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sinkt er erschöpft auf den Sessel am Tisch und vergräbt das Gesicht in seinen Händen.

      Schwester Monika aber macht sich dumme Gedanken. Wie förmlich der Oberarzt sich von der schönen Frau verabschiedet hat, und sie möchte schwören, daß sie sich geduzt haben. Sie hat nicht gelauscht. Sie hat nur aus Hilfsbereitschaft vor der Tür gewartet, da sie wußte, sie würde die Besucherin zum Ausgang geleiten müssen.

      Merkwürdig – sehr merkwürdig – überlegt sie und sieht hinter der schönen Erscheinung her, wie sie die Auffahrt hinabeilt und in einen dunklen Mercedes steigt.

      *

      Das Haus Hubert Stückers liegt tief in einem großen Garten versteckt an der Bismarckallee.

      Die Scheinwerfer des leise brummenden Mercedes bohren sich durch das Dunkel, huschen über hohe Baumgruppen und dichtes Gebüsch. Sekundenlang gleiten sie über das weiß aufleuchtende, flachgestreckte Haus modernster Bauart, mit seinen Terrassen und Blumenfenstern.

      Der Wagen hält vor dem Portal. Einige Augenblicke lang bleibt Christiana Stücker reglos hinter dem Steuer sitzen. Sie fürchtet sich, in das große Haus zu gehen, und sie weiß nicht, ob es Furcht vor der Leere ist – oder Furcht vor ihren bohrenden Gedanken. Oder ist es die Gewißheit, eine grenzenlose Niederlage erlitten zu haben? Erlitten von dem Mann, mit dem sie glaubte so leicht fertig werden zu können, weil sie mit seiner blinden Liebe von einst gerechnet hat. Nun ist aus dieser bitteren Enttäuschung Angst geworden.

      »Ich muß tatsächlich wahnsinnig geworden sein«, murmelt sie vor sich hin. »Wie konnte ich mich so sehr in seine Hand geben?«

      Und dann beginnt sie zu weinen. Es sind Tränen der Wut, der Furcht und der Hilflosigkeit. Es schüttelt sie wie ein Krampf. Sie fängt die Tränen mit ihren Lippen auf, dann läßt sie sie ungehindert laufen.

      Und weiter hetzen die Gedanken. Immer im Kreise herum. Bis es in den Schläfen hämmert und der Kopf schmerzt. Zuletzt schält sich die Gewißheit aus dem Knäuel allen Denkens: Wolf wird niemals von seinem Wissen Gebrauch machen und es gegen sie in irgendeiner Form verwenden. Er ist Arzt und wird ihre verwirrten Äußerungen an Folge ihres Schocks beurteilen.

      Diese Erkenntnis läßt sie ruhiger werden. Sie schreckt zusammen, als sie Schritte auf dem Kies vernimmt. Im Licht der Scheinwerfer taucht eine vertraute Gestalt auf, in der sie Anton, ihres Mannes Chauffeur, erkennt.

      »Sie sind noch wach, Anton?« fragt sie und läßt sich aus dem Wagen helfen.

      »Ich habe auf Sie gewartet. Soll ich den Wagen in die Garage fahren, gnädige Frau? Der BMW ist inzwischen auch gekommen. Wollen Sie ihn sich ansehen?« Er druckst und schluckt. »Und – und wie geht es dem Herrn?«

      Verstört blickt sie den Sprechenden an, dann hat sie begriffen. »Man kann noch nichts sagen, Anton. Und jetzt bin ich müde, sehr müde. Gute Nacht!«

      Anton wartet, bis sie die Stufen bis zur Eingangstür hinangestiegen ist. Er hört schließen. Dann erst schwingt er sich hinter das Steuer und fährt den Wagen hinüber in die Garage.

      Im Hintergrund der Halle brennt eine einzige Lampe. Christiana zuckt zusammen, als sich aus einem der tiefen Sessel eine Männergestalt erhebt.

      »Martin – du?« Sie preßt die Hand gegen das Herz, das heftig klopft, so sehr ist sie erschrocken.

      Sie geht ihm ein paar Schritte entgegen. Im Schein der Lampe erkennt sie sein wirres Haar, die weitaufgerissenen Augen, das Pflaster über der Nase und das verschrammte Kinn. Er kann sich kaum auf den Beinen halten, und Christiana weiß, daß es keine Übermüdung ist, sondern daß er sich sinnlos betrunken hat. Ihre Augen gleiten weiter. Er hat sich die Hausbar neben den Sessel gerollt.

      »Ich – ich habe ihn umgebracht.«

      Sie starrt ihn an. Sie ist wie gelähmt. Mein Gott! Gibt es Gedankenübertragung? Hat er ihr am Vormittag nicht gesagt, daß er Nachtdienst hat? Nachtdienst im gleichen Krankenhaus, in dem Hubert liegt?

      »Wen?« fragt sie leise, flüsternd.

      »Hubert – deinen Mann!«

      Da lacht sie auf, grell, hysterisch. Sie kann sich gar nicht wieder fangen, und Martin weicht zurück, läßt sich in einen Sessel fallen.

      »Hahaha! Du hast Hubert umgebracht? Er lebt, und Doktor Romberg hat ihn zusammengeflickt. Soeben komme ich aus dem Krankenhaus.« Mit zitternden Händen greift sie zu einer Zigarette und entzündet sie an dem schweren, silbernen Feuerzeug. »Du bist sinnlos betrunken, Martin, sonst würdest du keinen Unsinn reden.«

      Doktor Freytag scheint sich wie ein Held vorzukommen, der sich an seiner Tat berauscht. Mit lallender Zunge berichtet er:

      »Natürlich habe ich ihn umgebracht. Ich habe doch Huberts Wagen gesteuert. Wir hatten beide zuviel getrunken. Es sollte schnell gehen, denn ich mußte um Mitternacht meinen Dienst im Krankenhaus antreten. Hubert hat mir den Wagen zur Verfügung gestellt. Aber zuvor sollte ich ihn heimfahren.« Er starrt aus glasigen Augen auf seine Schwester, die hochaufgerichtet vor ihm steht. Jetzt scheinen sich seine Gedanken zu verwirren. »Nun – und da – und da geschah es – das Unglück. Der Baum – ich sah ihn immer näher kommen – Hubert – der Schlag muß nicht richtig geschlossen gewesen sein. Hubert lag quer vor dem Baum – kein Leben – nur Blut. Da bin ich geflohen – hinein ins Krankenhaus-Romberg –« Er macht eine fahrige Handbewegung. »Ich habe es ihm gesagt.«

      Im Nu steht sie neben ihm, rüttelt ihn an den Schultern. »Was hast du ihm gesagt?« schreit sie ihn an.

      »Daß – ich – ihn – umgebracht – habe«, lallt er und greift erneut zum Glas.

      Zorn steigt wie eine heiße Welle in ihr empor. Sie schlägt ihm das Glas aus der unsicheren Hand, daß es am Boden zerschellt.

      »Du bist verrückt und betrunken.« Verächtlich wendet sie sich von ihm ab und wandert unablässig umher, vor sich hingrübelnd. Schließlich verhält sie vor ihm den Schritt. »Du wirst jetzt dein Zimmer aufsuchen und deinen Rausch ausschlafen.«

      »Geht nicht«, erwidert er widerspenstig. »Muß – ins Krankenhaus –«

      »In diesem Zustand? Man soll dich wohl gleich einsperren?« höhnt sie. Sie zerrt ihn aus dem Sessel und zwingt ihn, neben ihr die Treppe empor zu gehen. Jetzt ist er willig wie ein Kind. Sie bringt ihn in sein Zimmer, das in der Villa immer für ihn bereitsteht. Er wirft sich aufs Bett und läßt sich gehorsam die Schuhe ausziehen. Keine Minute dauert es, dann ist er eingeschlafen.

      Kopfschüttelnd sieht sie auf ihn hinab. Eine furchtbare Nacht. Eine aufregende Nacht und Martin ist darin verstrickt. Romberg hat sie alle in der Hand, sie und auch Martin.

      Sie ist auch völlig erschöpft und sucht ihr Zimmer auf. Aber sie legt sich nicht schlafen. Sie setzt sich im Dunkeln an das offene Fenster und grübelt und grübelt.

      Irgendwie muß sie die Dinge wieder zurechtbiegen, irgendwie, aber noch ist ihr schleierhaft, auf welche Weise.

      *

      Schluckweise trinkt Doktor Romberg den Kaffee, den Sybilla Sanders gebraut hat und dessen Aroma den ganzen Raum durchzieht. Er hält die Augen geschlossen und liegt weit im Sessel zurückgelehnt, die Beine vorgestreckt. Jedes Glied entspannt er, und Doktor Sanders unterbricht mit keinem Wort die wohltuende Stille.

      Wie schön, daß Sie da sind! Hat er es wirklich gesagt? Oder gaukeln ihr das nur die Phantasie und die eigenen Wünsche vor?

      Vor allem das dumme, liebende Herz?

      Wie schön, daß Sie da sind! Herrgott! Wie töricht man sich benimmt, und man ist doch kein Backfisch mehr. Aber man ist auch gar nicht richtig jung gewesen. Ein Elternhaus – ohne Mutter mit einem ehrgeizigen Vater, der sie zwar sehr liebt, aber bei dem sie hat hart arbeiten müssen. Die Schule, das Studium und anschließend die Arbeit im Robert-Koch-Krankenhaus. Und darin ihr Schicksal, das Doktor Romberg heißt und der nicht sie, sondern eine andere liebt.

      Der kaum Notiz von ihr nimmt, falls sie nicht gemeinsam am Operationstisch stehen. Aber da ist sie für ihn nur eine

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