Скачать книгу

spürt es mit dem fein ausgebildeten Instinkt der liebenden Frau. Ein liebendes Herz ist wie ein zartbesaitetes Instrument, das auf den leisesten Anschlag reagiert. Etwas hat ihn erschüttert, hat ihn irgendwie gewandelt. Sie sieht es an seiner völligen Erschöpfung. Ihr ist das Herz schwer. Richtig weh tut es ihr. Wie wundervoll mußte es sein, zu ihm gehen zu dürfen, ihm über das dunkle Haar zu streichen, ganz sanft und, behutsam. Kein Wort würde sie sagen, nur wissen sollte er, daß sie da ist, daß sie immer für ihn da ist, selbst wenn er sie nicht bemerkt.

      Ihre Augen hängen mit einem verzweifelten Ausdruck an seinen müden, geliebten Zügen. Im gleichen Augenblick hebt er die Lider, und sofort wendet sie den Kopf, beugt ihn tief über die Kanne und sagt gleichmütig:

      »Noch eine Tasse, Herr Doktor?«

      Er nickt nur, aber er lächelt ein wenig dabei. Er sieht auf ihre Hände, die ihm den braunen Trank in die Tasse gießen. Schöne, schmale, feingliedrige Hände. Chirurgenhände. Merkwürdig! Er war nie recht begeistert von einer Chirurgin. Aber bei ihr ist ihm gar nicht recht zum Bewußtsein gekommen, daß sie eine Frau ist. Sie steht an Können und Zuverlässigkeit einem Manne bestimmt nicht nach. Heute hat er erstmals bemerkt, daß sie wunderschöne klare Augen hat von einer faszinierenden Farbe. Diese Frau wird niemals lügen sinnt er weiter – und empfindet die sie umgebende Stille angenehm.

      Langsam kehren seine Kräfte zu-rück und damit auch das klare Denken.

      »Danke«, sagt er und nimmt die Tasse aus ihrer Hand. »Der Kaffee tut gut. Sie verstehen, ihn zuzubereiten. »Er blickt auf seine Uhr am Handgelenk. »Man müßte noch einmal nach dem Patienten auf Zimmer 22 sehen. Wollen Sie mich begleiten? Oder soll ich Doktor Müller wecken lassen?« Seine Stirn legt sich in Falten. Ärgerlich stößt er hervor: »Dieser Freytag, kommt total betrunken zum Dienst. Man müßte es eigentlich dem Professor melden, wenn man nicht einen so fatalen Geschmack auf der Zunge hätte. Er ist nun einmal Beckers Protektionskind. Was meinen Sie, Doktor Sanders?«

      Sie steht schon auf den Beinen. »Ich fühle mich wieder ganz frisch, Herr Doktor, und begleite Sie gern. Und wegen Freytag?«

      Er trinkt hastig seine Tasse leer und öffnet vor ihr die Tür. Gemeinsam gehen sie den Gang entlang. »Wegen Freytag würde ich auch nichts unternehmen. Er ist jung«, entschuldigt sie ihn. »Er hat Glück, daß Becker zum Ärztekongreß in Paris ist. Ich glaube, das würde selbst er nicht durchgehen lassen«, setzt sie mit feinem Lächeln hinzu.

      »Ich werde ihm den Kopf gehörig waschen und es dabei bewenden lassen«, entschließt er sich. »Es ist an sich eine unangenehme Angelegenheit und dürfte bei einem pflichtbewußten Arzt nicht vorkommen. Aber…« von der Seite her wirft er ihr einen kurzen Blick zu: »Sie haben ihn glänzend vertreten.«

      Ihre plötzlich glühenden Wangen sieht er nicht mehr, denn er hat schon die Klinke der Tür zum Zimmer 22 in der Hand.

      »Kommen Sie«, fordert er sie leise auf, und behutsam treten sie ein.

      Schwester Sieglinde erhebt sich von ihrem Stuhl am Bett des Kranken. Sie hat das Nachtlicht gegen das Bett hin noch abgeschirmt, so daß den Operierten kein Schein trifft.

      »Alles in Ordnung«, flüstert die Schwester, und Romberg nickt. Er nimmt des Kranken Hand, fühlt den Puls und macht ein zufriedenes Gesicht. Er winkt Sybilla Sanders zu sich und läßt sie ebenfalls den Puls fühlen.

      »Gut!« sagt sie. Romberg flüstert Schwester Sieglinde zu, daß sie weiterhin Wache halten soll, und dann verlassen die beiden Ärzte das Zimmer.

      Sie kehren ins Ärztezimmer zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein.

      »Wollen Sie sich nicht ein paar Stunden hinlegen?« wendet sich Sybilla an den Arzt. »Mir scheint, wir bekommen Ruhe für den Rest der Nacht.«

      »War eine tolle Nacht«, nimmt er das Gespräch auf und reicht ihr sein Zigarettenetui. »Sechs Unfälle, die reinste Kettenreaktion. Kann sein, der letzte war der Schluß. Aber müde bin ich jetzt nicht mehr. Das macht der starke Kaffee. Doch wenn Sie sich zurückziehen wollen?«

      »Bestimmt nicht!« Sie schüttelt dazu noch heftig den Kopf, um ihre Worte zu unterstreichen, und errötet dann. War das nicht zu spontan? Muß er ihr nicht von der Stirn ablesen, daß sie diese Stunde des Alleinseins mit ihm, die so selten und deshalb überaus kostbar für sie ist, mit vollem Herzen genießt?

      Aber er merkt nichts davon. Er

      hat selbst das Bedürfnis nach Un-

      terhaltung. Er fürchtet sich vor dem

      Alleinsein, weil dann die Gedan-

      ken über ihn herfallen wie wilde

      Tiere. Und alle würden sie in einer Richtung, zu Christiana Stücker, laufen.

      Christiana! Mein Gott! Sie ist maßlos in ihrer Liebe und maßlos in ihrem Haß!

      Mit einer geistesabwesenden Gebärde streicht er sich über die Stirn. Er will nicht mehr an die schöne, verführerische Frau denken. Er will nicht! Er will nicht!

      Sybilla liest wie in einem aufgeschlagegen Buch in seinen Zügen. Er kämpft gegen etwas. Aber sie weiß nicht gegen was. Seine hellen Augen ruhen vorübergehend forschend auf ihr. Sie wird unter diesen zwingenden Augen verwirrt. Um ihre Verlegenheit zu verbergen, erhebt sie sich, zieht die Vorhänge auseinander und öffnet weit die Fensterflügel.

      Es dämmert bereits ein neuer Tag. Wundersame Düfte steigen aus dem Garten ins Zimmer. Ein Frühlingsgruß! Liebliches Vogelgezwitscher erhebt sich. Irgendwo schluchzt eine Nachtigall. Sie lauschen beide angestrengt. Sybillas sonst so strenge Züge werden weich, sehnsuchtsvoll. Aber der Mann, von dem sie nur ein niedriger Tisch trennt, sieht das nicht.

      Weitab sind seine Gedanken! Aber es sind keine guten Gedanken. Seine Züge sind hart und die Lippen zusammengepreßt.

      Das Telefon schlägt an. Sybilla erhebt sich und geht zu dem Schreibtisch, der nahe beim Fenster steht, und hebt ab.

      »Doktor Romberg? Ja, ich sage Bescheid.« Sie hängt den Hörer in die Gabel und wendet sich Romberg zu.

      »Da ist jemand von der Polizei, der Sie zu sprechen wünscht. Ich glaube, es handelt sich um den Fall Stücker«, erklärt sie.

      »Mich wünscht man zu sprechen?« erkundigt er sich erstaunt.

      »Den diensttuenden Arzt«, gibt sie zurück. Da erhebt er sich. Er fühlt Bedauern. Hier war es so ruhig, so friedlich. Zögernd nur geht er zur Tür. Von dorther sagt er:

      »Legen Sie sich zur Ruhe, Doktor Sanders. Ich werde Doktor Müller Bescheid sagen lassen.«

      Wenn ich Ruhe finden könnte, denkt sie wehmütig und starrt auf die geschlossene Tür, hinter der seine hohe Gestalt verschwunden ist. Sehr zerstreut beginnt sie den Tisch abzuräumen. Zum zweiten Male betritt Dr. Romberg in dieser aufregenden Nacht, die scheinbar gar kein Ende nehmen will, das Wartezimmer Professor Beckers.

      Ein Mann in Zivil von kräftigem Körperbau, dessen Haltung ihm irgendwie bekannt vorkommt, hebt sich bei seinem Eintritt vom Fenster ab.

      »Kommissar Reimund« stellt sich der Besucher vor und lacht im nächsten Augenblick freudig überrascht auf. »Wolfram, Menschenskind. Hier steckst du?«

      Die beiden Männer, die einst die Schulbank zusammen drückten, um sich später je nach Veranlagung ihrem weiteren Studium zu widmen, schütteln sich herzlich die Hand.

      »Wie geht es, Julian? Bitte, setz dich.« Romberg ist wirklich angenehm überrascht, den Jugendfreund wiederzusehen. »Zigarette gefällig? Kognak kann ich dir leider nicht anbieten, den könnten wir höchstens in meiner Junggesellenwohnung trinken .«

      »Danke, danke«, wehrt Reimund ab. »Ich bin im Dienst. Seit wann arbeitest du hier, Wolfram?«

      Sie haben sich niedergelassen und ihre Zigaretten entzündet.

      Nachdenklich sieht Romberg dem aufsteigenden Rauch nach.

      »Seit einer Reihe von Jahren, Julian. Und du?«

      »Wie

Скачать книгу