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nie zu einer so dramatischen Machtprobe gekommen.

      Was er sich allerdings nicht erklären konnte, als er den Geldbeutel wieder zuklappte und zu den anderen Sachen aus der Handtasche ins Waschbecken warf, war der Grund dafür, dass sie sich so leicht hatte entlarven lassen. Denn er glaubte keine Sekunde lang daran, dass sie sich beim Flirten nicht absichtlich so dumm angestellt hatte – und welcher Spitzel trug schon einen Regierungsausweis in der Tasche?

      »Gertrude heißen Sie also?« Er grinste. »Am Züricher Flughafen gibt es einen großartigen Salon. Darf ich Sie dort auf einen Drink einladen?«

      »Nennen Sie mich einfach nur Harper.« Nun legte sie plötzlich das Verhalten einer abgeklärten Sekretärin an den Tag. »Davon einmal abgesehen bin ich hier, um einen Auftrag auszuführen. Ja, dabei geht es um Sie, und ja, ich finde Sie niedlich, sogar ein wenig amüsant, aber wir kennen uns nicht, und ich will Sie auch gar nicht kennenlernen. Was ich über Sie weiß, reicht mir vollkommen.«

      Declan lachte leise und grinste weiter. »Das dachte ich mir schon.«

      Harper nahm daraufhin den Geldbeutel aus dem Waschbecken und begann, den Rest ihrer Sachen zurück in die Tasche zu stopfen.

      Auf einmal klopfte es an der Tür. »Ma'am, ist alles in Ordnung da drin?«

      Declan entriegelte die Tür. Anscheinend war jemandem aufgefallen, dass sie das WC zu zweit betreten hatten, und irgendwelche Verdächtigungen, dass sie hier drin etwas Unschickliches taten, würden ihm gerade noch fehlen. Darum drückte er die Tür mit dem Ellbogen auf und amüsierte sich darüber, wie sich die abgeklärte Sekretärin plötzlich wieder in das kumpelhafte Mädchen von nebenan zurückverwandelte.

      Während sie sich gegen ihn warf, ihre Arme um seinen Hals schlang und ihm einen innigen Kuss gab, taumelten sie beide mit zu viel Schwung auf den Gang, wo eine entsetzte Stewardess stand. Declan schloss die Augen und spielte einfach mit. Nach mehreren Sekunden hörte Harper auf und entzog sich so langsam und sinnlich wie möglich der Umarmung.

      »Verzeihung«, flötete sie im Vorbeigehen mit Blick auf die Stewardess und begab sich wieder zu ihrem Platz.

      Declan folgte ihr, während sein Gesicht rot vor Scham war.

      Harper blieb vor den Sitzen stehen, sodass er zum Fensterplatz durchrutschen konnte. Während er sich niederließ, schaute er nach unten. Das Dunkelblau des Kanals war mittlerweile verschwunden und sie überflogen nun die grünen Felder von Nordfrankreich. Er spürte, wie sich die Agentin neben ihn setzte. Die anderen Passagiere in der Businessclass schnalzten mit den Zungen, seufzten erleichtert oder lachten.

      »Vermasseln Sie's nicht«, wisperte sie, nahm seine Hand und küsste ihn auf die Wange. »Wir sind ein Traumteam.«

      Kapitel 17

       18:46 Uhr Ortszeit, Flughafen Zürich, Schweiz

      »Danke, dass Sie sich für British Airways entschieden haben.« Die Stewardess am unteren Absatz der Gangway lächelte, als Declan von Bord des Embraer-E-Jet ging. Die anderen Fluggäste, die mit ihm ausstiegen, eilten sofort zu den Toiletten und Telefonzellen entlang der Ankunftshalle. Dicht hinter ihm, aber im Gleichschritt folgte ihm die Geheimdienstagentin, die er nun als Harper kannte – händchenhaltend, als sei er ihre Rettungsleine.

      Einige ihrer Mitreisenden betrachteten das kuriose Pärchen, das für eine denkwürdige Szene im Flugzeug gesorgt hatte, während sie vorbeigingen, doch niemand sagte etwas. Declan beachtete sie nicht weiter und zog seine Hand aus Harpers. »Sie gewöhnen sich lieber daran«, sprach sie und schloss gleich wieder zu ihm auf. »Ich begleite Sie nämlich so oder so, bis Sie wieder im Königreich sind.«

      »Dann können Sie auch mit der Liebes-Mädchen-Nummer aufhören, und sich wieder wie eine emanzipierte Erwachsene verhalten.«

      Er konnte sich noch immer keinen rechten Reim darauf machen, weshalb sich Harper so leicht zu erkennen gegeben hatte. Wäre Allardyce eine Begleitperson für ihn wichtig gewesen, hätte dieser doch nichts weiter tun müssen, als es ihm zu sagen. Declan war schließlich nicht in geheimer Mission in der Schweiz, und angesichts der akuten Probleme in seinem Leben konnten zwei wachsame Augen mehr doch auch nicht schaden. Aber was, falls sie in Wirklichkeit gar nicht für Allardyce arbeitete?

      Er dachte über diese Möglichkeit nach, während sie sich dem Ende der Ankunftshalle näherten und die ersten Reisenden, die ins anliegende Flughafenzentrum gingen, lange Schlangen bildeten. Auf sie warteten nun sechs Zollstellen mit jeweils zwei blau uniformierten Beamten zur Abfertigung. Über jeder Station hing ein Schild, das angab, für wen sie vorgesehen war. Einheimische Schweizer, Bürger von EU-Staaten sowie solche von außerhalb. Declan reihte sich in der Mitte ein. Da man seinen amerikanischen Pass infolge der Aufdeckung seiner früheren Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorübergehend eingezogen hatte, war ihm dank Allardyce für diese Reise ein britischer ausgestellt worden. Auch wenn er es erst noch gesagt bekommen musste, ahnte er bereits, dass er das Dokument später wieder an das zuständige Amt zurückgeben musste, sobald er auf britischen Boden zurückkehrte. Nun wartete er in aller Ruhe, bis er an die Reihe kam.

      Falls Allardyce Harper tatsächlich nicht geschickt hatte, wer dann? Declan sollte sich in der Schweiz mit einem altgedienten Mitglied des Gerichtssystems des Vereinigten Königreichs treffen. War ihm diese Begleitung vielleicht von Lord Justice Domville zur Seite gestellt worden? Das wäre gut möglich und sollte es tatsächlich stimmen, lag es nahe, mehr als nur eine Agentin zu schicken. Vielleicht hatte sich Harper deshalb so schnell zu erkennen gegeben – um von weiteren Kollegen an Bord und auch am Flughafen abzulenken.

      Declan hielt seinen Pass bereit, als die letzte Person vor ihm durchgewunken wurde. Er stellte sich vor den verglasten Schalter und schob das Mäppchen durch eine kleine Scheibe zu einem Beamten. Dieser sah es kurz an, glich das Lichtbild mit dem Gesicht des Reisenden ab und hielt dann die Seiten unter ein Gerät, welches das offizielle Hologramm erkannte.

      »Grund Ihres Aufenthalts?«

      »Ein geschäftliches Meeting in Risch.«

      Der Mann nickte knapp und betrachtete dann erneut den Pass, wobei er seine Lippen schürzte, als wenn er gelangweilt wäre. Dann legte er ihn unter eine Stanze aus Metall und drückte sie nieder. Ein Gummikopf darunter stempelte seinen Pass ab. Schließlich händigte der Mann das Dokument wieder aus. »Willkommen in der Schweiz.«

      Declan ging auf die andere Seite der Station, wo er sich zu mehreren Personen stellte, die auf die Abfertigung von Angehörigen warteten. Von dort aus schaute er dabei zu, wie Harper zum Schalter trat und ebenfalls ihren Pass durchreichte. Der Beamte wiederholte sein Prozedere. Durchsicht und Gesichtsabgleich, doch vor dem Stanzen stockte er auf einmal. Anstatt das Ganze abzustempeln und sie durchzulassen, zog er seinen Mitarbeiter, der neben ihm saß, hinzu, und begann, auf Deutsch mit ihm zu sprechen.

      Danach sagte er zu Harper: »Ich bedauere, aber es gibt leider ein Problem mit Ihrem Reisepass. Wenn Sie bitte aus der Reihe treten würden.«

      Harper schaute durch die Scheiben zu Declan hinüber. »Das haben Sie sich nicht getraut, oder?«

      »War nett, Sie kennengelernt zu haben«, erwiderte er tonlos und hauchte ihr noch einen Kuss zu. Nachdem er die Sporttasche auf einer seiner Schultern zurechtgerückt hatte, verließ er die Zollstelle zügig. Da gehetzte Menschen an Flughäfen ein ganz und gar alltägliches Bild waren, beachtete ihn niemand großartig, während er sich durch die Menge drängelte. Auf einer Rolltreppe nach oben ließ er sich kurz vom Hauptterminal bezaubern, das einem Einkaufszentrum glich … von den Geschäften voller zollfreier Edelwaren … von der Decke bis zum Boden reichenden Bannern, die teure Uhrenmarken bewarben und von einem Restaurant hinter dem anderen mit einem Angebot internationaler Köstlichkeiten.

      Während sich Declan in der Halle umschaute, achtete er auf etwaige Personen, die ihn eindringlicher ansahen, als sie es sollten. In Anbetracht der Menschenmassen in allen Speiselokalen, Cafés und Buchhandlungen im Gebäude war es nahezu unmöglich, jemanden zu entdecken, der ihn beschattete. Darum gab er die Mühe schließlich auf und begab sich

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