Скачать книгу

dem Unfall und wie er sich ereignet hat, weiß ich nichts«, berichtet er in überzeugender Weise. »Mein Schwager Hubert Stücker saß am Lenkrad. Ich muß wohl vor mich hingedöst haben. Mein Schwager fuhr ein flottes Tempo. An einer Straßenkreuzung trat er jäh in die Bremse, und ich wurde gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Mit dem Kinn schlug ich auf dem Armaturenbrett auf. Ich bat meinen Schwager zu halten, stieg aus und nahm am Jahnplatz eine Droschke, die mich zum Robert-Koch-Krankenhaus brachte, da ich Nachtdienst hatte. Oberarzt Doktor Romberg kann bestätigen, daß ich dort, wenn auch mit etwas Verspätung, erschienen bin. Die Oberschwester der Chirurgischen Abteilung war auch dabei.«

      »Hmhm!« Reimund dreht den Füller in seinen Fingern. »Sie hatten getrunken? Ich meine, Sie hatten Alkohol zu sich genommen?«

      Doktor Freytag lächelt. »Etwas schon.«

      »Und Ihr Schwager?«

      »Er hatte schon getrunken, als ich durch Zufall auf ihn traf. Ich glaube, er hatte ziemlich viel zu sich genommen. Aber…«, setzt er wie zur Entschuldigung hinzu, »er kann auch allerlei vertragen.«

      Reimund runzelt die Stirn. »So viel, daß er gegen einen Baum fuhr«, bemerkt er trocken. Er erhebt sich. Ein Zeichen, daß Freytag entlassen ist. »Wir werden Ihre Angaben nachprüfen. Wenn nötig, finde ich Sie im Robert-Koch-Krankenhaus?«

      »Jawohl, Herr Kommissar.«

      Mit einer Verbeugung verläßt Doktor Freytag das Vernehmungszimmer. Draußen wischt er sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.

      Julian Reimund prüft noch einmal die Aussagen des jungen Arztes. Dann verläßt er das Präsidium und fährt mit seinem Wagen zu Wolfram Romberg. Diesmal wird ihm der Weg zu dem Nebengebäude gewiesen, wo der Oberarzt eine Zweizimmerwohnung besitzt.

      Doktor Romberg öffnet ihm. Über sein blasses, zergrübeltes Gesicht geht ein Strahlen, als er den Kommissar erkennt.

      »Julian – du?«

      »Ja – ich, Wolf. Darf ich eintreten? Man sagte mir, daß du dich wahrscheinlich nicht stören lassen wür-

      dest .«

      »Für dich bin ich immer zu sprechen«, sagt Romberg herzlich und drückt Reimund die Hand. »Komm rein, Julian.«

      Später sitzen sie sich in dem behaglichen Wohnzimmer Rombergs gegen-über. »Wie ist es, Julian, bist du im Dienst? Darf ich dir etwas anbieten? Einen Cognac?«

      »Du darfst«, erwidert Reimund und greift in die Zigarettendose. Er hat Muße, den Arzt zu betrachten, während dieser aus dem Bücherschrank, der mit wissenschaftlichen Büchern und Fachliteratur vollgestopft ist, eine Flasche und Gläser nimmt und sie an den Tisch trägt.

      »Du siehst nicht gut aus, Wolfram«, konstatiert er sachlich. »Mir scheint, du läßt dich von deinem Beruf auffressen.«

      Nicht mein Beruf – denkt Romberg bitter, bevor er antwortet. Es ist das Schicksal meiner Patienten, das mich aussaugt. Laut sagt er: »Das sagst ausgerechnet du?« Er läßt den goldgelben Trank in die Gläser fließen. »Bist du nicht auch ein Besessener?«

      Reimund muß lachen. »Richtig – ein Besessener. Vor allem, wenn ich eine Fährte aufgenommen habe.«

      Jetzt kommen die Fragen, die ich fürchte, denen ich davonlaufen möchte und denen ich nicht entgehen kann. Ich muß den Kelch bis zur Neige leeren sinnt Romberg und hebt sein Glas gegen den Freund. Doch dieser denkt zunächst nicht an seinen Beruf. Er genießt dieses Zusammensein mit Romberg.

      »Die Welt ist ein Dorf«, sagt er aus seinen Gedanken heraus. »Alles hätte ich geglaubt, aber nicht, dich hier zu treffen.« Er nimmt einen kräftigen Schluck. »Prost, Wolfram, auf daß unsere Freundschaft wieder auflebe. Übrigens mußt du mich einmaI besuchen. Ich bin seit zwei Jahren verheiratet, und du mußt unbedingt meine Frau kennenlernen. Wir bewohnen in einer Randsiedlung ein kleines Haus.«

      Romberg verneigt sich. »Herzlichen Dank für die Einladung. Wenn ich mich freimachen kann, komme ich gern.« Er lächelt matt. »Dann hast du beinahe alles erreicht, Reimund.«

      »Beinahe – sehr richtig. Uns fehlt nur noch der Stammhalter zum vollkommenen Glück.«

      Nachdenklich dreht Romberg sein Glas zwischen den Fingern. »Gibt es überhaupt ein vollkommenes Glück?«

      Reimund studiert schon die ganze Zeit über in Rombergs Zügen. Nein! So sieht kein erfolgreicher Chirurg aus. Wolfram ist nicht glücklich.

      »Weißt du, Wolf«, nimmt er den Gesprächsfaden auf, »das kommt auf den einzelnen Menschen an und was er unter Glück versteht. Einer findet in seinem Beruf schon die Erfüllung. Der andere betrachtet Reichtum als Glück. Ach, es gibt so unendlich viele Dinge, die mit Glück bezeichnet werden. Ich behaupte, daß es in uns selbst begründet liegt.«

      Er schiebt sein Glas dem Freund zu, und dieser füllt nach.

      Nachdenklich spricht er weiter: »Um auf den Großindustriellen Hubert Stücker zurückzukommen, Wolfram. Was hat der arme Teufel nun von seinen Erfolgen, seinem Reichtum, seiner geschäftlichen Macht? Besäuft sich und fährt gegen einen Baum. Aus! Zurück läßt er eine junge, schöne Frau – wie man mir sagt. Übrigens, dieser Doktor Freytag ist ja der Schwager Stückers. Er war bei mir und hat ausgesagt, was er über den Unfall weiß. Wir werden seine Angaben nachprüfen. Was ist er sonst für ein Mensch? Was für ein Arzt?«

      Rombergs Züge werden verschlossen. Seine hellen Augen ruhen auf dem Sonnenkringel am Boden. »Er ist begabt«, erwidert er kurz, so kurz, daß Reimund aufhorcht.

      »Du magst ihn nicht?« fragt er rundheraus.

      Romberg lacht rauh auf. »Spielt das dabei eine Rolle, Julian? Man hat Sympathien und Antipathien. Er ist meiner Meinung nach etwas zu – zu sorglos, wenn nicht…«

      »… leichtsinnig«, vollendet Reimund. Er merkt, wie schwer es Romberg fällt, gerade über diesen jungen Arzt zu sprechen.

      »Professor Becker, der Chef der Chirurgischen Abteilung hält sehr viel von ihm«, setzt Romberg noch hastig hinter seine Worte.

      »Noch etwas, Wolfram«, bohrt Reimund weiter. Jetzt ahnt er nicht, wie peinlich Romberg diese Fragen berühren. Er möchte nichts mehr mit dem Fall zu tun haben. Er will seine Ruhe haben. Nichts als Ruhe. Etwas von dieser heimlichen Qual liest Reimund aus Rombergs Zügen. »Kennst du jetzt die Höhe des Alkoholgehaltes im Blut des Verunglückten? »

      »Er ist tot!« antwortet Romberg dumpf. Reimund erschrickt. Das ist also der Grund. Romberg ist unglücklich, daß er das Leben nicht erhalten konnte.

      »Ich weiß«, bemerkt Reimund nach einer Weile mit veränderter Stimme. Sie ist behutsam, als wolle sie trösten. Und da Romberg schweigt, nur vor sich hinstarrt, ermuntert er: »Darüber brauchst du nicht verzweifelt zu sein, Wolf. Es wird nicht der erste und auch nicht der letzte sein, der sich totfährt.«

      Romberg macht eine schwache, fahrige Handbewegung. »Was – was hat Doktor Freytag ausgesagt?«

      »Er hat den Unfall gar nicht miterlebt.« In kurzen Worten gibt er wieder, was Freytag angegeben hat.

      Romberg hat sich eisern in der Gewalt. Aber hinter seiner Stirn laufen die Gedanken wild durcheinander. Das ist doch nicht möglich? Wen hat er nun belogen? Ihn – oder die Polizei? Was ist hier überhaupt Wahrheit, und was ist Lüge? Hat Freytag, durch den Schock und durch seine Trunkenheit beeinflußt, das Geständnis im Beisein Christianas gemacht? Oder steckt überhaupt nur Christiana dahinter?

      »Und – und deine Meinung?« hört er sich mit seltsam fremder Stimme fragen.

      »Ich möchte dem jungen Mann glauben – und doch …« Er bricht ab. Was er sonst noch denkt, behält er für sich.

      »Somit steht der Fall Stücker bald vor seinem Abschluß?« erkundigt sich Romberg, und er spürt, wie die Erregung immer mehr überhandnimmt.

      Reimund leert bedächtig sein Glas. »Da wird nicht mehr viel Neues herauskommen. Stücker ist tot – und

Скачать книгу