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teilte ich mit drei andern: unserer Schwester Emma, Schwester Sophie vom III.Saal und ihrer Helferin Marga. Diese beiden waren ein Herz und eine Seele, obgleich Marga erst 18 Jahre und ihre Vorgesetzte wohl fast zehn Jahre älter war. Das junge Kind schien mir in dieser Umgebung recht gefährdet. Schwester Sophie war – wie die meisten von der »B.O.« – tüchtig in ihrem Beruf und sorgfältig in der Arbeit; aber Kopf und Herz waren angefüllt von Liebeskummer – natürlich der Stationsarzt –, und davon handelten die Gespräche hier im Zimmer. Ich verschloß meine Ohren, so gut ich konnte, und in der dienstfreien Zeit, die ich im Zimmer verbringen mußte, saß ich auf meinem eisernen Bett, als ob das ein abgesonderter Raum sei; dort las und schrieb ich meine Briefe und erledigte, was ich sonst zu tun hatte. Die Mahlzeiten nahmen wir trotz der Schließung unserer Station im allgemeinen Speisesaal. Dort sah ich – wohl schon am ersten Abend – Grete Bauer, die Breslauer Studentin. Es war mir eine rechte Wohltat, ein paar Worte mit ihr sprechen zu können. Sie machte mich auch mit ihrer Freundin, Schwester Alwine, bekannt, auch einer Berufsschwester von der B.O. Sie war erheblich älter als wir, aber jugendlich-frisch in ihrem Wesen. Blonde Löckchen guckten unter ihrem Häubchen hervor, und die großen blauen Augen lachten vor Lebensfreude. Es war aber auch gleich zu merken, daß man einen gescheiten und tatkräftigen Menschen vor sich hatte.

      Einige Tage nach meiner Ankunft war auf der Station davon die Rede, daß es in der Großen Reitschule ein »Fest« geben sollte. Der Arzt vom II.Saal wurde in ein anderes Lazarett versetzt und hatte alle Kollegen und Schwestern der Typhusstation zum Abschied in das kleine Ärztezimmer eingeladen. Es war ein junger Pole mit einem adligen Namen, den ich vergessen habe. Ich hatte ihn bisher nur flüchtig gesehen und noch kein Wort mit ihm gesprochen. Dr. Pick, unser Stationsarzt, sagte bei der Visite zu mir: »Schwester Edith, Sie kommen doch auch morgen abend?« »Ich hatte nicht die Absicht. Ich kenne ja den Herrn gar nicht.« »Das tut nichts. Dann werden Sie ihn kennenlernen.« Ich hatte wenig Lust – wir waren doch wahrhaftig nicht hier, um Feste zu feiern. Aber ich fragte Schwester Loni um Rat. Sie war die Älteste im Saal und meine Vorgesetzte. Außerdem hielt sie etwas auf ihre gut bürgerliche Herkunft und tadellose Sitten. Sie riet mir zu gehen. Es würde unangenehm berühren, wenn ich mich gleich bei der ersten Gelegenheit ausschlösse. Sie selbst käme zwar diesmal nicht, aber vor kurzem – als man den 1000. Typhuspatienten feierte – sei sie dabeigewesen; daran hätten sogar auch die Oberschwester und der Medizinalrat teilgenommen. Den 1000. Typhuspatienten gefeiert?! Mir standen fast die Haare zu Berge. Aber ich wollte Schwester Lonis Rat folgen.

      Als wir am nächsten Abend das kleine Ärztezimmer betraten, wurde mir etwas beklommen. Es war eine große Tafel darin aufgestellt. Mehrere Torten standen darauf, einige Schalen mit Obst und eine ganze Batterie von Likörflaschen. Ich hatte meinen Platz etwa in der Mitte, Dr. Pick mir gegenüber. Als herumgereicht wurde, nahm ich ein Stück Torte und eine Traube; einschenken ließ ich mir nicht – ich trank ja keinen Alkohol. Anfangs war man sehr interessiert an der neuen Schwester. Ich hatte bisher niemandem etwas von meinem »Zivilberuf« gesagt. Aber vielleicht hatte Schwester Oberin vor einem der Ärzte etwas davon erwähnt und die Nachricht war ins Kasino getragen worden. Jedenfalls erkundigten sich die Herren jetzt, was ich studiert hätte. »Philosophie.« Das war nicht eindeutig. »Philosophie« bedeutet in Österreich die ganze Fakultät: Sprachen, Geschichte usw. Das Fach aber heißt »strenge Philosophie«. Also: strenge Philosophie! Das Staunen war groß. Aber allmählich verlor man den Geschmack an »gebildeter Unterhaltung«. Je öfter die Likörgläser geleert wurden, desto freier wurde der Ton. Ich saß schließlich ganz still da und sah mit großen Augen an, was um mich herum geschah. Ein Arzt hielt eine Schwester, die nicht mehr trinken mochte, beim Kopf fest und flößte ihr Likör ein. Mir wurde immer unheimlicher zumute. Was würde denn noch alles kommen? Plötzlich hörte ich, daß jemand von hinten leise zu mir sprach. Ich wandte mich überrascht um. Hinter meinem Stuhl stand der polnische Ritter, dessen Gäste wir waren. Anfangs hatte man uns miteinander bekannt gemacht, aber dann hatte ich ihn nicht mehr bemerkt. Er war ganz erregt. »Schwester, was müssen Sie von mir denken?« Ich war sehr betroffen. Was sollte ich denn darauf erwidern? »Ich werde mir nach diesem einen Abend kein Urteil bilden«, sagte ich beruhigend. Wir beide waren wohl die einzig Nüchternen im Zimmer. Er hatte mich gewiß beobachtet und mir vom Gesicht abgelesen, wie mir zumute war. Und es war ihm augenscheinlich eine Qual, mich in dieser Umgebung zu sehen. Ich dachte an den guten Geheimrat Thalheim: Galten die Schwestern im allgemeinen als Freiwild?

      Ein Entrinnen gab es nicht. Der ritterliche Beschützer wußte auch nicht, wie er mich befreien sollte. Bald darauf schlug jemand einen Spaziergang durch den nächtlichen Garten vor. Ich hielt es noch für sicherer, mit allen zusammen mitzugehen, als allein in der Reitschule zurückzubleiben. Ich durfte mich ja in dem Zimmer, das ich mit andern teilte, nicht einschließen, solange sie draußen waren. Im Garten bildete man eine lange Reihe. Schwester Elsbeth, eine hübsche Brünette, faßte auch mich unter den Arm und zog mich mit; ich mußte noch froh sein, daß ich so an einem sichern Platz war und geführt wurde. Ich hatte bisher keine Zeit gefunden, im Garten spazierenzugehen, und wäre allein jetzt im Dunkeln hilflos umhergeirrt. Schließlich ging es in eine Tür hinein. Es war das »Fausthaus«. So nannte man die nette Villa, in der die Ärzte wohnten, weil die Helferin Margarete von Skoda dort mit untergebracht war. (Skoda war der österreichische »Krupp«.) Ehe ich wußte, was geschah, standen wir im Zimmer des Arztes, der Nachtdienst hatte. Er lag im Bett und fuhr aus dem Schlaf auf, als die Gesellschaft hereinpolterte. Der Scherz schien ihm nicht schlecht zu gefallen. Er bemerkte auch bald das unbekannte Gesicht und fragte, wer ich sei. Man schob mich vor ihn hin und stellte mich vor. Ich machte einen Knicks wie ein Schulkind – es schien mir noch am besten, das Ganze scherzhaft zu nehmen – und verschwand dann wieder hinter den andern. Da stand wieder der polnische Ritter neben mir. »Kommen Sie«, sagte er, »ich führe Sie zurück.« Wir gingen hinunter und schweigend zur Reitschule zurück. Die andern kamen bald hinterher. An der Haustür dankte ich meinem Begleiter und verabschiedete mich. Nun schnell in unser Schlafzimmer! Aber auch da erwartete mich eine unangenehme Überraschung: Dr. von Malsburg (ein verheirateter älterer Mann) war bei uns eingedrungen und hatte »Budenzauber« veranstaltet. Er hatte die Stühle aufeinandergetürmt und ein schwarzes Tuch darübergebreitet. Jetzt erklärte er, er wolle uns photographieren. Auch Schwester Elsbeth und ihr Stationsarzt Dr. Aldor hatten sich hierher zurückgezogen. Es blieb mir nichts übrig, als in Geduld abzuwarten, bis die Gesellschaft sich auflöste. Als endlich alle unliebsamen Gäste aus dem Zimmer waren, dauerte es noch eine ganze Weile, bis Schwester Sophie und Marga sich einfanden. Jetzt erst konnte ich endgültig die Tür schließen und beruhigt zu Bett gehen. Es war mir nichts geschehen, niemand war mir auch nur mit einem Wort zu nahegetreten. Aber der Ekel zitterte noch in mir nach und die Empörung, daß sich so etwas unter einem Dach mit den Schwerkranken abspielte. Es bestand nicht einmal die Möglichkeit, in einen der Krankensäle zu flüchten. Wir sollten sie außerhalb unserer Dienstzeit nicht betreten.

      Am nächsten Tag wurden alle beteiligten Schwestern (nur die Berufsschwestern, nicht die Helferinnen) zu Schwester Oberin gerufen. Sie bekamen wohl eine strenge Zurechtweisung. Ich war besorgt, was Schwester Margarete von mir denken mochte. Sie hatte mich ja bisher nur die wenigen Minuten am ersten Tage gesprochen. Da ich wußte, daß Grete Bauer öfters zu ihr kam, bat ich sie zu sagen, wie peinlich mir die Verwicklung in diese Angelegenheit sei. Es kam eine sehr freundliche Antwort: Schwester Oberin ließ mir sagen, es tue ihr herzlich leid, daß ich gleich anfangs einen so schlechten Eindruck bekommen hätte.

      2.

      Einige Wochen später besuchte uns der polnische Ritter noch einmal von seiner neuen Stellung aus. Er kam, während ich mit Dr. Pick Visite machte. Über das Krankenbett hinweg fragte er: »Wie hat sich die Schwester eingelebt?« Dr. Pick antwortete für mich. Lachend sagte er: »Schwester Edith ist gern bei uns. Nur der eine Abend hat ihr nicht gefallen.« Das war richtig. Ich hatte die Arbeit auf der Typhusstation liebgewonnen. Die Ärzte konnten dieser Krankheit gegenüber wenig tun, aber von der sorgfältigen Pflege der Schwestern hing viel ab. Wir waren stolz darauf, daß wir wenige Todesfälle hatten. Aber manchmal mußte man einen harten Kampf durchfechten, um dem Tod sein Opfer zu entreißen. Die schwere Infektion, besonders wenn noch Lungenentzündung hinzukam, griff oft das Herz so an, daß es zu versagen drohte. Die ersten Male, als ich einen solchen Kollaps mit ansah, dachte ich bestimmt, daß es nun zu Ende gehe. Die Leute sahen

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