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zur Seite und eilte hinaus auf die Straße.

      Fünf Minuten später bog er bereits mit seinem Wagen auf die Barmbeker Straße in Richtung Norden. Wenn er den Weg durch den Stadtpark nahm, benötigte er von seiner Wohnung bis ins Präsidium nicht mehr als zehn Minuten.

      7

      Als Moses den Besprechungsraum im Präsidium betrat, unterbrachen Leitner und Helwig ihre hitzige Diskussion auf der Stelle. Er wollte gar nicht wissen, worüber sich seine Kommissare wieder einmal stritten. »Schön, dass Sie schon so in die Arbeit vertieft sind«, sagte er. Er stellte die Kaffeetasse auf dem Tisch ab und setzte sich an die Stirnseite.

      »Ich glaube einfach, dass …«, setzte Helwig an. Sie verstummte und schüttelte wütend den Kopf.

      »Sie glaubt, es war Mord«, sagte Leitner. »Ich finde, für so eine Schlussfolgerung ist es noch zu früh.«

      Helwig verschränkte die Arme. »Und was wäre die Alternative? Dass sie sich umgebracht hat und jemand sie gemäß ihren Wünschen ›bestattet‹ hat?«

      »Zum Beispiel.«

      »Das ist doch absurd. Eine ziemlich abgedrehte Form von Sterbehilfe, meinst du nicht?«

      Moses räusperte sich. »Würden Sie bitte aufhören herumzuspekulieren und sich auf den vorliegenden Fall konzentrieren?«

      Die beiden Streithähne verstummten.

      »Danke. Bis jetzt haben wir keinerlei aussagekräftige Hinweise. Weder für das eine noch das andere. Wir müssen also abwarten, was die Obduktion ergibt. Wo sind Elvers und Viteri?«

      »Müssten gleich kommen.« Leitner beugte sich über den Tisch und schnupperte genüsslich an Moses’ dampfender Kaffeetasse. »Der riecht gut! Besser als das Zeug, das man uns verabreicht.« Er verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust, wobei sein enges Hemd noch mehr spannte. »Wieso haben eigentlich nur die Großkopferten eine brauchbare Kaffeemaschine? Ich dachte, hier oben im liberalen Norden wäre das anders.«

      »Das ist nirgendwo anders«, brummte Helwig.

      Moses hob die Augenbrauen. Ihr Ton ließ auf entsprechende Erfahrungen schließen. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen, der seine ersten Lebensjahre in einem oberbayerischen Dorf verbracht hatte, bevor es seine Eltern aus beruflichen Gründen nach Hamburg verschlagen hatte, war ihr eine weit weniger beschauliche Kindheit vergönnt gewesen. Wie Moses wusste, hatte Helwig mehrere Jahre ihrer Kindheit im berüchtigten Osdorfer »Affenfelsen« verbracht, einer gigantischen Plattenbausiedlung im Hamburger Westen, die ihrem Ruf als sozialer Brennpunkt täglich gerecht wurde.

      Die Tür ging auf und Elvers kam herein. Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm, das hervorragend zu ihren langen roten Locken passte. Wie immer wirkte sie konzentriert und zielstrebig. Auf Elvers war stets Verlass, und das schätzte Moses sehr an der Mutter zweier Kinder, die auf wundersame Weise den Stress, den sie zweifelsohne zu Hause hatte, nicht mit ins Büro trug. In der Hand hielt sie einen Stapel Computerausdrucke und mehrere Fotos. Viteri, der hinter ihr hertrottete, war nach Helwig das zweitjüngste Teammitglied. Seine Hände hatte er tief in einer schlabberigen Cargohose vergraben. Der schwarzhaarige Computercrack mit Hornbrille und Vollbart ließ es selten hektisch angehen. Dennoch wusste er in entscheidenden Momenten stets, worauf es ankam. Er grüßte seinen Chef mit einer flüchtigen Handbewegung, dann ließ er sich neben Elvers auf den Stuhl fallen.

      Nachdem Elvers die Fotos an das Whiteboard geheftet hatte, nahm sie ebenfalls an dem langen Tisch Platz. Die Aufnahmen kamen von der Spurensicherung und aus der Gerichtsmedizin und zeigten sowohl die Leiche des Mädchens, das mit verrenkten Gliedmaßen auf Kissen gebettet in dem Überseekoffer lag, als auch den Koffer ohne Inhalt und den aufgebahrten Mädchenkörper in der Gerichtsmedizin. Auf einem Foto sah man das kindliche, geschminkte Gesicht in Großaufnahme.

      »Sehr gut, dann können wir ja anfangen«, sagte Moses, während Elvers die Papiere vor sich auf dem Tisch sorgfältig ordnete. »Zuallererst: Was hat die Abfrage der Datenbanken ergeben?«

      »Leider nichts«, erklärte Elvers, die endlich mit der Ausrichtung ihrer Unterlagen zufrieden war und die schlanken Beine übereinanderschlug. »Es gibt keine Vermisstenanzeige aus den letzten Wochen, die von der Beschreibung her passt. Entweder haben die gesuchten Teenager ein Tattoo oder ein anderes auffälliges Merkmal, die sie von der Toten unterscheiden.«

      »Was ist mit den Mordfällen?«

      »Bundesweit ist kein Fall bekannt, der Ähnlichkeiten aufweist. Es gibt keine Übereinstimmungen, nicht einmal eine grobe. Auch bei Europol nicht. Auch in der Sexualstraftäterdatei gibt es nichts Vergleichbares.«

      »Und die Fingerabdrücke?«, fragte Moses, obwohl er die Antwort bereits ahnte.

      Elvers ließ den Stift durch die Finger gleiten. »Das Gleiche. Sind nirgendwo gespeichert. Das Opfer ist aus unserer Sicht ein völlig unbeschriebenes Blatt.«

      »Dann gehen Sie bei den Vermisstenanzeigen bitte noch weiter zurück«, sagte Moses. »Vielleicht gilt sie schon länger als vermisst. Wir brauchen einen Namen. Im Moment wissen wir ja nicht einmal, welche Staatsbürgerschaft sie besitzt.«

      »Hoffentlich ist es keine Touristin«, stöhnte Leitner. »Wisst ihr noch, was die Botschaft für ein Theater wegen dem japanischen Greis veranstaltet hat?«

      »Was für ein japanischer Greis?«, fragte Helwig.

      Als Leitner den Mund öffnete, um eine Erklärung zu liefern, hob Moses die Hand.

      »Konzentrieren wir uns auf den vorliegenden Fall.« Moses wandte sich an Viteri. »Haben wir schon etwas Brauchbares aus der KTU?«

      Der junge Oberkommissar stieß seine schwarze Designerbrille die Nase hoch. »Nicht viel. Nur, dass das Kleid der Toten handgenäht ist. Der Stoffhase ist dagegen handelsübliche Massenware. An dem Koffer selbst gibt es keinerlei verwertbare Spuren. Er war zu lange im Wasser.«

      Moses lehnte sich zurück und fuhr sich über den Nacken. Wenn das Kleid von Hand genäht wurde, war es ein Einzelstück, das man nicht in einem x-beliebigen Geschäft erwerben konnte. Als konkrete Spur schied es somit aus. Aber wer um Himmels willen tötet ein junges Mädchen und näht ihm dann ein hübsches Kleid? Oder umgedreht?

      Helwig schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das kann doch nicht sein! Es muss irgendeine Spur geben. Der Koffer war wasserdicht verschlossen. Zumindest innen muss was zu finden sein. Irgendetwas!«

      Viteri schüttelte den Kopf. »Sowohl die Leiche als auch das Innere des Koffers wurden sorgfältig gesäubert. Die Kollegen glauben, dass da einer am Werk war, der sich auskennt. Und der sich viel Zeit genommen hat.«

      Das war kein guter Start. An den Gesichtern seiner Kollegen erkannte Moses, dass auch sie das längst erkannt hatten. Sie wussten weder, wer das Mädchen war, noch gab es handfeste, gerichtsrelevante Beweise, die einen späteren Tatverdächtigen überführen konnten. Vorausgesetzt, sie ermittelten überhaupt einen Verdächtigen. Denn im Moment sah es schlecht aus. Sie hatten nicht einmal einen Tatort.

      Elvers brach als Erste das nachdenkliche Schweigen, das sich am Tisch breitgemacht hatte. »Aber wenn der Koffer nur zwei Tage lang im Wasser war, müsste man doch seinen Weg im Fluss rekonstruieren können. Dann wüssten wir immerhin, wo er ins Wasser geworfen wurde, und es gibt vielleicht Zeugen.«

      Als passionierter Segler wusste Moses, dass das unmöglich war. »Das wird kaum gehen«, sagte er. »Dafür sind die Strömungsverhältnisse in der Elbe viel zu komplex. Da ist zum einen die Eigenströmung, zum anderen das Wechselspiel von Ebbe und Flut. Allein der Tidenhub beträgt fast drei Meter. Abgesehen davon wissen wir nicht genau, wie lange der Koffer im Wasser war. Und vielleicht wurde das Mädchen nicht sofort nach ihrem Tod in den Koffer gelegt.«

      »Dann könnte der Koffer also überall versenkt worden sein«, sagte Helwig resigniert. »Nicht nur im Hafen. Nicht nur irgendwo in der Stadt. Vielleicht sogar viel weiter flussaufwärts. Vielleicht sogar in Dresden?«

      Leitner lachte. »Genau. Überlassen wir den Fall doch den Kollegen in Sachsen.«

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