zumal er in der Auseinandersetzung über Balzac dessen Namen nicht weiter nannte. Und aus dieser Erörterung über Balzacs Kunst ist auch zu erkennen, wie wenig sie Schiff behagte. Er wirft ihm das Fehlen von Weltanschauung. Dichtergeist, Phantasie und Seele vor und tadelt (wie schon in der Vorbemerkung zu den »Lebensbildern«) feine breitausgesponnenen Beschreibungen, die ja bisweilen wirklich zu sehr ausarten. Auch die »Unsittlichkeit« Balzacs ist ihm widerwärtig, dessen Heldinnen nur für das Hospital leben, und deren einziges Ziel es sei, im Golde zu wühlen. (Schiff war wohl der erste, der das verschwenderische Umgehen mit Geld als bezeichnend für Balzac erkannte.)

      Diese Charakteristik beweist, daß Schiff nie die ernste Absicht hatte, Balzac, wie er ihn vorfand, in Deutschland einzuführen. Denn man kann sich unmöglich zum Interpreten eines Dichters machen, an dessen Eigenart man alles Wesentliche auszusetzen findet. Aus dieserAbneigung gegen Balzacs Manier ist also Schiffs Bearbeitung zu erklären, die nichts unverrenkt

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