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war es ihm nicht verwehrt, am christlichen Religionsunterrichte teilzunehmen. Allerdings war die große Judenverfolgung, die er 1819 in Hamburg mitmachte, nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben: aber dieser war nicht stark genug, um Schiff seiner Religion näher zu führen oder ihn gar zum frommen Juden zu machen.

      Dieser Judensturm findet in Schiffs Altersdichtung, als er selbst Christ geworden war und dem Judentum skeptisch und kritisch gegenüberstand, oft Erwähnung, wie auch Heine seiner voll Erbitterung in einem Briefe an Sethe gedenkt. Sehr bedeutend waren diese Krawalle nicht gewesen; man hatte den Juden die Fenster eingeworfen und prügelte sie; ein behördliches Plakat, das mit dem scharfen Schießen der Garnison drohte, brachte die Bewegung nach zwei Tagen zum Abschlusse. Den jungen Schiff haben diese Exzesse, obwohl er sie aus der Nähe besehen konnte, nicht sonderlich berührt, da er ganz in seinen altdeutschen Ideen aufging.

      Als er Ostern 1822 in Berlin einzog, stand dort die Romantik noch in hohem Ansehen. E. Th. A. Hoffmann, der bereits auf dem Krankenlager hinsiechte und nicht viel später starb, wird er nicht mehr kennen gelernt und den überwältigenden Reiz dieser eigenartigen Persönlichkeit nicht mehr eingesogen haben. Aber die Unterhaltung in den studentischen Kreisen, deren Teilnehmer Schiff war, wird sich stark um Hoffmann gedreht haben. In Rahel Varnhagens Haus könnte er gekommen sein. In Varnhagens Tagebüchern findet sich – zwar aus späteren Jahren – sein Name wiederholt, und das Interesse, das dieser an dem Schicksal und einzelnen Werken Schiffs nimmt, ist doch wohl nur daraus zu erklären, daß er Schiff in Berlin kennen gelernt hatte. Ein Verkehr in dem gastlichen Hause Rahels ist um so wahrscheinlicher, als Schiff in Berlin mit Heine zusammentraf und mit diesem sogar – wenn man ungedruckten Erinnerungen Schiffs glauben will, die eine Fortsetzung seines Buches »Heinrich Heine und der Neuisraelitismus« bilden und Adolf Strodtmann vorlagen [*Vgl. seine Heinebiographie I, 164]– 1822 in einem Hause (es ist das Schlesingersche Unter den Linden, unfern dem Palais des Prinzen Wilhelm) Stube an Stube wohnte. In dieser Zeit des gemeinsamen Berliner Aufenthalts bestand zwischen den beiden jungen Leuten jedenfalls ein lebhafter Verkehr; Heine trug Schiff das Du-Wort an und bediente sich oft seiner Kasse [* »Heinrich Heine und der Neuisraelitismus«, Seite 56 und 98] . Auch die poetischen Erstlinge Schiffs, die Phantasiestücke in Callots Manier gewesen sein sollen[* ibidem; erhalten ist nichts davon] , ließ er sich vorlesen, bewunderte an ihnen »echten Naturmystizismus« und nannte sie das Beste, was in neuester Zeit geschrieben wurde, mit Ausnahme von dem, was er selbst geschrieben hatte. Diese Mittellungen Schiffs müssen nicht unbedingt zuverlässig sein (sie stammen aus dem Jahre 1866); und aus Briefen Heines an Freunde geht sogar hervor. daß er über ihn nicht gerade günstig dachte [* Vgl. den Brief an Moses Moser vom 17. Mai 1824 aus Göttingen (in der Ausgabe der Werke Heines von Karpeles VIII, 420), worin er Schiff einen »Kerl« nennt, der ihn nochmals um Briefporto bringen werde. Freundschaftliche Gefühle verrät diese Briefstelle wohl nicht] . Vielleicht verstimmten ihn schon damals Schiffs exzentrische Neigungen, die im Keim sichtbar waren und ihn als Stichblatt aller mehr oder weniger bösen studentischen Witze sehr geeignet erscheinen ließen [*Eine charakteristische Anekdote teilt Strodtmann a. a. O. I, 322 mit] .

      Am 28. Oktober 1824 wurde Schiff in Jena inskribiert. (Eintrag im »Akademischen Album der Jenaer Universitat«). Er studierte Jura, reichte aber 1825 bei der philosophischen Fakultät eine Dissertation »De natura pulchri et sublimis« ein, auf Grund deren er am 8. Juli 1825 unter dem Dekanate des Geheimen Hofrates Dr. Luden zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. (Vgl. Intelligenzblatt der Jenaer Literaturzeitung, 1825, Nr. 61, Seite 483). In Göttingen hat Schiff niemals studiert; alle diesbezüglichen Mitteilungen sind unrichtig, über den Inhalt der Dissertation laßt sich nichts Zuverlässiges mitteilen; aber aus einer autobiographischen Novelle Schiffs, »Der Fibel-Philosoph« (im »Novellenbukett« 1858) geht hervor, daß er sich als Student in Schillers Abhandlung »Über das Erhabene« (er nennt sie »Über das Schöne und Erhabene«) vertieft habe; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Untersuchung Schiffs von der Schillers ihren Ausgang nahm. –

      Nach der Promotion begab sich Schiff nach Leipzig, um dort als freier Schriftsteller zu leben. Leipzig halte damals als Zentralsitz des deutschen Buchhandels für junge Literaten seine besondere Anziehungskraft. Gutredigierte Zeitschriften ließen den Aufenthalt ebenfalls angenehm erscheinen. Für Schiff, dessen materielle Lage nicht mehr so günstig gewesen zu sein scheint wie während der Berliner Studentenjahre, da der Vater inzwischen sein Vermögen verloren haben dürfte, ergab sich die Notwendlgkeit, da er als Jude zu keinem staatlichen Amte gelangen konnte, von schriftstellerischer Produktion zu leben. Er setzte quantitativ gleich sehr lebhaft ein; drei größere Werke in Buchform sind die Frucht seines ersten Leipziger Aufenthaltes vom Ende 1825 bis Ende 1826. Außerdem redigierte er eine Monatsschrift »Dichterspiegel«, die freilich sehr kurzlebig war, und von der sich leider auch nicht ein Exemplar erhalten hat. Mitredakteur war Wilhelm Bernhardi, der Neffe Tiecks, Sohn seiner Schwester Sophie, Schiffs steter Begleiter auf seinen verschlungenen Lebenspfaden. Immer wieder begegnen die beiden wesensverwandten Naturen gemeinschaftlich. Sie waren beide in romantische Schrullen verrannt, verkannten sehr bedeutungsvoll die tiefliegenden Unterschiede zwischen romantischem Empfinden und romantischer Lebensführung, und beide gingen an dieser argen Begriffsverwirrung zugrunde. Beider äußeres Leben war wüst und exzentrisch; sie glaubten an eine Durchsetzung des Lebens mit romantischen Irrlehren – denn allzu geordnet waren auch ihre dichterischen romantischen Anschauungen nicht – und hofften, diesen zum Siege zu verhelfen, wenn sie sich wild, verwegen und von keinem Lebenszwange beengt gebärdeten. Leben und Dichten sollten eine Einheit bilden, wie es schon die Schlegel jugendlich-ungestüm gefordert hatten. Aber nicht aus innerer Übereinstimmung und veredelter Abgeklärtheit sollte diese innige Vereinigung erwachsen, sondern aus trotziger Auflehnung gegen alles Hergebrachte, ja, gegen die einfachsten Anstandsbegriffe.

      Man wird weder Schiff und noch weniger den ganz unproduktiven Bernhardi deshalb mit Grabbe vergleichen dürfen. Diese Einheit von Leben und Dichten, die Schiff erträumte, herstellen zu wollen, war nur der Gedanke eines Phantasten; ein Märtyrer seiner Kunst war Schiff nicht. Ihm könnte kein Freiligrath nachrufen:

      »Der Dichtung Flamm' ist allezeit ein Fluch! ...

       Durch die Mitwelt geht

       Einsam mit flammender Stirn der Poet;

       Das Mal der Dichtung ist ein Kainsstempel!«,

      weil ja das dichterische Schaffen für Schiffs zügelloses Leben nur ein Vorwand war, während sein Leben seine Dichtung nicht bedingte. »Riesen-« oder »titanenhaft« ist Schiffs Aufbäumen gegen des Lebens Notwendigkeiten kaum zu nennen; es waren nur Versuche eines ungezügelten Menschen, sich über alles Hergebrachte hinwegzusetzen und unangefochten tolle Streiche zu begehen.

      Leider war Schiff zeitlebens von der fixen Idee, daß er als romantischer Dichter keinerlei Gesetz über sich dulden müsse, nicht abzubringen. Er war gewiß nicht verfolgt von dem »malheur d'être poète«, wie es August Sauer in glücklicher Erweiterung des berüchtigten d'Alemberlschen Wortes »malheur d'être« von Sappho und ihrem Dichter Grillparzer geprägt hat. Schon deshalb nicht, weil bei Schiff nicht die exzentrische Dichtung, sondern das exzentrische Leben das Primäre war. Er wollte ungezügelt dahinleben und suchte, diesen Trieb in seiner Dichtung zu rechtfertigen. Von ihr kam ihm kein Leid; nur seine Lebensführung brachte es ihm, aus der seine seltsamen, häufig fast an Wahnsinn grenzenden Werke erwuchsen. Ubrigens kann vielleicht die bizarre, von Rechts- und Unrechtsbegriffen wenig angefochtene Art, wie sich Schiff betrug, echt gewesen sein; aber in seinen Dichtungen war er ein oft recht nüchterner Verstandesmensch, dessen erzwungene Kälte und raffiniert-psychologische Behandlung seiner Stoffe nicht selten die frostigsten Eindrücke hinterläßt. – –

      Schiffs erste dichterische Periode, die 1825 einsetzt – von den Jugenddichtungen hat sich nichts erhalten – zeigt ihn als getreuen Schüler der Romantik. E. Th. A. Hoffmann und Ludwig Tieck sind seine ersten Vorbilder. Eine Fortsetzung des »Kater Murr« ist das erste Buch, das er veröffentlichte. Es führt den Titel »Nachlaß des Katers Murr. Eine Fortsetzung der Lebensansichten des Katers Murr von E. Th. A. Hoffmann. Nebst einer Vorrede des Herausgebers.« (Leipzig 1826, bei Wilhelm Lauffer). Diese Fortsetzung des Hoffmannschen Fragmentes wird am prägnantesten durch eine Äußerung Heines charakterisiert, der an Moser schrieb [*Sämtliche Werke ed. Strodtmann, XIX, 237]

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