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jetzt denken. Erst O'Reilly, jetzt McIver. Beides ehemalige IRA-Mitglieder mit Verbindungen zueinander und zum MI5, beide vermisst.« Dennis machte eine längere Pause und schaute auf die tiefen Rillen der Mahagoni-Tischplatte, als er seine nächsten Worte wählte. »Aber es ist noch zu früh, um sicher sagen zu können, was passiert ist und ob ein Verschwinden tatsächlich mit dem anderen zusammenhängt oder nicht.«

      Er hatte sich hinlänglich bemüht, die Zahl derer, die von Declans Treffen wussten, auf ein absolutes Minimum zu begrenzen, aber trotz allem mehreren Personen beim Geheimdienst und aus der britischen Regierung vertrauen müssen, die er kannte und die er für verlässlich hielt, denn andernfalls wäre das Ganze überhaupt nicht machbar gewesen. Samuel Reed gehörte ebenfalls zu den Eingeweihten.

      »Trotzdem, Dennis … Sie haben doch bestimmt das gleiche ungute Gefühl dabei wie ich oder?«

      Allardyce trommelte mit seinen Daumen auf dem Schreibtisch herum. Tatsächlich gab ihm seine Intuition das Gleiche zu verstehen, und die Konsequenzen dessen entsetzten ihn. Er gab allerdings sein Bestes, um sich selbst glauben zu machen, dass er sich irrte, und entgegnete deshalb: »McIvers Vita ist um die ganze Welt gegangen. Sollte die Schweizer Polizei ihn erkannt haben, wurde er möglicherweise tatsächlich in Haft genommen. Dafür spricht jedenfalls einiges.«

      »Aber warum sollte sie das tun? Er war mit einem einwandfreien britischen Pass und nicht unter seinem wirklichen Namen unterwegs. Außerdem halte ich zwar generell nicht gerade viel von ihm, gehe aber, denke ich, nicht fehl in der Annahme, dass er den Beamten bestimmt keinen Anlass gegeben hat, ihn zu tasern, als sie an ihn herantraten.«

      »Mit den Pässen der anderen Agenten stimmte allerdings etwas nicht. Möglicherweise war deshalb auch mit McIvers etwas faul.«

      Reed schüttelte seinen Kopf. »Das halte ich für ausgeschlossen. Ich habe seinen Pass selbst ausgestellt und so etwas im Laufe der Jahre schon unzählige Male getan.«

      »Und wer hat die anderen ausgestellt?«

      Reed zuckte erneut mit den Schultern. »Ich wusste bis heute Morgen noch nicht einmal, dass Sie noch jemanden auf ihn angesetzt hatten. Ich habe zwar die Genehmigungen unterschrieben, damit man sie ausgestellt hat, bekam sie aber selbst nie zu Gesicht, um sie zu überprüfen. Was auch immer es genau gewesen ist, muss an einem technischen Fehler gelegen haben, der alle Pässe betraf, denn sie wurden allesamt zur gleichen Zeit angefertigt.«

      »Ich habe mich aber kurzerhand dazu entschlossen. McIver kam auch erst heute Morgen zu mir. Irgendwelche IRA-Männer sind gestern Abend bei ihm aufgetaucht, und zwar nicht zu einem geselligen Umtrunk.«

      Als die beiden einander in die Augen schauten, konnte der Generaldirektor durch den Blickkontakt mitvollziehen, wie sich Reed den Rest selbst zusammenreimte. »Dann nehme ich mal an, dass diese Männer nicht mehr unter uns weilen?«

      Allardyce nickte.

      »Sie dürfen die Indizien dafür, dass die IRA diese Bombenanschläge vielleicht verübt hat, nicht außer Acht lassen.« Samuel fuhr sich mit einer Hand über die Glatze. »Und dass sie es kurz nach Shanes Entführung auf McIver abgesehen hat? Das sieht mir nach einem Riesenzufall aus, und ich denke, dass Sie genauso wenig bereit sind, daran zu glauben, wie ich.«

      Allardyce richtete sich mit grüblerischer Miene an seinen Stellvertreter und beugte sich vorwärts, um seine Hände auf dem Tisch aufzustützen. »Heute Morgen hätte ich noch anders reagieren … ich hätte den Überfall gestern Abend ernster nehmen sollen … und seinen Reiseplan ändern können … eine Maschine der Regierung benutzen … Fahrer anheuern … mehr Agenten nach Zürich schicken. Warum war ich bloß so leichtsinnig?«

      Reed erwiderte darauf nichts.

      Allardyce wusste eigentlich genau, weshalb er nichts von alledem getan hatte. Und so sehr es ihn auch selbst anwiderte: Der Grund dafür war rein politischer Art, nicht mehr und nicht weniger. Er hatte es vermeiden wollen, der Innenministerin erklären zu müssen, warum er Regierungseigentum heranzog und Steuergelder verwendete, nur um einen früheren IRA-Terroristen auf Reisen zu schicken. Seine Arbeit zu behalten lag ihm sehr am Herzen, also war sein Zutun aufs absolut Nötigste beschränkt geblieben. Er hatte nur eine geringe Geldsumme aufgewandt und den unverdächtigen Pass besorgt, beides war leicht zu kaschieren gewesen inmitten des gewaltigen Apparats von Aufgabenbereichen des Secret Service bei der Informationsbeschaffung. Geplant hatte McIver die Reise selbst.

      Reed hob die bedrückende Stille im Raum schließlich auf. »Woher wissen wir denn, dass die IRA-Männer McIver tatsächlich aufgesucht haben, um ihn zu ermorden?«, fragte er. »Vielleicht wollten sie ihn ja nur kidnappen, genauso wie Shane. McIver könnte ihnen vielleicht einfach keine Chance dazu gegeben haben.«

      Allardyce nickte erneut. »Genau das ist es, was wir herausfinden müssen. Was auch immer geschehen ist ... wir reden hier vom Züricher Flughafen. Auf dem Gelände müssen doch unzählige Überwachungskameras hängen. Besorgen wir uns deren Aufzeichnungen und wenden uns anschließend an die Schweizer Polizei. Falls sie ihn nicht inhaftiert hat, erhalten wir hoffentlich mehr Aufschluss darüber, wer ihn entführt haben könnte, indem wir das Bildmaterial sichten. Ich will, dass Sie das für mich übernehmen, Sam. Kann ich auf Sie zählen?«

      »Natürlich können Sie das. Das wissen Sie doch.«

      »Gut. Dann mache ich mich jetzt auf den Weg zur Sendezentrale der BBC, um sicherzugehen, dass uns die Innenministerin nicht endgültig in die Pfanne haut.«

      Kapitel 19

       20:42 Uhr Ortszeit, Schloss Buonas, Risch, Schweiz

      Adam Ryan schaute von seinem Smartphone hoch, mit dem er sich über die jüngsten Nachrichten auf dem Laufenden hielt, als ein dumpfer Knall durch den Raum hallte.

      »Warum zum Geier dauert denn das so lange?« Thomas Domville betrat den schicken Speisesaal durch eine Doppeltür. Er war ein imposanter Mann mit grau werdendem Rudyard-Kipling-Schnurrbart und buschigen Augenbrauen. »Angeblich wohnte er doch schon seit Monaten hier. In dieser Zeit sollte er doch eigentlich gelernt haben, sich zurechtzufinden. Es gibt wohl kaum einen Ort in diesem Land, von dem aus man mit dem Auto mehr als ein paar Stunden braucht, um hierher zu gelangen.«

      »Es tut mir leid, Sir.« Sein Assistent eilte ein kurzes Stück hinter ihm her und sputete sich, um wieder schritt mit ihm halten zu können. »Man hält uns immer noch mit der Behauptung hin, dass er unterwegs sei. Anscheinend gab es irgendwelche unvorhergesehene Probleme.«

      »Lord Justice Domville.« Ryan lächelte und streckte seine rechte Hand aus, als der alte Richter gegenüber von ihm Platz nahm.

      »Senator Ryan. Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen.« Domville packte dessen Hand und rümpfte dann seine Nase, um durch seine Brille schauen zu können, was ihn allerdings reichlich hochmütig wirken ließ.

      Ryan strich sich eine dick pomadisierte Haarsträhne aus der Stirn. Obwohl er Anfang fünfzig war, hätte man ihn auch gut für Ende dreißig halten können. Die Zeichen für sein Alter beliefen sich einzig und allein auf ein paar Krähenfüße an den Augen und einen sehr schmalen Streifen Grau am Haaransatz, wo er die Strähnen hochkämmte und zur Seite scheitelte, um möglich viel davon zu verbergen.

      »Ich darf doch davon ausgehen, dass mit dem Gast, den wir erwarten, alles in Ordnung ist, oder?«

      »Ja, er verspätet sich leider nur erheblich. Er hätte schon vor einer Stunde hier sein sollen.«

      »Ich bin mir sicher, dass es für diese Verzögerung einen triftigen Grund gibt.«

      »Hoffen wir es. Ich zeichne mich nicht unbedingt durch Engelsgeduld aus, schon gar nicht für jemanden mit seinem Werdegang.«

      Ryan lächelte weiterhin einnehmend. »Nachdem ich mich gründlich mit seinem Lebenslauf beschäftigt habe, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass es auf den Straßen Ihres und meines Landes vor Männern nur so wimmelt, die es wesentlich schlimmer getrieben haben als Declan McIver.«

      »Dann haben Sie aber nicht während

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